Das päpstliche Geheimnis im Kontext von Missbrauch durch Priester ist abgeschafft. Religionsexperte Mathias Wirth ist skeptisch über den Nutzen der Neuerung.
Papst Franziskus
Papst Franziskus (l) leitet eine Messe anlässlich der Feier zur Jungfrau Guadalupe in der Peterskirche. - DPA
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Das Wichtigste in Kürze

  • Der Papst hat das «päpstliche Geheimnis» im Kontext von Missbrauch abgeschafft.
  • Religonsexperte Mathias Wirth ist skeptisch über den Nutzen dieser Neuerung.
  • Der Papst zeige Reformwille, doch es brauche Handlungen.

Papst Franziskus schaffte diese Woche das «päpstliche Geheimnis» im Fall von Missbrauch durch Priester ab. Dies teilte der Vatikan am Dienstag mit. Zudem verfügte Franziskus, dass ab sofort der Besitz und die Verbreitung von Kinderpornografie mit Opfern im Alter bis zu 18 Jahren zu den schwersten Straftatbeständen zählt. Die Altersgrenze lag bislang bei 14 Jahren.

Nau hat beim evangelischen Theologen Mathias Wirth von der Uni Bern, der auch katholische Theologie studiert hat, nachgefragt, was das nun genau für die katholische Kirche und den Kampf gegen sexuellen Missbrauch heisst. Wirth forscht unter anderem zur sexualisierten Gewalt in der Kirche.

Mathias Wirth Universität bern
Prof. Dr. Mathias Wirth forscht in Bern unter anderem zur Sexualethik am Institut für Systematische Theologie. - Universität Bern

Nau.ch: Beginnen wir von vorne: Was genau ist überhaupt das «päpstliche Geheimnis»?

Mathias Wirth: Beim «päpstliche Geheimnis» handelt es sich um eine Schutznorm des katholischen Kirchenrechts. Diese Norm soll wichtige Amtsvorgänge, etwa die Korrespondenz vor einer Bischofswahl, schützen. Solche Dokumente werden so nicht für die Öffentlichkeit einsehbar. Bis Dienstag waren somit auch innerkirchliche Untersuchungen aus internen Gerichtsverfahren zur sexualisierte Gewalt unter Verschluss – und könnten so nicht an beispielsweise Staatsanwaltschaften weitergegeben werden. Es existiert eine Art Parallelwelt mit Parallelrecht, deren Legitimität man, auch aus grundlegenden moralischen Erwägungen heraus, infrage stellen muss.

Nau.ch: Kann man von einem Maulkorb sprechen?

Wirth: Ja, das kann man. Seit 2010 ist innerkirchliche sexualisierte Gewalt ein Thema. Aber auch wegen des «päpstlichen Geheimnisses» wird die Aufarbeitung blockiert – Bischöfe etwa verstecken sich dahinter. Kirchen eigene Verfahren, die Richter und Anwälte beinhalten, werden in der jeweiligen Sache sozusagen totgeschwiegen.

Jahresrückblick 2019
Papst Franziskus nimmt an einem Bussgottesdienst am dritten Tag des Gipfeltreffens der katholischen Kirche zum Thema Missbrauch teil. - DPA

Nau.ch: Das «päpstliche Geheimnis» wird in Bezug auf Missbrauch durch Priester abgeschafft. Was bedeutet das konkret?

Wirth: Zum einen können nun interne Unterlagen von kirchlichen Verfahren an Staatsanwaltschaften weitergegeben werden. Zum anderen stellt sich nun aber die Frage, wie weit das dann geht. Ob es sich um ein Weitergeben sollen oder müssen handelt, wird sich erst noch zeigen. Und damit auch, ob eine Art Kulturwandel stattfindet. Das bezweifle ich. Dazu müsste ein vertiefter Strukturwandel stattfinden.

Nau.ch: Welche Strukturen meinen Sie?

Wirth: Beispielsweise die Praxis des Schweigens, also den Ethos, dass man Priester eigentlich nicht kritisiert. Eine solche Haltung bei schweren Vergehen wurde gerade durch das «päpstliche Geheimnis» verstärkt. Es müsste sich daher einiges bei den autoritären Strukturen, Männerkartellen oder der Denkweise in der katholischen Kirche ändern. Zum Beispiel führt die zentrale Stellung von Priestern und Bischöfe dazu, dass sie innerhalb der katholischen Subkultur wie immun gegen Missbilligung wirken.

Nau.ch: Neu soll zudem der Besitz und die Verbreitung von Kinderpornografie mit Opfern im Alter bis zu 18 Jahren zu den schwersten Straftatbeständen zählen. Vorher lag das Alter bei 14. Irgendwie irritierend. Wie ist so etwas überhaupt möglich?

Wirth: Hierbei sieht man, wie fragwürdig das katholische Kirchenrecht ist. Es zeigt, wie gering im Grunde das Interesse und noch mehr die Sensibilität der katholischen Amtskirche gegenüber Erfahrung mit sexueller Delinquenz ist. Die alte Regelung, die noch bis vor Kurzem galt, geht an jeglicher Realität vorbei.

Papst Franziskus
Papst Franziskus bei der Enthüllung der Skulptur Angels Unaware nach einer Messe zum Welttag der Migranten und Flüchtlinge am 29. September 2019. - keystone

Ein schlechter Umgang zeigt sich weiterhin auch bei der Verwendung des Begriffs «Kinderpornografie» – ein verharmlosender Begriff, der suggeriert, solche Darstellungen seien ein spezielles pornografisches Genre. Dabei handelt es sich um Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern. Die Sprache verrät, wie wenig man das Gespräch mit Opfern und Fachpersonen wirklich aufgreift.

Nau.ch: Wie ist der Entscheid im Kontext der Amtszeit von Papst Franziskus zu werten? Tut sich etwas in der katholischen Kirche?

Wirth: Franziskus zeigt rhetorischen Reformwillen, aber konkret passiert wenig. Die teilweise Abschaffung des «päpstlichen Geheimnisses» ist ein wichtiger Schritt, aber es müssen weitere, grundlegendere Reformen der Strukturen folgen, von denen das «päpstliche Geheimnis» nur die Spitze des Eisbergs ist. Der Papst ist in Sache Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt eine ambivalente Figur.

katholische kirche kreuz
Die katholische Kirche verstärkt im Kanton Zürich die Missbrauchsprävention. (Symbolbild) - Keystone

Nau.ch: Sie sagen, Franziskus sei eine ambivalente Figur – wie glaubwürdig ist den der Papst? Gerade sein Verhältnis zur argentinischen Militärdiktatur oder aber der Fall von 2018, wo er einem umstrittenen Bischof Rückendeckung gab, der einen wegen Missbrauch verurteilten Priester deckte, werfen Fragen auf.

Wirth: Über die Privatperson Jorge Bergoglio, wie der Papst bürgerlich heisst, möchte ich mir kein Urteil erlauben. Jedoch habe ich Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Amtsperson. Ein Vorgänger von Papst Franziskus hat zum Beispiel einmal gesagt, die Kirche müsse ein Glashaus sein. Das Gegenteil ist sie geblieben. Obwohl, das zeigt die aktuelle Entscheidung von Papst Franziskus zum «päpstliche Geheimnis», das Papstamt durchregieren kann.

Papst Franziskus  Generalaudienz
Papst Franziskus bei der Generalaudienz. (Archivbild) - DPA

Da stellt sich die Frage, warum diese Anpassungen so lange dauern? Franziskus hat erst auf massiven Druck von innerhalb der Kirche und ausserhalb reagiert. Die Rhetorik passt, doch die Handlungen sind dürftig. Nun hat man eine wichtige Struktur geändert. Aber was ist mit den anderen Bedingungen in den Kirchen, die Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Erwachsene ermöglicht haben und weiter ermöglichen?

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