In Genf protestieren Schülerinnen gegen das «T-Shirt der Schande». Bruno Rupp, einer der obersten Lehrer der Schweiz, kennt das Problem mit dem Dresscode.
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Bruno Rupp ist Teil der Geschäftsleitung beim Schweizer Dachverband für Lehrerinnen und Lehrer. - Nau.ch
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Das Wichtigste in Kürze

  • Genfer Mittel- und Sekundarschulen sanktionieren «unpassende» Kleidung mit einem XL-Shirt.
  • Verstösse gegen die Kleiderordnung gibt es schon seit jeher.
  • Auch Bruno Rupp, einer der obersten Lehrer, kennt das Problem «Dresscode».

Bauchfrei, Basecap oder Trainerhosen – Kleider sorgen immer wieder für Zoff zwischen Schülern und Lehrpersonen. So geschah es diese Woche auch in Genf. Dort protestierten Jugendliche gegen das «T-Shirt der Schande». Dabei erhielten sie Rückendeckung aus dem politischen Lager.

Das Problem «Dresscode» kennt auch Bruno Rupp. Er ist ehemaliger Lehrer und Teil der Geschäftsleitung beim Schweizer Dachverband für Lehrerinnen und Lehrer (LCH). Im Interview mit Nau.ch spricht er über Regelverstösse.

Nau.ch: Jugendliche müssen eine eigene Persönlichkeit entwickeln. Dazu gehört auch ein eigener Stil. Wieso unterdrücken Schulen diese Entwicklung?

Bruno Rupp: Schulen vergessen oft das Machtmittel der Schüler. Gemeinsam entwickeln Jugendliche eine Gruppendynamik. Damit wachsen sie über die einzelnen Lehrpersonen hinaus. Druck erzeugt aber immer auch Gegendruck. So tun sich die Schüler zusammen und protestieren. Die Massnahme mit dem «T-Shirt der Schande» ist für mich ein klares No-Go. Generell ist es aber das Ziel der Schulen, die Entwicklung zu unterstützen und nicht zu unterdrücken.

T-Shirt der Schande
T-Shirt der Schande: Genfer Schülerinnen wehren sich gegen die Kleidervorschrift. - Keystone

Nau.ch: In einem Interview mit Nau.ch aus dem Jahr 2018 gaben Sie an, dass Sie politisches Engagement von Jugendlichen schätzen. Was halten Sie vom Protest in Genf?

Bruno Rupp: Ich finde es gut, wenn sich junge Menschen zur Wehr setzten. Dabei spielt die Art und Weise immer eine wichtige Rolle. Unser Ziel ist es sicherlich, dass wir junge Menschen zur Selbstständigkeit bewegen.

Nau.ch: Zurück in Ihre Schulzeit. Hätten Sie das «T-Shirt der Schande» getragen?

Bruno Rupp: Ich glaube, ich hätte es nicht angezogen.

Nau.ch: Wieso nicht?

Bruno Rupp: In meiner Jugendzeit liess ich mich sehr ungern zu solchen Sachen zwingen.

Nau.ch: Bleiben wir in der Vergangenheit. Welche Kleidervorschriften hatten Sie?

Bruno Rupp: Dresscodes waren bei uns eigentlich kein Thema. Einzig im Turnunterricht im Lehrerseminar gab es ein Sportoutfit für externe Veranstaltungen.

Nau.ch: Und wie war das?

Bruno Rupp: Fürchterlich. Ich hab die Sachen wirklich nur auswärts getragen. Das war furchtbar.

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Nicht immer sind nerven sich Lehrer wegen der Kleider. Auch der Kaugummi hat im Klassenzimmer nichts zu suchen. - Keystone

Nau.ch: Kleidung war also nicht das Problem. Wars dann der Kaugummi?

Bruno Rupp: Schon eher. Zuhause hatten wir in Sachen Kleidung mehr zu kämpfen. Oft musste man sich gegenüber den Eltern durchsetzen, nicht aber in der Schule.

Nau.ch: Die Situation in Genf ist etwas anders. Sanktioniert würden dort hauptsächlich Mädchen wegen ihrer «unpassenden» Kleidung. Was erachten Sie als unpassend?

Bruno Rupp: Unpassend ist, wenn sich andere daran stören. Bei Mädchen ist dies oft der Fall, wenn zu viel Haut gezeigt wird.

Nau.ch: Jungs sind also weniger das Problem.

Bruno Rupp: Dort gibt es eine andere Art von unpassend. Rassistische oder rechtsradikale Symbole sind häufiger das Problem. Das geht nicht. Oder, wenn es zu schlabbrig wird.

Nau.ch: Stichwort Trainerhosen?

Bruno Rupp: Trainerhosen liegen noch im Rahmen. Aber beim Basecap oder sobald es schmuddelig wird, sind die Grenzen erreicht.

trainerhose
Mit der Trainerhose kann sich Bruno Rupp noch anfreunden. - Keystone

Nau.ch: Das Basecap war schon immer Streitthema. Abziehen ist meist Pflicht.

Bruno Rupp: Zu meiner Zeit als Lehrer hatte ich diesbezüglich auch zu kämpfen. Ich hab als Lösung das Gespräch gesucht. Meist konnten wir uns auch einigen.

Nau.ch: Da ging niemand auf die Barrikaden?

Bruno Rupp: Nicht wirklich. Der Dialog hat Gutes bewirkt. Aber das Basecap ist meist ein Ding der Buben. Bei Regelverstössen von Mädchen, insbesondere im Hinblick auf Genf, ist die Situation heikler. Aber nicht alles kann verboten werden. Ich bin dafür, dass Unstimmigkeiten im Gespräch geklärt werden.

Nau.ch: Lieber Dialog anstelle von Vorschriften?

Bruno Rupp: Vorschriften ergeben manchmal sicher Sinn. So auch im Strassenverkehr. Aber ein Dresscode ist in meinen Augen auch eine Vorschrift und ich bin kein Fan davon.

Nau.ch: Modetrends kommen immer wieder. Sollten die Schulen nicht mit der Zeit gehen?

Bruno Rupp: Sie müssen es sogar. Aber das bedeutet nicht, dass alles ohne zu hinterfragen so übernommen werden muss. Eine Lehrperson muss dem Altersunterschied zu ihren Schülern immer Rechnung tragen. Auch ich musste das.

basecap
Auch das Basecap steht immer wieder in der Kritik. - Keystone

Nau.ch: Der LCH gibt ein Positionspapier an Schulen raus. Die letzte Version stammt aus dem Jahr 2016. Wäre ein Update nötig?

Bruno Rupp: Das kommt im Frühling. Geplant ist noch nichts, aber diskutiert wird dies eher zum Sommer hin.

Nau.ch: Gleichzeitig distanziert sich der Dachverband von einer Schuluniform. Das wäre doch die Lösung?

Bruno Rupp: Nicht wirklich. Die Schulen sind rechtlich nicht befugt über die Kleidung der Schüler zu bestimmen. Hinzu kommt die Frage der Finanzierung. Öffentliche Volksschulen sind unentgeltlich. Daher können sie auch nicht Geld für Uniformen verlangen. Es ist also nicht die beste Lösung.

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