Alle Schweizer Kunstmuseen sind geschlossen. Was tun sie, um trotzdem mit ihrem Publikum in Kontakt zu bleiben? Die Direktorin des Kunstmuseums Bern über Chancen und Grenzen medialer Kunstvermittlung.
Kein Vergleich zu einem realen Museumsbesuch: Doch die Schweizer Museen (hier ein Einblick in die Ausstellung «Triumphant Scale» von El Anatsui im Kunstmuseum Bern) wollen Kunst auch während der Corona-Krise erlebbar machen.
Kein Vergleich zu einem realen Museumsbesuch: Doch die Schweizer Museen (hier ein Einblick in die Ausstellung «Triumphant Scale» von El Anatsui im Kunstmuseum Bern) wollen Kunst auch während der Corona-Krise erlebbar machen. - sda - Keystone/ANTHONY ANEX
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Das Wichtigste in Kürze

  • Der Zeitpunkt war ungünstig: Am 12.

März abends eröffnete das Kunstmuseum Bern «Triumphant Scale» von El Anatsui: die erste grosse europäische Einzelausstellung des afrikanischen Künstlers von Weltrang, initiiert von einem unterdessen verstorbenen Starkurator, eine internationale Koproduktion, die dem Haus der Kunst in München vor wenigen Monaten einen Riesenerfolg beim Publikum eingebracht hatte.

Insgesamt die «aufwändigste Ausstellung, die ich je gemacht habe», sagt Nina Zimmer, die Direktorin des Kunstmuseums Bern und des Zentrums Paul Klee gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Einen Tag später begrenzte der Bundesrat die Besucherzahl von Museen auf 100, zwei Tage später schloss er sie ganz. Kaum waren sie aufgestossen worden, schlossen sich die schweren Türen an der Berner Hodlerstrasse wieder, als wäre die aufsehenerregende Ausstellung ein heiliges Altarbild, auf das nur einmal im Jahr ein kurzer Blick geworfen werden darf. Die einzige, die sie noch sehen kann, ist die Frau vom Sicherheitsdienst.

So wie dem Kunstmuseum Bern geht es vielen Ausstellungshäusern im Land. Das Zentrum Paul Klee möchte die abstrakte Expressionistin Lee Krasner zeigen, die Fondation Beyeler Dennis Hopper, das Kunsthaus Zürich Ottilia Giacometti, das Elysée in Lausanne René Burri, das Mamco Genf Olivier Mosset, das Kunstmuseum Chur Erica Pedretti - in toto zu. «In jeder Hinsicht verheerend», sagt Nina Zimmer, «aber es geht allen gleich». Sie meint nicht nur die Museen. Doch «die Bestimmung unserer Häuser ist es, Öffentlichkeit und Begegnung mit der Kunst zu ermöglichen». Deshalb erlösche ihr Zweck mit der Schliessung auf einen Schlag.

Um dieser existenziellen Infragestellung zu entgehen, versuchen die Museen, medial Kontakt zu ihrem Publikum zu halten. Die Dauerwerbesendung auf den Social-Media-Kanälen beinhaltet Videoführungen, Live-Streams, Blogartikel, Hintergrundberichte oder Publikumsaktionen, die die zu Hause eingesperrte Besucherschaft beschäftigen sollen.

Die digitale Aufbereitung von Ausstellungen und Sammlungen war schon vor den Corona-Wirren verbreitet. Google Arts & Culture inventarisiert ganze Bestände, das Musée d’Orsay in Paris oder das Rijksmuseum in Amsterdam lassen sich am Bildschirm in 360-Grad erkunden, die Hermitage in St. Petersburg in einem mehr als fünfstündigen Film. Das Frankfurter Städel produziert eine hochgelobte Podcast-Serie zu einem verschwunden Bild von Vincent van Gogh. Doch gerade das Beispiel Städel, Vorreiter in digitaler Kunstvermittlung, zeigt, vermitteln lassen sich vor allem Hintergründe, Zusammenhänge, Kunsthistorisches oder Biographisches. Mit einem Wort: Wissen. So wertvoll das ist, etwas fehlt doch.

«Eine essentielle Dimension von Kunst geht verloren», sagt Nina Zimmer, «die Sinnlichkeit, die Aura des Originals, Spuren von Alter und Bearbeitung, Dimensionen, das Material.» Die Ausstellung von El Anatsui macht das deutlich. Sie trägt den «triumphalen Massstab» vieler Werke Anatsuis schon im Titel. Es scheint unmöglich, vor einem Bildschirm sitzend zu erkennen, welche feingliedrige Kraft, welche fragile Monumentalität diesen metallenen Tapisserien eigen ist. Doch selbst eine kleine Graphik, die vielleicht nur das Format eines Monitors hat, lässt sich in Pixeln nicht ganz erfassen.

Darin besteht der Widerspruch medialer Vermittlung von Kunst. «Wir versuchen, mit den begrenzten Mitteln der Technik, Freude zu bereiten und zu berühren», sagt Zimmer. «Gleichzeitig dürfen wir nicht suggerieren, Kunst könne allein im Digitalen stattfinden. Wofür braucht es uns sonst überhaupt noch?»

Diesen Legitimationsdruck spüren die Häuser im Moment besonders stark und es scheint, als sei der kommunikative Aktivismus eine vorauseilende Reaktion auf jahrelange Abwehrkämpfe in ungezählten Sparrunden. «Die Aufmerksamkeitsökonomie unserer Zeit verlangt, dass man ständig präsent ist», sagt Zimmer.

Das Museum in einen frühlingshaften Winterschlaf zu versetzen und die verschlossenen Türen als Symbol des allgemeinen Stillstands gelten zu lassen, war für sie keine Option. «Das lässt die Pflicht gegenüber der Öffentlichkeit, die uns finanziert, nicht zu.» Was wird nach der Krise von der Krise bleiben? Verbesserte interne Abläufe und genauere, bewusstere Kommunikation nach aussen, sagt Zimmer. Vor allem aber ein erneuertes Bewusstsein dafür, «wie wertvoll Intimität in der Begegnung mit der Kunst und anderen Menschen ist». Zum Beispiel mit der noch verborgenen Kunst von El Anatsui.

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