Schweizer Chirurg musste Bauch aufschneiden: «Er hatte keine Ahnung»
In der chirurgischen Ausbildung an Schweizer Spitälern hapert es. Denn die Operationen für die dringend nötige Erfahrung fallen oft aus. Mit schlimmen Folgen.

Das Wichtigste in Kürze
- Angehende Chirurgen in der Schweiz können zu wenig Praxiserfahrung sammeln.
- Fachleute warnen von den Folgen der dürftigen OP-Erfahrung.
- Eine Assistenzärztin erhält von einer Grenzerfahrung im OP.
Wer eine gute Chirurgin oder ein guter Chirurg werden will, muss möglichst viel operieren.
Doch genau daran scheitert es zurzeit in der chirurgischen Ausbildung an Schweizer Spitälern.
Denn wie der SRF-«Kassensturz» berichtet, kommen die vielen Chirurgen in Ausbildung gar nicht dazu, ihre gut 500 Operationen eigenständig durchzuführen, die sie für den Facharzttitel brauchen würden.
So erzählt eine Assistenzärztin und angehende Chirurgin dem Sender, dass es ihr Traum wäre, eine bestimmte Operation mehrmals alleine durchführen zu können. Doch ihr Arbeitsalltag sei mit administrativer Arbeit und Notfalldiensten vollgepackt.
Heisst: Die OPs rar.
Die junge Assistenzärztin Delia Kläger vom Kantonsspital Graubünden in Chur bestätigt diese Entwicklung: «Wir werden für Schreibarbeit angestellt, nicht fürs Operieren.»
Sie befürchtet eine gefährliche Entwicklung, bei der viele Kollegen erst nach ihrer Facharztausbildung die notwendige Routine beim Operieren erwerben.
Auch Rebecca Kraus, stellvertretende Chefärztin des Kantonsspitals Graubünden betont: «Es reicht noch nicht, sie müssten noch viel mehr operieren können.»
«Es war extrem schlimm für alle»
Die Assistenzärztin, die anonym bleiben möchte, erzählt von einer brenzligen OP-Situation.
Ein junger Oberarzt mit frisch erworbenem Facharzttitel musste während des Nachtdienstes eine Darmverdrehung operieren. Ein Eingriff, den er noch nie durchgeführt hatte und bei dem der Chefarzt sich weigerte zu helfen. Dieser war zu Hause.
In der Theorie habe er gelernt, wie man den Bauch aufschneidet. «Er hatte aber keine Ahnung, was er machen sollte. Wir waren die ganze Nacht im OP und haben die Darmverdrehung gesucht – sie aber nicht gefunden.»
Nach acht Stunden sei ein anderer Oberarzt gekommen, der ihm dann helfen konnte. «Es war extrem schlimm für alle», so die Assistenzärztin zum Sender.
Sie warnt: «Auf dem Papier können wir es. Praktisch oft nicht.»
Ärzteverband will etwas unternehmen
Daniel Frey, Viszeralchirug und ehemaliger Chefarzt, bestätigt diese besorgniserregenden Trends in der chirurgischen Ausbildung: Früher mussten angehende Chirurgen 800 Eingriffe absolvieren; heute sind es nur noch 510.
«Man kann heute den Facharzttitel erhalten, ohne das gesamte Spektrum wirklich abdecken zu können», so Frey.
Der Ärzteverband FMH nimmt das Problem ernst und prüft Massnahmen. Präsidentin Yvonne Gilli erklärt: «Das ist eine Gefahr im Moment in der Weiterbildung einiger chirurgischer Disziplinen und das gilt es zu korrigieren.»