Schlupfloch: Deutscher erhält ohne Anspruch IV-Ergänzungsleistungen
Ein Deutscher erhält in der Schweiz IV-Ergänzungsleistungen, obwohl ihm keine IV-Rente zusteht. Möglich macht dies eine kaum bekannte gesetzliche Lücke.

Das Wichtigste in Kürze
- Ein Deutscher erhält in der Schweiz Ergänzungsleistungen trotz fehlender IV-Rente.
- Eine kaum bekannte gesetzliche Lücke ermöglicht diesen Anspruch.
- In der Schweiz gibt es derzeit über 200 ähnliche Fälle.
Ausländer aus EU- und EFTA-Staaten verlieren ihren Aufenthaltsstatus in der Schweiz normalerweise dann, wenn sie über längere Zeit Sozialhilfe beziehen.
Doch es existiert ein Sonderfall, der selbst Fachleuten kaum bekannt ist. Das «St. Galler Tagblatt» berichtet von einem entsprechenden Fall und löst politische Diskussionen aus.
Was ist passiert?
Ein deutscher Staatsbürger arbeitete zunächst als Grenzgänger in der Schweiz und zog später hierher.
Kein Anspruch auf IV, trotzdem gibt es Ergänzungsleistungen
Nach kurzer Teilzeitbeschäftigung meldete er sich bei der IV an. Als seine Mittel aufgebraucht waren, beantragte er Sozialhilfe. Er erhielt diese mehrere Monate lang, bis ihm Ergänzungsleistungen zur IV zugesprochen wurden.
Die Diagnose des Mannes: eine bereits seit der Kindheit bestehende Persönlichkeitsstörung. Der Mann gilt heute als voll arbeitsunfähig.
Eine IV-Rente bekommt er jedoch nicht. Denn er ist mit einem bereits bestehenden Gesundheitsschaden eingereist und erfüllt die Mindestbeitragszeit nicht.
Trotzdem erhält er Ergänzungsleistungen.
Über 200 ähnliche Fälle in der Schweiz
Und damit ist er nicht allein. Laut Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) wurden im Dezember 2023 schweizweit 240 EU-/EFTA-Bürger gezählt, die Ergänzungsleistungen zur IV beziehen. Und dies, obwohl sie keine IV-Grundleistung erhalten.
Die Kantone Zürich, Bern, Waadt und Genf verzeichnen jeweils bis zu 40 solcher Fälle, kleinere Kantone meist weniger als fünf.
Für Einzelpersonen können diese Leistungen bis zu 40'000 Franken pro Jahr betragen.
Wie diese Konstellation überhaupt möglich ist, bleibt unklar. Das BSV verweist lediglich auf die Wegleitung zu den Ergänzungsleistungen. Eine Erklärung liefert es jedoch nicht.
Wohl eine Folge der 10. AHV/IV-Revision von 1997
Historisch geht die Regelung offenbar auf die 10. AHV/IV-Revision von 1997 zurück, also auf eine Zeit vor dem Freizügigkeitsabkommen.
Damals wurde festgelegt, dass auch Ausländerinnen und Ausländer Ergänzungsleistungen beziehen können, sofern sie eine AHV- oder IV-Rente erhalten.
Der nun praktizierte Anspruch ohne Grundrente wurde jedoch nie explizit erwähnt.

Politisch war dieser Effekt offenbar nicht beabsichtigt. Der Thurgauer SVP-Nationalrat Pascal Schmid, zuständig für Asylfragen, zeigt sich überrascht.
Er habe erstmals durch Anfrage des «St. Galler Tagblatts» davon erfahren. Für ihn ist klar: Diese Gesetzeslücke müsse dringend geschlossen werden.
Schmid mit dem Seitenhieb gegen das neue EU-Abkommen
Schmid befürchtet zudem, dass das neue Abkommen mit der EU den Druck auf das Sozialsystem verstärken könnte.
Denn das EU-Abkommen verlangt: Wer fünf Jahre in der Schweiz arbeitet – inklusive Phasen der Arbeitslosigkeit oder sechs Monaten Sozialhilfe – erhält ein Daueraufenthaltsrecht.
Dieses kann gemäss Schmid selbst bei späterem Sozialhilfebezug kaum mehr entzogen werden.











