Sie sollen ihr Opfer in einen Kühlraum gesperrt, gefoltert und zu einem Geständnis gezwungen haben. Doch das Opfer könnte auch Täter sein.
In der Pizzeria L'Industrie wird der Piizateig vorbereitet.
Das Opfer soll in den Kühlraum einer Pizzeria gesperrt worden sein. - Benno Schwinghammer/dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Vier Kurden sind in Biel wegen mutmasslicher Folter vor Gericht.
  • Ihr Opfer sollen sie in einen Kühlraum gesperrt und zu einem Geständnis gezwungen haben.
  • Gleichzeitig steht die Möglichkeit im Raum, dass das Opfer zugleich auch Täter ist.

In einem Fall stehen vier Männer ab Mittwoch vor dem Regionalgericht in Biel. Sie werden beschuldigt, einen Mann gefoltert und in den Tiefkühlraum einer Pizzeria gesperrt zu haben, berichten die Tamedia-Zeitungen. Der Vorwurf: Freiheitsberaubung, Nötigung und einfache Körperverletzung.

Die Geschichte dreht sich um Aydin K, einen kurdischstämmigen Türken. Er behauptet, von den Männern gezwungen worden zu sein, zuzugeben, dass er für den türkischen Geheimdienst arbeitet, und: dass er die lokale PKK ausspioniere. Dabei handelt es sich um die Arbeiterpartei Kurdistans.

Fall mit vielen Wendungen

Der Fall ist schwierig. So gibt es Hinweise darauf, dass Aydin K. tatsächlich Informationen über die kurdische Diaspora an den türkischen Staat weitergegeben hat. Die Bundesanwaltschaft führt ein Strafverfahren gegen ihn wegen qualifizierten politischen Nachrichtendiensts.

Aydin K. lebt als Flüchtling in der Schweiz. Zwischen August 2018 und Mai 2019 soll er insgesamt 59-mal per Whatsapp Informationen an den türkischen Sicherheitsapparat geschickt haben. Und zwar über «verschiedene in der Schweiz befindliche Personen».

Hintergrund des Konflikts

Zur Einordnung des Falls wichtig zu wissen: Die türkische Regierung unter Präsident Erdogan geht gewaltsam gegen die kurdische Autonomiebewegung vor. Der türkische Geheimdienst geht sogar im Ausland gegen Gegner vor.

Regionalgericht Biel
Ein Regionalgericht in Biel befasst sich mit einem komplexen Fall. - keystone

Aydin K. arbeitete in der Pizzeria eines kurdischen Unternehmers, der einer der Hauptbeschuldigten im Prozess ist. Niemand hatte vermutet, dass Aydin K. ein Spitzel sein könnte.

Verhaftung und Anschuldigungen

Im März 2019 wurde der Bruder des Pizzeria-Besitzers bei einer Reise in die Türkei verhaftet. Angeblich aufgrund einer anonymen Denunziation aus der Schweiz. Der Pizzeria-Besitzer erhielt eine Nachricht mit dem Hinweis auf einen Spion und erkannte darin die Nummer seines Angestellten Aydin K.

Daraufhin konfrontierten sie Aydin K., fanden belastende Nachrichten auf seinem Handy und sperrten ihn in den Kühlraum ein.

Beweisführung und rechtliche Fragen

Der Prozess wirft schwierige rechtliche Fragen auf: Ist das Handy von Aydin K., das als Beweisstück bei der Polizei landete, überhaupt verwertbar?

Die Beschuldigten behaupten, Aydin K. habe es freiwillig herausgegeben; er selbst sagt jedoch, es sei ihm gewaltsam abgenommen worden.

Sollte das Gericht die vier Kurden schuldig sprechen, stellt sich die Frage: Sind die auf dem Handy gefundenen Beweise zulässig? Der Anwalt von Aydin K., Daniel Gränicher, ist der Meinung, dass sie «in jedem Fall» nicht verwertbar seien.

Ein aussergewöhnlicher Fall

Der Fall ist in vielerlei Hinsicht aussergewöhnlich: Ein Opfer könnte auch Täter sein und umgekehrt. Es bleibt abzuwarten, wie das Gericht in Biel entscheiden wird.

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