Nasenspraysucht: Viele tun es, kaum jemand spricht darüber. Oberärztin Sophia Poletti erklärt im Nau.ch-Interview, was das Loslassen so schwierig macht.
Sophia Poletti
Sophia Poletti ist HNO-Oberärztin an der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten am Inselspital Bern. - zVg / Pixabay

Das Wichtigste in Kürze

  • Nasenspraysucht wird kaum thematisiert. Und doch sind viele betroffen – im Versteckten.
  • Im Interview erklärt eine HNO-Ärztin, wo die Tücken lauern und warum ein Entzug nötig ist.
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Sophia Poletti ist Oberärztin an der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Kopf- und Halschirurgie im Inselspital Bern. Nau.ch hat mit ihr über Nasenspraysucht, die Tücken und Therapiemöglichkeiten gesprochen.

Nau.ch: Sophia Poletti, offizielle Zahlen zur Nasenspraysucht gibt es in der Schweiz nicht. Man geht davon aus, dass in Deutschland zwischen 100'000 und 120'000 Menschen süchtig sind. Wie hoch schätzen Sie hierzulande die Dunkelziffer ein?

Sophia Poletti: Der Übergebrauch von abschwellenden Nasensprays – auch Privinismus oder Rhinitis medicamentosa genannt – betrifft vor allem Menschen jungen und mittleren Alters. Frauen und Männer sind gleichermassen betroffen. Die Inzidenz in HNO-Kliniken beträgt rund 1 bis 7 Prozent.

Nasenspray
Nasenspray: Fluch und Segen zugleich. Schnell schaffen sie Abhilfe bei verstopfter Nase, aber Achtung: Wird der Spray länger als eine Woche angewendet, droht eine Abhängigkeit. (Symboldbild) - Pixabay

Nau.ch: Was raten Sie jemandem, der süchtig ist und vom Nasenspray wegkommen will?

Sophia Poletti: Der erste Schritt sollte das Aufsuchen eines HNO-Spezialisten sein. Die Beurteilung der Nasenschleimhäute ist obligat. Beim Absetzen des Nasensprays bestehen dann im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Erstens sofortiges Absetzen mit nachfolgender Verwendung eines kortisonhaltigen Nasensprays. Oder zweitens das gleichzeitige Verwenden eines kortisonhaltigen Nasensprays. Bei dieser zweiten Variante kann der abschwellende Spray dann später abgesetzt werden.

Wichtig dabei ist, die Patienten ausführlich zu informieren, dass es temporär zu einer Verschlechterung der Nasenatmung kommen kann. Diese spricht aber nicht für ein Therapieversagen.

Nau.ch: Warum macht Nasenspray so süchtig, was passieren da genau für Prozesse in der Nase?

Sophia Poletti: Abschwellende Nasensprays mit den Wirkstoffen Xylometazolin oder Oxymetazolin führen zu einem schnellen Abschwellen der Nasenschleimhäute und damit zu einer freien Nasenatmung. Allerdings kommt es nach Abklingen der Wirkung des Sprays zum raschen Wiederauftreten der Schleimhautschwellung. Und dies führt dann zum erneuten Griff zum Spray. Der abschwellende Effekt dauert immer kürzer. Damit beginnt der Teufelskreis der verstopften Nase.

Erkältung
Bei einer Erkältung decken sich die meisten Menschen mit Nastüchern und Nasenspray ein. - Pixabay

Nau.ch: Spricht man eher von einer psychischen oder einer physischen Abhängigkeit?

Sophia Poletti: Es gibt verschiedene Theorien zur Entstehung der Rhinitis medicamentosa. Eine ist die Abnahme der Empfindlichkeit bestimmter Rezeptoren in der Nase durch den häufigen Spraygebrauch. Diese sogenannte Toleranzentwicklung und die Beschreibung von Entzugssymptomen wie Kopfschmerzen, Unruhe und Angststörung nach Absetzen des Nasensprays führten dazu, dass einige Autoren den übermässigen Gebrauch von abschwellenden Nasensprays als eine Form der physischen Abhängigkeit bezeichneten.

Nau.ch: Welche Langzeitschäden kann jahrelange Nasenspraysucht mit sich bringen?

Sophia Poletti: Bisher wurden überwiegend Schleimhautveränderungen der Nase nachgewiesen. Diese gehen möglicherweise mit einer Austrocknung der Schleimhäute, einer erhöhten Infektanfälligkeit und möglicher Keimbesiedlung der Schleimhaut einher.

Waren oder sind Sie abhängig von Nasenspray?

Nau.ch: Bei verstopfter Nase: Was kann ich tun, anstatt zum Nasenspray zu greifen?

Sophia Poletti: Zunächst einen Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten konsultieren, um der Ursache auf den Grund zu gehen. Der verstopften Nase könnte eine Allergie zugrunde liegen. Die müsste dann mit Antihistaminika behandelt werden. Weitere Ursachen könnten chronische Nasennebenhöhlen-Erkrankungen, Medikamenten-Nebenwirkung, hormonelle Veränderungen in der Schwangerschaft und selten einmal Tumore der Nase sein.

Nau.ch: Was, wenn der Absprung einfach nicht gelingt?

Sophia Poletti: Das Nasenspray muss abgesetzt werden. Um die Beschwerden zu lindern, kann zeitgleich ein kortisonhaltiges Nasenspray verabreicht werden, welches einen abschwellenden Effekt hat. Wichtig ist, den Patienten zu informieren, dass die Beschwerden anfänglich verstärkt sein können und nicht für ein Therapieversagen sprechen! Bei jahrelangem Gebrauch abschwellender Sprays kann eine Entwöhnung mehrere Monate dauern.

Eine operative Verkleinerung der unteren Nasenmuscheln könnte als Ultima Ratio in Einzelfällen in Betracht gezogen werden.

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