Nach Blatten: Bergler halten an ihren Dörfern fest – trotz Gefahr

Simon Binz
Simon Binz

Interlaken-Oberhasli,

Der Bergsturz von Blatten VS führt vor Augen, wie zerbrechlich das Leben in den Alpentälern ist. Ein Wegzug kommt für die meisten aber nicht infrage.

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So sah Blatten VS am Freitagnachmittag von oben aus. Das Dorf im Lötschental soll nach der Katastrophe wieder aufgebaut werden. - Nau.ch/Nico Leuthold

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Bergsturz hat Blatten VS schwer getroffen, fast alle Häuser sind zerstört.
  • Trotzdem wollen viele bleiben – ein Leben ohne Berge ist für sie unvorstellbar.
  • Fachleute raten nicht zum Wegzug, warnen aber vor wachsenden Naturgefahren.

Blatten VS liegt nach dem Gletscherabbruch unter einer riesigen Schutthalde begraben. 90 Prozent der Häuser des 300-Einwohner-Dorfes sind komplett zerstört. Die Schadenssumme wird auf mehrere hundert Millionen Franken geschätzt.

Noch immer ist nicht absehbar, wann überhaupt mit den Aufräumarbeiten begonnen werden kann. Doch der Gemeindepräsident von Blatten hat bereits angekündigt, dass das Dorf wieder aufgebaut werden soll: «Ein Lötschental ohne Blatten ist undenkbar», sagte er am Freitag vor den Medien.

Braucht es Umsiedlungen von Bergdörfern?

Der Bergsturz im Lötschental zeigt jedoch, wie verletzlich das Leben in den Alpentälern wirklich ist. Auch an anderen Orten, wie etwa Kandersteg BE, droht ein ähnliches Szenario.

Wegziehen ist aber für die Menschen in den Bergen keine Option. Das betonte unter anderem der Walliser Staatsrat Christoph Darbellay übers Wochenende: «Wir wollen diese Bergtäler weiter bewohnen. Das ist unsere Heimat, unsere DNA», sagte der frühere CVP-Präsident gegenüber «Echo der Zeit».

«Die Gefahr gehört zum Leben in den Bergen»

Ähnlich äussert sich auch Simon Stadler. Der Urner Mitte-Nationalrat ist Präsident der parlamentarischen Gruppe Bergbevölkerung. Stadler war während dem Gespräch mit der SRF-Sendung gerade in den Bergen. Er betonte, wie wichtig es den Menschen sei, dort zu leben.

«Wir Bergler möchten hier wohnen und müssen alles dafür tun, dass eine Rückkehr für die Menschen in Blatten möglich ist. Und auch dafür, dass die Menschen in anderen Tälern in der Schweiz weiter dort wohnen können.»

Stadler Uri Blatten
Simon Stadler (Mitte) ist Urner Nationalrat und Präsident der parlamentarischen Gruppe Bergbevölkerung. Er sagt: «Die Gefahr gehört zum Leben in den Bergen und wir sind daran gewöhnt.» - keystone

Der Mitte-Nationalrat betont, wie wichtig es sei, einzelne Orte streng zu überwachen. In Blatten habe dies ja schliesslich gut funktioniert. «Die Gefahr gehört aber zum Leben in den Bergen und wir sind daran gewöhnt.»

Die FDP-Nationalrätin Anna Giacometti erwähnt ebenfalls, dass man in den Bergen mit Naturgefahren lebe. Sie war die Gemeindepräsidentin von Bondo GR, als sich 2017 der Bergsturz mit acht Todesopfern ereignete.

Blatten Anna Giacometti
Die Bündner FDP-Nationalrätin Anna Giacometti will dort bleiben, wo sie verwurzelt ist – nämlich in den Bergen. - keystone

Auch Giacometti will dort bleiben, wo sie verwurzelt ist – nämlich in den Bergen. Die Bündnerin erwähnt aber neben der Überwachung einen für sie weiteren wichtigen Punkt: Nämlich, dass man die Bauzonen so plane, dass es keine direkten Gefahren gibt. «Man kann kein Haus unter einem Berg bauen, der sich bewegt.»

Experte nach Blatten: «Gefahr in den Bergen im ganzen Klein»

Aus den Bergen wegzuziehen, ist also für die dort lebenden Menschen keine Option. Und aus Expertensicht offenbar auch nicht angezeigt. Das sagt Josef Eberli, der Abteilungsleiter Gefahrenprävention beim Bundesamt für Umwelt. Wenn man über mögliche Risiken spreche, müsse man immer schauen, wie hoch der mögliche Schaden sei.

«Da relativiert sich die Gefahr in den Bergen», sagt Eberli. Dominierend in der Schadensstatistik sind demnach hierzulande Schäden bei Wind, Hagel und Hochwasser. Und der überwiegende Teil davon entstehe im Mittelland und nicht im Gebirge, so der Experte. «Fels-, Berg- oder Eisstürze machen nur zwei Prozent des Risikos aus.»

Eberli sagt weiter, dass Alpine Massenbewegungen im Permafrostbereich in den nächsten Jahren sicherlich zunehmen würden. Deshalb überwache der Bund das ganze Land mithilfe von Satellitenaufnahmen. Er betont, dass man damit auch in Zukunft wisse, wo sich bewegende Rutschmassen beschleunigen würden.

«Vor allem werden wir aber auch wissen, wo sie sich infolge des Permafrostes auftun.»

Umsiedlungen wohl unvermeidlich

Trotz allen Sicherheitsvorkehrungen sind aber wohl Umsiedlungen in Zukunft unvermeidlich. Ein ETH-Forscher hatte kurz nach dem Bergsturz von Blatten bereits geraten, solche zu prüfen.

Auch Eberli meint: «In Gebieten, in denen eine erhebliche Bedrohung für Menschen vorhanden ist, kann es die bessere Massnahme sein.» Das könne etwa der Fall sein, wenn Schutzmassnahmen zu teuer oder schlicht nicht möglich seien.

Blatten VS
Eindrückliche Bilder aus Blatten VS: Das ganze Dorf ist unter einem riesigen Schuttkegel begraben. - Keystone

Eberli warnt, dass die Schweiz künftig auch noch mehr mit Hochwasser und Rutschungen zu tun haben werde. «Das betrifft aber weniger das Hochgebirge, sondern eher die Voralpen, das Mittelland und den Jura.»

Kommentare

User #2541 (nicht angemeldet)

Wahrscheinlich muss das Dorf in der Region Fafleralp neu gebaut werden. Ob vom Kl.Nesthorn morgen oder in 1000 Jahren nochmals 10 Mio m3 Fels stürzen, kann auch mit einer Beobachtungseinrichtung nicht vorausgesagt werden. Da der Schutt nicht weggeräumt werden kann, das würde hunderte Mio kosten, und wohin damit, darf am alten Standort nicht mehr gebaut werden.. Über dem Schuttkegel wird Blatten noch früher verschüttet.

User #5269 (nicht angemeldet)

Obwohl ich die emotionale Bindung zum Ort gut verstehe - mir wäre eine Rückkehr in die Nähe nach diesem katastrophalen Ereignis zu gefährlich.

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