Windelfrei ab Geburt, nur Bio-Essen, kein Zucker, null Bildschirmzeit – im Netz leben junge Mamis «perfekte» Erziehung vor. Das setzt Eltern unter Druck.
Windelfrei
Schon ab Geburt erziehen einige Influencerinnen ihre Kinder windelfrei – und setzen aufs Töpfchen. - Tiktok

Das Wichtigste in Kürze

  • Im Netz inszenieren sich junge Eltern – vor allem Mütter – als nahezu «perfekt».
  • Sie behaupten, ihr Kind sei von Geburt an windelfrei gewesen und esse nie Zucker.
  • Das kann Stress auslösen – Mami Eli Simic und ein Kinderpsychologe üben Kritik.
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Viele Mami-Influencerinnen inszenieren sich auf Tiktok, Instagram und Youtube als nahezu unfehlbar. Ihr Kind sei von Geburt an windelfrei gewesen, sagt eine von ihnen – nennen wir sie Julia Diaz*.

Das Kleine bekomme nur Bio, keinen raffinierten Zucker und dürfe nie fernsehen. Mit einschneidenden Folgen: «Ich treffe mich nicht mit anderen Müttern, weil sie sich von mir getriggert fühlen», sagt sie.

Und damit ist Diaz nicht alleine: Die sozialen Medien sind voll von Videos von Eltern, die behaupten, ihr Kind habe null Bildschirmzeit. Es werde nur Bio ernährt. Es esse keinen Zucker.

Eli Simic: «Mütter haben gefragt, ob meine Tochter noch Windeln trage»

Das kann junge Eltern unter Druck setzen – und sorgt deshalb für Kritik. Ex-Bachelorette Eli Simic (35) ist selbst Mami einer kleinen Tochter. Sie hat sich von solchen Videos und Erwartungen schon gestresst gefühlt.

«Aber bis jetzt nur beim Thema windelfrei», sagt sie zu Nau.ch. «Vor allem das Schulsystem und andere Mütter haben mich unter Druck gesetzt.»

Kind
Solche Videos setzen junge Eltern teilweise unter Druck: Mami-Influencerinnen wie Julia Diaz*, die ihre Kinder mit null Bildschirmzeit erziehen ...
Windel
... ihnen von Geburt an keine Windeln anziehen ...
Erziehung
... auf Tiktok zeigen, wie sie praktisch nur bio kaufen und ihren Kindern keinen Zucker geben ...
Kinder
... oder ihr Kind gar in den zuckerfreien Kindergarten schicken.
Tiktok
Andere Eltern machen sich über diese «perfekten» Mamis und Papis lustig.
Zucker
Denn: Sie werfen ihnen vor, sich als besser zu inszenieren.
Eli
Auch Ex-Bachelorette und Influencerin Eli Simic hat sich schon von solchen Erwartungen unter Druck gesetzt gefühlt – nämlich beim Thema windelfrei.

Ihre Kleine sei in den Kindergarten gekommen, als sie gerade vier Jahre alt wurde. «Dort wird erwartet, dass das Kind keine Windeln mehr braucht – meine Tochter war aber noch nicht so weit. Ich wurde teilweise auf dem Spielplatz von anderen Müttern gefragt, ob meine Tochter wirklich noch Windeln trage.»

Das habe sie gestresst. Bis sie dachte: «Ich nehme mir jetzt den Druck weg. Wenn's nicht klappt bis zum ersten Kindsgi-Tag, dann ist es so. Und siehe da: Zwei Wochen später war sie trocken.»

«Nicht so darstellen, als wäre es besser als alles andere»

Sie hält von solchen Videos deshalb nicht viel. «Als Influencerin muss man sich bewusst sein, dass man viele Leute erreicht», sagt Simic.

Sie selbst teilt mit ihren fast 15'000 Followern viel Erfahrungen zum Mami-Sein. «Natürlich darf man eine Meinung haben. Aber es sollte nie so wirken, als sei so, wie man es macht, der einzige richtige Weg», sagt die St. Gallerin.

Simic
Eli Simic mit ihrer Tochter Mia. - Instagram/@eli_simic

Diaz' Erziehungsstil findet sie «extrem». «Wenn sie das will, soll sie das machen. Aber sie sollte es nicht so darstellen, als wäre das besser als alles andere.»

Sie persönlich fände es wichtig, ein gesundes Gleichgewicht zu finden. «Meine Kleine darf auch mal Chips oder Schoggi essen. Vorher gibt es aber Früchte oder Gemüse», so Eli. Es würde vielen Müttern Druck wegnehmen, wenn sie vieles erlauben würden – einfach im Mass.

«Schädlich»

Auch Erziehungswissenschaftlerin Tina Hascher von der Uni Bern kritisiert das Tiktok-Video von Julia Diaz. «Es ist aus entwicklungspsychologischer Sicht nicht realistisch. Jedes Kind ist individuell.»

Darin werde zudem eine Art «kindlicher Entwicklungswettbewerb» eröffnet. Ganz nach dem Motto «mein Kind kann oder konnte schon mit x Monaten ...»

Windelfrei ab Geburt – geht das?

«Das ist aus pädagogischer Sicht schädlich», stellt Hascher klar. «Es geht in der Erziehung ja nicht darum, dass ein Kind etwas möglichst schnell lernt. Es soll in seinem Tempo lernen können.»

Deshalb findet sie: «Ich würde jungen Eltern auf jeden Fall davon abraten, solche Videos zu schauen.» Es sei normal, dass man Orientierung oder Unterstützung brauche – die hole man sich aber besser von Fachpersonen.

*Name geändert

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