Eine Mutter redet ihrem Kind ein, Spätzli und Gemüsekuchen machten krank. Solches Schwarz-Weiss-Denken beim Essen ist verbreitet – eine Expertin warnt.
Karotte
Viele junge Eltern fühlen sich wegen Social Media unter Druck, ihre Kinder sehr gesund zu ernähren. Das kann auch Schaden anrichten. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Viele junge Eltern ernähren ihre Kinder krankhaft gesund.
  • Ein Grund ist Social Media: Dort werden unseriöse Tipps gegeben – und Druck ausgeübt.
  • Eine Expertin warnt davor, es mit der gesunden Ernährung bei Kindern zu übertreiben.
Ad

Eine Mutter steht mit ihren beiden Kindern – ein Baby und ein Kleinkind – am Buffet im Vegi-Restaurant Tibits. Die Restaurant-Kette ist bekannt für gesundes Essen – immer vegetarisch, oft sogar vegan. Und dennoch ist die Mutter skeptisch.

Das Kind will Spätzli mit Sauce. «Das würde ich dir gar nicht empfehlen, wenn du gesund bleiben willst», wehrt sie sofort ab. «Das macht krank.»

Quiche mit Gemüse? «Uh, dann aber nur ein Stück aus der Mitte, nicht eines mit Rand. So viel Teig macht krank.» Die Szenen spielen sich beim Brunch in Bern ab – und sorgen für verwunderte Blicke bei den anderen Gästen.

Eltern ist oft nicht bewusst, welchen Schaden sie anrichten

Die Aussagen der Mutter machen auch die Zürcher Psychotherapeutin Veronica Defièbre stutzig. Sie warnt: «Ich habe einige Patientinnen und Patienten, denen als Kind erklärt wurde, was gutes und schlechtes Essen ist. Das hat sie stark geprägt.»

Eine Mutter habe sogar von «bösem Essen» gesprochen. Defièbre warnt: «Das verknüpft bei Kindern Essen mit Angst, was schwierig ist.» Glaubenssätze, die sie bis ins Erwachsenenalter begleiten können – das sieht Defièbre bei etlichen ihrer essgestörten Patientinnen.

Beiz
Das Restaurant Tibits ist eigentlich bekannt für gesundes Essen – alles ist vegetarisch, vieles gar vegan. (Archivbild)
Tibits
Dennoch ist eine junge Mutter skeptisch – sie warnt ihr Kind vor Gemüsekuchen und Spätzli. Das mache krank. (Archivbild)
Aussagen
Vor solch absoluten Aussagen warnt Psychologin Veronica Defièbre. (Symbolbild)

«Das würde auch auf die Mutter im Beispiel zutreffen, wenn sie von krankmachendem Essen spricht. Sofern das Kind keine Allergien hat – es ist natürlich unklar, was hinter ihren Aussagen steckt.»

Zusammengefasst: Spricht man als Eltern von «bösem» oder «krankmachendem» Essen, kann das schlimmstenfalls zu Essstörungen bei den Kindern führen. «Vielen Eltern ist gar nicht bewusst, was sie mit solchen Äusserungen auf lange Hinsicht anrichten können. Sie wollen den Kindern damit ja nicht schaden, sondern helfen», sagt Defièbre.

Aktuelle Eltern-Generation ist von Gesund-Hype geprägt

Das Thema betrifft aktuell besonders viele Familien: «Es wird nun langsam eine Generation Eltern, die sehr von der Beschäftigung mit gesunder Ernährung geprägt ist.» Das hat auch mit Social Media zu tun – viele fühlen sich laut der Expertin deshalb unter Druck, alles richtigzumachen.

«Die richtige Ernährung wird als Heilmittel für ganz vieles – körperliche, aber auch psychische Leiden – gesehen. Das hat zum Teil seine Berechtigung, treibt aber speziell auf den sozialen Medien teils wilde Blüten.»

Sie empfehle deshalb eine seriöse Ernährungsberatung, statt «als alles unreflektiert zu übernehmen, was Influencer auf Instagram und Co. posten».

Wie würden Sie Ihre Kinder beim Thema Ernährung erziehen?

Es sei aber klar, dass die so sensibilisierte Eltern-Generation will, dass ihre Kinder so gesund wie möglich aufwachsen. «Da gehört dazu, dass sie ihnen Vorgaben beim Essen machen», sagt Defièbre. Es gebe dazu viele sinnvolle Inputs. Aber es kann eben auch so weit gehen, dass Eltern sich krankhaft mit gesundem Essen beschäftigen.

«Dafür gibt es inzwischen einen eigenen Krankheitsbegriff: die Orthorexie.» Das Krankheitsbild bezeichnet Menschen, die sich über ein normales Mass hinaus mit gesunder Ernährung beschäftigen. Das kann zu gestörtem Essverhalten führen. «Das begegnet mir in der Praxis sehr häufig», sagt Defièbre.

Expertin warnt vor Schwarz-Weiss-Denken beim Essen

Aber: «Bei den meisten Eltern in meiner Praxis habe ich kein so extremes Verhalten ihren Kindern gegenüber beobachtet.» Die meisten seien bemüht, dem Nachwuchs einen offenen Zugang zu Essen zu vermitteln.

«Nur – das Beispiel der Mutter im Tibits und auch viele Profile in sozialen Medien zeichnen ein anderes Bild: ein deutliches Schwarz-Weiss-Denken», beobachtet die Expertin. «Da gibt es dann tatsächlich schädliches, krankmachendes und gesundes Essen, was in der Absolutheit sicher problematisch ist.»

Mass halten ist angesagt

Essen absolut verbieten oder als krankmachend abzustempeln, ist also nicht die Lösung. Doch wie sollte man stattdessen die Kids dazu bringen, sich nicht nur von Überraschungseiern und Chicken Nuggets zu ernähren?

«Ich denke, es ist wichtig, möglichst wenig wertende Begriffe zu verwenden. Vielmehr sollte man über die möglichen Konsequenzen der verschiedenen Nahrungsmittel sprechen. Also beispielsweise erklären, warum Zucker in grossen Mengen schädlich sein kann.»

Kinder
Eine Expertin rät, in der Erziehung keine wertenden Begriffe für Essen zu benutzen – stattdessen sei es gut, zu erklären, warum einige Lebensmittel weniger gesund sind. (Symbolbild) - pexels

Ernährung sei aber grundsätzlich ein schwieriges Feld. Denn: Es gibt viele Meinungen und Erkenntnisse, die bald widerlegt werden. «Eine Devise, die bislang nicht widerlegt wurde und die mir hilfreich scheint, ist: Bei Nahrungsmitteln ist es vor allem die Menge, die sie schädlich werden lässt.»

Angesagt ist also Masshalten. «Wenn wir versuchen, möglichst vielseitig und ausgewogen zu essen, laufen wir am wenigsten Gefahr, uns ungesund zu ernähren. Zeigen wir das unseren Kindern, vermeiden wir, ihnen ein ungesundes Essverhalten weiterzugeben.»

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

InstagramMutterAngst