Haftbefehl ist «clean»: So schwierig ist der Kokain-Entzug
Haftbefehl erzählt seinen Fans: «Ich bin clean.» Bei Nau.ch erzählen nun zwei Menschen von ihrem Entzug. Raul hat es geschafft. Manuele noch nicht.

Das Wichtigste in Kürze
- Haftbefehl sagt nach der Netflix-Doku über sein Leben mit Kokain: «Ich bin clean.»
- Aufhören ist schwierig. Clean vom Kokain zu bleiben, ist sehr schwierig.
- Das weiss der Aargauer Raúl. Bei Nau.ch erzählt er, wie er von der Droge wegkam.
- Manuele* ist derzeit in der Klinik Selhofen. Er ist noch immer Kokain-abhängig.
- «Ich versuche seit neun Jahren aufzuhören», sagt er im Gespräch mit Nau.ch.
«Ich bin clean. Scheiss auf Drogen.» Haftbefehl teilt seinem Publikum nach der Netflix-Doku über sein Leben und den Kokain-Konsum freudige Nachrichten mit.
Mit dem Kokain aufzuhören, ist schwierig. Clean zu bleiben auch. Bei Nau.ch erzählen nun zwei Menschen von ihren Erlebnissen mit der Droge Kokain.
Aargauer Raúl gab eine halbe Million Franken für Koks aus – und ist clean
Der Aargauer Raúl Marugan hat den Ausstieg geschafft. Elf Jahre lang konsumierte der heute 29-Jährige Kokain. Für die Droge hat er nach eigenen Angaben eine halbe Million Franken ausgegeben.
Heute nutzt er seine Social-Media-Kanäle, um junge Leute aufzuklären.
«Seit Januar 2024 bin ich clean», erzählt er bei Nau.ch. «Ich habe zuerst mit Alkohol aufgehört, dann mit Kokain. Ich machte zwei Klinikaufenthalte – zweimal Entzug, zweimal Langzeittherapie.»
Raúl konsumierte sehr viel. «In den letzten zwei Konsum-Jahren gingen zehn bis 40 Gramm in der Woche drauf. Es gab Tage, da konsumierte ich sieben Gramm am Tag. Ganz allgemein gesagt: Ich konsumierte, bis alles weg ist.»
Das Kokain finanzierte er sich auch durch Dealen. «Ich holte meistens zehn, fünfzehn Gramm, machte daraus 0,7-Gramm-Seckli. Drei, vier verkaufte ich im Ausgang, den Rest nahm ich selbst. Meistens habe ich zwei bis sechs Tage am Stück durchkonsumiert.»
«Ich hatte über 300 Rückfälle»
Sein Ausstieg? «Es war unglaublich schwierig. Ich hatte über 300 Rückfälle, lief immer wieder in die gleiche Wand. Ich sehe Sucht als reine Kompensation für die innere Gefühlswelt. Du versuchst von aussen etwas zu nehmen, damit es innen ruhiger wird.»

Die Rückfall-Gefahr bezeichnet Raúl als «sehr, sehr, sehr gross. Kokain gibt dir sehr viel. Dieses ‹Unsterblichkeits-Gefühl› ist das Problem.»
«Ich fühlte mich wie der Stärkste im Raum»
Unsterblich bedeutet: «Unsicherheit? Ist plötzlich weg. Angst? Ist weg.»
Und: «Man wird sozialer, es kann dich fokussierter machen. Man hat schärfere Gedanken, Allmachts- und Gottesfantasien. Man fühlt sich sehr selbstbewusst – ja, ich fühlte mich wie der Stärkste im Raum.»
Kokain habe ihm immer das Gefühl gegeben, die beste Version von sich selbst zu sein. «Von aussen denkt man: Der ist ja voll sozial, kann auf Menschen zugehen. Dabei ist er komplett in einer eigenen Welt. Und es raubt ihm gerade seine Seele.»
Raúl hat keine Angst vor Rückfällen – «Leute können vor mir koksen»
Angst, Schuld, Scham, fehlende Zugehörigkeit: Welches Gefühl man mit Kokain überdeckt, das sei bei jedem unterschiedlich. «Das lernt man beim Ausstieg.»
Bei ihm selbst war es ein emotionales Trauma, das er durch Vernachlässigung als Kind erlebte. Seine Mutter war aufgrund einer Beinbehinderung überfordert.

Angst, dass er wieder rückfällig wird, hat Raúl nicht mehr. «Nicht mehr rückfällig wird man dann, wenn man seine Themen aufgearbeitet hat. Ich habe keine Lust mehr darauf und will nichts mehr damit zu tun haben.» Leute können heute neben ihm trinken oder koksen, es störe ihn nicht.
Was ihm noch fehle, um ganz clean zu werden: «Ich rauche noch Zigaretten.»
Manuele* ist wieder in der Klinik – zum 20. Mal
Noch nicht clean ist Manuele D.* Der 46-Jährige kämpft derzeit in der Klinik Selhofen in Burgdorf dafür. Er hat schon zwanzig Therapien gemacht – sieben in Selhofen.
«Seit neun Jahren versuche ich aufzuhören. Mit 37 fing ich an, erste Aufenthalte in Kliniken zu praktizieren. Danach die ersten Langzeit-Therapien.»

Sein Ziel ist, endgültig von der Droge wegzukommen. «Ich konsumiere seit 24 Jahren Kokain. Es ist ein heimtückischer, langer Prozess. Die Ratte habe ich gegessen, jetzt fehlt noch der Rattenschwanz», fasst er seine aktuelle Aufhör-Situation zusammen. «Und der ist hartnäckig.»
«Ich verfluche Kokain»
Seit acht Tagen ist Manuele nun wieder in Selhofen. Die letzte Linie konsumierte er vor neun Tagen. «Ich verfluche Kokain. Ich bin nicht gerne in diesem toxischen Zustand.»
So konsumiere er nicht, um einfach «eine Scheibe» zu haben.
Das macht den Ausstieg trotzdem nicht leicht. «Es ist eine eingefressene, festgefahrene Verhaltensweise, die man einfach macht. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich rückfällig geworden bin.»
Unterschieden wird übrigens zwischen Vorfällen (einmaliger Konsum), Rückfällen (mehrmaliger Konsum nach der Stabilität) und Abstürzen.
Manuele*: Darum gehe ich immer wieder in die Klinik
Die «Impuls-Verluste», wie sie Manuele nennt, sei er stückchenweise am Ablegen. Etwas habe sich bereits geändert. Er hole sich heute viel eher Hilfe als früher.
«Ich interveniere viel schneller, bevor ich wieder in die Spirale reinkomme. Klinik-Aufenthalte helfen mir, um den Stecker herauszuziehen. Ich finde wieder zu mir, bekomme einen klaren Kopf. Die Drüsen schütten wieder normale Eigenschaften aus.»
Unter Patienten merke man gut, wo das Gegenüber gerade steckt – und was der andere noch vor sich hat.
So fing alles an: «Am Anfang war ich noch der Dirigent»
Die erste Linie konsumierte Manuele als 22-Jähriger. Er habe das Pulver «einfach mal angelangt». Er sei in einer Freundesgruppe gewesen, die öfters im Ausgang war. So kam er mit dem Stoff in Verbindung.
«Am Anfang war ich der Dirigent. Ich bestimmte, ob ich am Wochenende konsumiere oder nicht. Dann vermehrte es sich schleichend. Ab 30 wurde es chronisch, ich konsumierte täglich.»
Manuele hing nie nur auf der Gasse herum. Er studierte und arbeitete immer. Gleichzeitig erlebte er Totalabstürze.
Jungen Menschen, die noch nie konsumiert haben, rät Manuele: «Ohne ist es definitiv besser. Es ist es nicht wert. Der Rausch ist ein Kurz-Zustand.»
Die Schäden – nebst der Gesundheit – dafür umso langwieriger. «Es stumpft alles ab. Das Mitdenken, die Sozialkompetenz, man vernachlässigt alles.»
Darum ist die Rückfallgefahr bei Kokain so hoch
Mehdi Safavi ist Chefarzt in der Suchtfachklinik Zürich. Er sagt, dass es sehr individuell sei, ob oder wann jemand den Ausstieg schaffe. «Wie bei allen psychischen Erkrankungen gehen wir bei der Entstehung der Sucht von einem multifaktoriellen Ursprung aus. Bestehend aus biologisch-psychologischen und sozialen Faktoren.»

Die Behandlungsdauer in der Suchtfachklinik Zürich, welche stationär läuft, liege im Schnitt bei sechs bis acht Wochen.
Auch Safavi sagt aber: «Die Rückfallgefahr ist bei Kokain als hoch einzustufen. Da Kokain, insbesondere die Crackform, ein sehr hohes psychisches Abhängigkeitspotential hat. Das Verlangen nach erneutem Konsum, das sogenannte Craving, ist bei Kokain besonders stark ausgeprägt.»
Das passiert, wenn Suchtkranke den Kokain-Hunger nicht stillen
Sucht Schweiz unterstreicht, dass die stimulierende Wirkung von Kokain sehr stark, aber nur von kurzer Dauer sei. «Danach kommt das Verlangen nach mehr auf. Wenn die euphorischen Gefühle abklingen, kann das Verlangen nach einer weiteren Dosis zwanghaft werden.»
Werde nicht nachgelegt, dann können entgegengesetzte Gefühle während des «Coming-Downs» auftreten: Gereiztheit, Versagensgefühle, depressive Verstimmungen.
Der wiederholte Gebrauch der Droge werde rasch zu einem Reflex (Kokainhunger), der progressiv in eine starke psychische Abhängigkeit münde.
Die Rückfall-Quoten bei Kokain sind hoch – die Gründe
Gründe für die hohen Rückfallquoten gibt es viele.
Die Substanz führt zu einem starken und schnellen Dopaminanstieg. Die psychische Abhängigkeit steht im Vordergrund. Der Konsum erzeugt kein Sättigungsgefühl.

Weiter gibt es keine Medikamente, die direkt gegen das Verlangen helfen. Kokain kann also nicht substituiert werden. Der Suchtdruck kann sehr gross sein.
Und: Die Substanz wirkt nur kurz und das Suchtgedächtnis bildet sich rasch, es wird nicht gelöscht. Es genügen kleine Anreize, um das Verlangen nach Kokain zu aktivieren.
*Der Name von Manuele wurde geändert


















