Einkaufstouristen sollen tricksen – «Konstanz schon überfüllt»
Die Halbierung der Zollfreigrenze pro Kopf wird durch volle Autos ausgehebelt. Deutsche Detailhändler wie Edeka werben damit offensiv um Schweizer Kundschaft.

Das Wichtigste in Kürze
- Die Halbierung der Zollfreigrenze soll den Einkaufstourismus bremsen, zeigt aber Lücken.
- Gruppen nutzen den Freibetrag pro Person – sogar Babys zählen mit.
- Händler wie Edeka oder Hieber werben gezielt mit Gruppeneinkäufen für Schweizer Kunden.
Seit Anfang Jahr dürfen Schweizer nur noch Waren für 150 Franken pro Person und Tag aus dem Ausland zollfrei einführen. Vorher lag die Grenze bei 300 Franken.
Ziel der neuen Regelung: den Einkaufstourismus bremsen, durch den der Schweizer Detailhandel jährlich Milliarden verliert.
Mit dem Baby zur Grenze
Doch nur wenige Monate nach Inkrafttreten zeigt sich: Die Regel lässt sich einfach umgehen. Wer nicht allein, sondern mit Familie oder Freunden einkauft, kann den Freibetrag pro Kopf mehrfach ausschöpfen. Sogar Babys zählen mit.
Laut der «NZZ» bilden sich Fahrgemeinschaften, um möglichst effizient einkaufen zu können. Das Motto: Mehr Leute, mehr Freibetrag. Für eine vierköpfige Familie ergibt das so einen Freibetrag von 600 Franken.
Deutsche Händler machen sich diesen Trick zunutze. Läden wie Edeka Südwest werben gezielt mit dem Gruppen-Shopping. Aber auch bei Marktkauf oder Hieber stehen entsprechende Plakate.

Darauf zu sehen: eine fröhliche Schweizer Familie in einem Cabrio mit dem Schriftzug «600 CHF Freibetrag». Dazu der Slogan: «Gemeinsam einkaufen, gemeinsam sparen.»
«Hürden wie die Zollfreigrenze müssen abgebaut werden»
Handelt es sich um eine Panikreaktion auf die halbierte Zollfreigrenze? Und ist es angebracht, die Schweizer zu deren Umgehung zu ermuntern? Bei den nördlichen Nachbarn gibt man sich diesbezüglich eher wortkarg.
Edeka Südwest schreibt auf Anfrage von Nau.ch lediglich: «Selbstverständlich haben wir ein Interesse daran, mit unserer Werbung auch unsere Kundinnen und Kunden aus der Schweiz anzusprechen.»
Auch zu den Auswirkungen der neuen Freigrenze auf die Kundenfrequenz macht der Unternehmensverbund keine Angaben.

Der Handelsverband Baden-Württemberg äussert sich ebenso wenig zu den Werbeaktionen einzelner Händlerinnen und Händler.
Hingehen sehe man die verschärfte Zollfreigrenze aus Sicht des Einzelhandels kritisch, sagt Sprecher Michael Heinle: «Hürden wie die Zollfreigrenze müssen nach Möglichkeit abgebaut werden.»
Nur so könne der Lebensrealität der Menschen im Grenzraum, die grenzübergreifend stattfinde, gerecht werden.
Schlaflose Nächte bereitet die Verschärfung der Freigrenze dem Handelsverband aber nicht. Durch das niedrigere Preisniveau in Deutschland sei «der Einkauf für Schweizerinnen und Schweizer in Deutschland nach wie vor attraktiv».
Kampagne macht «keine neue Aussage»
Auf Schweizer Seite hält sich die Aufregung über die deutschen Plakate zwar in Grenzen. «Ausser der reduzierten Wertfreigrenze macht diese Kampagne keine neue Aussage», sagt Urban Ruckstuhl.
Er ist Mitglied der Geschäftsleitung und Sektionspräsident Kreuzlingen bei TG Shop, dem kantonalen Dachverband der Thurgauer Detailfachhandelsgeschäfte.
Bereits mit einer Wertfreigrenze von 300 Franken habe dank mehr Köpfen mehr steuerfrei in die Schweiz eingeführt werden können.
Dennoch stellt Ruckstuhl die Sinnhaftigkeit der Werbung infrage:
«Ob man Anwohnern und einheimischen Konsumenten im zeitweise eh schon überfüllten Konstanz eine Freude macht, wenn der Einkaufstourist aufgefordert wird, nicht mehr alleine, sondern sogar mit der ganzen Familie einzukaufen, steht auf einem anderen Blatt.»
Die Wettbewerbsverzerrung gegenüber Schweizer Läden bestehe indes unabhängig von solchen Aktionen, sagt Ruckstuhl:
«Solange eine Wertfreigrenze und die Möglichkeit zur Rückerstattung der Mehrwertsteuer bestehen, ist das System nicht gerecht. Es entsteht Bürokratie und Grenzkontrollen sind nötig, damit nicht ungerechtfertigt Waren eingeführt werden.»
Politisch fordert Ruckstuhl einen klaren Schritt: «Um gleich lange Spiesse zu schaffen, wäre die Abschaffung der Wertfreigrenze der einzig richtige Weg.» So müssten Einkaufstouristen alles verzollen – und nicht erst ab 150 Franken.
Schliesslich gebe es «keinen vernünftigen Grund, weshalb der Schweizer Steuerzahler Einkäufe im Ausland subventionieren soll».