«Druck»: Fremdgeh-Klischees belasten Bisexuelle beim Dating

Riccardo Schmidlin
Riccardo Schmidlin

Bern,

Bisexualität wird oft übersehen – und kann schwere Folgen haben: ständige Zweifel, Vorurteile und das Gefühl, sich immer wieder rechtfertigen zu müssen.

Pride Bern
Mehrere Tausend Personen zogen Anfang August durch die Strassen Berns und demonstrierten für queere Menschen. Doch selbst innerhalb der Community werden Bisexuelle oft übersehen. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Viele Bisexuelle outen sich nicht und werden auch nicht als solche erkannt.
  • Diese Unsichtbarkeit belastet Bisexuelle – auch in der queeren Community und beim Dating.
  • Betroffene wünschen sich mehr Akzeptanz.
  • Ein Comic und Netlix-Hit soll zeigen, in welche Richtung es geht.

Bisexuelle seien untreu, flatterhaft oder könnten sich nicht für eine sexuelle Orientierung entscheiden. Vorurteile wie diesen begegnen Betroffene Tag für Tag.

Sie belasten den Alltag und erschweren das Dating. Denn selbst innerhalb der LGBTIQ+-Community gibt es keinen sicheren Schutzraum vor Vorurteilen.

LGBTIQ+ ist ein Sammelbegriff und steht für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, intergeschlechtliche und queere Menschen.

Bisexualität
Eine bisexuelle Frau berichtet über die Enttäuschungen beim Dating. - Screenshot Tiktok/@iheartcigarettesafterseg

Auf Tiktok ging kürzlich der Post einer bisexuellen Frau viral: «Bi zu sein ist so schwer. Denn wenn ich mir vorstelle, einen Mann zu heiraten, habe ich das Gefühl, mich selbst zu verstecken. Aber eine Frau zu heiraten, fühlt sich genauso an – nur mit einer zusätzlichen Enttäuschung seitens meiner Familie.»

Viele Userinnen stimmten zu. «Wann immer ich date, vermisse ich das andere», schrieb eine zum Beispiel.

Handelt es sich dabei um verinnerlichte Vorurteile?

«Ja», sagt Lea Mishra vom Verein «Bisexuell Schweiz» auf Anfrage von Nau.ch.

«Das Spannungsfeld entsteht weniger aus der Beziehungsform selbst, sondern vor allem aus Unsichtbarkeit und fehlender Akzeptanz.»

Bisexuelle müssen ihre Sexualität ständig «beweisen»

In gleichgeschlechtlichen Partnerschaften würden Bisexuelle meist automatisch als lesbisch oder schwul eingeordnet, in verschiedengeschlechtlichen als hetero.

«Das führt zu Minderheitenstress, erschwert Zugehörigkeit und verstärkt das Gefühl, nie ganz anerkannt zu sein.»

Hinzu komme: «Viele verspüren den Druck, ihre Bi-Identität nach aussen ‹beweisen› zu müssen. Dieser ständige Rechtfertigungsdruck kann zu tiefer Verunsicherung führen – und sogar zu innerer, also intrinsischer, Biphobie beitragen.»

Eine Befragung des Schweizer LGBTIQ+ Panels bestätigt das: «Vorurteile gegenüber bi- und pansexuellen Menschen sind stark verbreitet», sagen die Forschenden Tabea Hässler und Léïla Eisner gegenüber Nau.ch.

«Bi- und pansexuellen Personen wird vorgeworfen, untreu zu sein, sich nicht entscheiden zu können. Oder, dass ihre sexuelle Orientierung nur eine Phase sei. Dies widerspricht eindeutig wissenschaftlichen Befunden.»

Ob jemand monogam lebt oder mehrere Partnerschaften hat, hänge zudem nicht von der sexuellen Orientierung ab.

Viele Bisexuelle outen sich erst gar nicht – und zahlen «hohen Preis»

Das Problem: Bisexualität bleibt oft unsichtbar. Rund ein Drittel der 6000 Teilnehmenden des Schweizer LGBTIQ+ Panels identifiziert sich als bi- oder pansexuell.

Aber: Nur ein kleiner Teil ist im engen Umfeld tatsächlich geoutet.

Bisexuell und pansexuell – eine kurze Orientierung

  • Bisexuell beschreibt Personen, die sich zu mehr als einem Geschlecht oder Geschlechtsidentität hingezogen fühlen.

    Pansexuell bezeichnet Menschen, die unabhängig vom Geschlecht oder der Geschlechtsidentität romantische oder sexuelle Anziehung empfinden.

    Laut dem Schweizer LGBTIQ+-Panel bevorzugen vor allem jüngere und nicht-binäre Menschen zunehmend das Label pansexuell.

  • Schon in den 1950er-Jahren zeigte der Sexualforscher Alfred Kinsey mit seinen Untersuchungen und der Kinsey-Skala, dass sexuelle Orientierung keineswegs nur in die Kategorien homo- oder heterosexuell passt, sondern viele Abstufungen dazwischen existieren.

Ein Grund: Anders als homo- oder heterosexuelle Menschen outen sich Bi-Personen nicht automatisch über ihre Beziehung.

«Ist eine bisexuelle Frau mit einem Mann zusammen, wird sie als heterosexuell gelesen. Ist sie mit einer Frau zusammen, als lesbisch», erklärt Bi-Aktivistin Lea Mishra.

Zwar könne diese Unsichtbarkeit mitunter auch ein Schutz vor Anfeindungen sein. Doch Betroffene zahlten dafür einen «hohen Preis», da die eigene Identität unsichtbar bleibt und verleugnet wird.

Kennst du jemanden, der bisexuell ist?

Sowohl von der Mehrheitsgesellschaft als auch innerhalb queerer Räume erleben Bi- und Pansexuelle Diskriminierung.

Die Forschenden Hässler und Eisner erklären: «Die Doppelstigmatisierung führt dazu, dass viele ihre sexuelle Orientierung verstecken, leugnen und sich selbst infrage stellen. Abwertende Sprüche und das Gefühl, unsichtbar zu sein, wirken sich negativ auf die Gesundheit aus.»

Bi-Frauen werden «hypersexualisiert» – Bi-Männern wird Bisexualität abgesprochen

Lea Mishra ergänzt: «Bisexuelle Frauen werden häufig hypersexualisiert. Sie werden zudem mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden sich am Ende doch immer für einen Mann entscheiden. Bisexuellen Männern wird dagegen oft abgesprochen, Frauen wirklich zu begehren – sie seien ‹eigentlich schwul›.»

Auch in der Öffentlichkeit kommt Bisexualität kaum vor. «Das Wort ‹bisexuell› fällt nur selten», so Mishra. «Selbst öffentlich geouteten Persönlichkeiten wird oft ein anderes Label zugeschrieben.»

Ein Beispiel sei die Zürcher Nationalrätin Anna Rosenwasser, die trotz ihres Coming-outs als bisexuell häufig als «lesbisch» bezeichnet wird.

Anna Rosenwasser
Die heutige SP-Nationalrätin Anna Rosenwasser machte sich als Geschäftsführerin der Lesbenorganisation LOS einen Namen. Dabei wurde sie versehentlich als «lesbisch» statt als «bisexuell» wah - keystone

Und selbst in queeren Büchern können Klischees reproduziert werden, wie Milena Leutert von der Berner Buchhandlung «Queer Books» weiss.

«Bei der Repräsentation von Bisexualität in der Literatur geraten manche Schreibende in einen Clinch», sagt sie zu Nau.ch. «Wenn ein Charakter innerhalb der Romanhandlung seine Bisexualität mit Taten oder Beziehungen beweisen muss, wirkt er schnell flatterhaft oder unentschlossen.»

Bisexualität werde in der Literatur insgesamt selten behandelt – oder nur am Rand.

Viele Bücher aus männlicher Sicht geschrieben

Wie bei Literatur generell sei auch queere und damit bisexuelle Literatur ein Spiegel der Gesellschaft. «Lange hat der ‹Male Gaze› dominiert, wodurch gerade bisexuelle Frauen oft fetischisiert wurden. Doch wir kommen einer realeren Repräsentation immer näher.»

Für bisexuelle Lesende können stereotype Darstellungen aber durchaus belastend sein. «Sie zementieren Vorurteile von aussen und verstärken innere Zweifel», sagt Leutert.

Liest du gerne romantische Bücher?

Viele Bisexuelle hinterfragen ohnehin ihre Identität, etwa wenn sie bisher nur zu einem Geschlecht Beziehungen hatten. «Wenn Bücher dann suggerieren, man sei nicht ‹richtig bi›, kann das diese Verunsicherung verstärken.»

Andere störten sich an den Klischees schlicht aus demselben Grund, aus dem Frauen konservative Rollenbilder kritisieren: «Sie wirken überholt, veraltet und sind oft aus einer männlichen Perspektive geschrieben.»

Es gebe jedoch auch positive Beispiele, die ein differenzierteres Bild zeichnen.

«In einigen Büchern mit bisexuellen Hauptpersonen wird die Bisexualität zwar erwähnt oder angedeutet. Aber sie ist nicht die Haupthandlung», sagt Leutert. «Das wirkt natürlicher und weniger aufgesetzt.»

Bisexuelle Comic-Figur für viele ein Vorbild

So sei etwa Nick Nelson aus der Comicreihe «Heartstopper» ein gutes Beispiel: «Er muss seine Bisexualität nicht ‹beweisen›, indem er Beziehungen zu verschiedenen Geschlechtern eingeht.»

Das wirkt: «Heartstopper» wurde inzwischen verfilmt und ist zu einem internationalen Netflix-Hit geworden. Der Brite Kit Connor (21) spielt den bisexuellen Protagonisten.

Und: In der diesjährigen Umfrage des LGBTIQ+ Panels haben viele Befragte Nick Nelson als Vorbild angegeben.

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