Diskussion um Suizidkapsel: Ethiker fordern bessere Regulierung
Die Ankündigung eines Einsatzes der Suizidkapsel lanciert die Diskussion über die Suizidhilfe in der Schweiz neu. Ethiker sprechen sich für eine strengere Regulierung und Aufsicht aus. Behörden fühlen sich aber (noch) nicht zuständig, allfällige rechtliche Anpassungen vorzunehmen.
Bereits 2005 und 2006 forderte die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK), dass eine detaillierte rechtliche Regelung für Freitod-Begleitorganisationen geschaffen werden sollte. Diese sollte unter anderem eine Aufsichtspflicht über die Organisationen beinhalten. Das wurde aber bisher unterlassen.
Ein Einsatz der Suizidkapsel Sarco könnte nach Ansicht von NEK-Präsident Markus Zimmermann jetzt allenfalls dazu führen, dass es schneller zu einer entsprechenden Gesetzgebung kommt. Suizidhilfe ist aktuell in der Schweiz nur strafbar bei selbstsüchtigen Motiven. Die Suizidhilfe sei damit nur wenig geregelt, so der Freiburger Moraltheologe und Ethiker.
Einführung einer Betriebsbewilligung
Die NEK hat sich bisher nicht offiziell zur Suizidkapsel der Firma The Last Resort geäussert. NEK-Präsident Zimmermann erklärt auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA, er persönlich beurteile deren Geschäftspraxis aufgrund der vorliegenden Informationen aus ethischer Sicht äusserst skeptisch. Die Stiftung Dialog Ethik ruft ebenfalls zu Vorsicht auf. Ohne Sicherstellung von Transparenz, einer ethischen Praxis und der Abwesenheit von Gewinnmotiven sei das Wohl der Patientinnen und Patienten gefährdet, erklärt Institutsleiter Jürg Streuli auf Anfrage.
«Solche Organisationen bedürfen einer strengen Regulierung und Aufsicht. Um ethische Standards zu gewährleisten», so Streuli. Dialog Ethik befürworte daher eine Betriebsbewilligung aller Organisationen, die bei Suiziden assistierten und neue Geräte wie die Suizidkapsel sollten genehmigt werden.
Wenig von der Einführung einer Betriebsbewilligung für Freitod-Begleitorganisationen hält man hingegen bei der Sterbehilfe-Organisation Exit Deutsche Schweiz. «Die gesetzliche Regelung der Freitodbegleitung in der Schweiz ist vollständig, ausgewogen und ausreichend», betont Exit-Sprecherin Danièle Bersier. Auch ohne explizite gesetzliche Regelungen finde organisierte Suizidhilfe keineswegs in einem regelfreien Raum statt.
Strafverfahren angekündigt
Für NEK-Präsident Zimmermann ist die Geschäftspraxis von The Last Resort in keiner Weise mit derjenigen von Exit Deutsche Schweiz vergleichbar. Die Praktiken von Dignitas seien ebenfalls umstritten, weil hier ausschliesslich sterbewillige Personen aus dem Ausland Suizidhilfe erhielten. Ausserdem gewähre Dignitas fast keine Einblicke in ihre Praktiken.
In der Schweiz sind laut Zimmermann inzwischen rund acht Sterbehilfeorganisationen aktiv. In Zugzwang dürften die Behörden spätestens dann geraten, wenn die Suizidkapsel erstmals in der Schweiz eingesetzt wird. Die Staatsanwaltschaften mehrerer Kantone haben bereits angekündigt, dass sie Strafverfahren einleiten würden, sollte die Suizidkapsel in ihrem Zuständigkeitsbereich verwendet werden.
Laut der Schweizerischen Staatsanwaltschaftskonferenz (SSK) schafft die Suizidkapsel aber keine neue Situation, sondern «bietet eine andere Art der Selbsttötung als die Injektion einer tödlichen Substanz». Im Falle eines nicht natürlichen Todes sehe die Strafprozessordnung jeweils eine Voruntersuchung der Staatsanwaltschaft zu den Umständen und Ursachen des Todes vor. Dies sei bei Exit- oder Dignitas-Suiziden der Fall und werde auch der Fall sein, wenn eine Suizidkapsel verwendet werde.
Suizidhilfe in der Schweiz nimmt zu
Nicht äussern will sich SSK-Vizepräsident Fabien Gasser zu einer möglichen Einführung einer Betriebsbewilligung für alle Freitod-Begleitorganisationen. Nicht zuständig für eine allfällige Bewilligung der Suizidkapsel sehen sich auf Anfrage die Arzneimittelbehörde Swissmedic, das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco).
Die Suizidhilfe in der Schweiz nimmt laut dem Ethiker Zimmermann seit einigen Jahren stark zu. Es handelt sich aber um weniger als zwei Prozent aller Todesfälle. Andere Formen der Sterbehilfe, etwa durch den Verzicht oder Abbruch von lebenserhaltenden Massnahmen, würden weitaus häufiger praktiziert. Im vergangenen Jahr schieden mit Exit Deutsche Schweiz 1252 Personen aus dem Leben.