Darum boomt Einkaufstourismus – auch wenn er sich weniger lohnt
Schweizer Einkaufstouristen staunen, dass sich das Shopping ennet der Grenze kaum mehr lohnt. Trotzdem boomt der Einkaufstourismus weiter. Das steckt dahinter.

Das Wichtigste in Kürze
- Schweizer überschätzen die Preisvorteile im Ausland stark.
- Der Einkaufstourismus boomt trotz sinkender Preisunterschiede.
- Hiesige Discounter senken die Preise und machen so den Einkauf in der Schweiz attraktiver.
Schweizer Einkaufstouristen überschätzen die Preisvorteile im Ausland erheblich. Das zeigt eine aktuelle Studie der Universität St. Gallen.
Gemäss der Untersuchung schätzen Schweizer Einkaufstouristen Waren in der Schweiz rund 66 Prozent teurer ein als im grenznahen Ausland. Etwa bei Bananen, Milch oder Fleisch.
Der tatsächliche Preisunterschied in den fünf untersuchten Warengruppen liegt aber nur bei durchschnittlich 40 Prozent. Das entspricht einer Überschätzung von 26 Prozentpunkten.

Insbesondere Lebensmittel, Sportartikel und Einrichtungsgegenstände werden im Ausland als viel günstiger eingeschätzt.
Preise sind teils sogar günstiger als im Ausland
Nichtsdestotrotz: Der Einkaufstourismus boomt. Im Jahr 2025 geben Schweizerinnen und Schweizer 9,2 Milliarden Franken aus. Im Vergleich zum Jahr 2022 ist das ein Anstieg von zehn Prozent.
Auch die Senkung der Wertfreigrenze Anfang Jahr von 300 auf 150 Franken pro Person tat der Beliebtheit keinen Abbruch.
Inzwischen merken aber auch erste Eidgenossen, dass sich der Einkaufstourismus nicht mehr lohnt. Zum Teil sind die Preise hierzulande sogar günstiger als im Ausland!
In der Reddit-Gruppe «Switzerland» sorgt das für Diskussionen. Ein User schreibt: «Letzthin hatte ich das Gefühl, dass die Preise in Deutschland fast keinen Unterschied mehr zu denen in der Schweiz haben.»
Besonders die Discounter Lidl Schweiz und Aldi Suisse hebt er als «günstiger» hervor.
Ein anderer bestätigt: «Ja, absolut. Die EU wurde seit Covid deutlich stärker getroffen. Der Preisunterschied bei Restaurants ist mittlerweile auch nicht mehr so gross wie noch früher.»
Spüren die hiesigen Discounter nun ein Umdenken beim Einkaufstourismus?
Lidl: «Viele Preise sind tiefer als im Ausland»
Lidl-Sprecher Sandro Kissayi sagt: «Wir erhalten vermehrt die Rückmeldung, dass sich der Einkaufstourismus für Konsumentinnen und Konsumenten kaum mehr lohnt.»
Das Ziel sei es, «das beste Preis-Leistungs-Verhältnis» anzubieten. Deshalb habe Lidl auch bei über 1000 Produkten die Preise gesenkt.
«Infolge unserer Preisoffensive wird der Einkaufstourismus zunehmend unattraktiver», sagt Kissayi. «Für viele Produkte sind die Preise bei Lidl Schweiz bereits tiefer als im angrenzenden Ausland. Lange Fahrten lohnen sich da nicht mehr.»
So seien etwa Bananen, Pasta, Schokolade oder Energy-Drinks günstiger als im grenznahen Ausland.
Aldi macht Einkaufen in der Schweiz mit Günstig-Fleisch schmackhaft
Auch Aldi Suisse will dem Einkaufstourismus entgegenwirken. «Dabei haben wir festgestellt, dass die tierischen Produkte wie Fleisch der Hauptgrund sind, dass viele im Ausland einkaufen gehen.»
Deshalb hat der Discounter im September 2024 seine Fleischpreise gesenkt. Mitbewerber zogen nach. «Familien mit knappem Budget müssen seither keine nervenaufreibenden Einkaufsfahrten ins Ausland auf sich nehmen», meint Aldi.
Die Strategie scheint aufzugehen: «Diesen Einsatz zahlt uns die Schweizer Bevölkerung mit ihrem Vertrauen zurück: Wir verzeichnen momentan ein zweistelliges prozentuales Kundenwachstum.»
Supermarkt-Brot ist jetzt günstiger als in Deutschland
Auch beim Brot lancierte Aldi einen Preiskampf. Ein halbes Kilo Halbweissbrot kostet neu nur noch 99 Rappen statt 1.19 Franken.
Auch hier machten es die Aldi-Konkurrenten dem Discounter gleich – und können nun mit ausländischen Preisen mithalten. Bei Rewe oder Edeka kostet das Pfünderli zwischen umgerechnet zwischen 1.20 und 1.30 Franken.
Warum verschlägt es Schweizerinnen und Schweizer trotz geringer Ersparnis ins Ausland?
Konsumpsychologe Christian Fichter bestätigt gegenüber Nau.ch: «Beim Einkaufstourismus geht es weniger um den tatsächlichen Preisunterschied als um das Gefühl eines besseren Deals.»
Er erklärt: «Viele Konsumenten haben veraltete Preisanker im Kopf. Sie erinnern sich an frühere Zeiten, in denen Einkaufen in Deutschland oder Frankreich massiv günstiger war. Diese Anker bleiben bestehen, auch wenn sich die Preisdifferenzen längst verringert haben.»
Schweizer glauben, sie würden in der Schweiz «abgezockt»
Hinzu komme: «Ein einzelnes, auffällig billiges Produkt wie ein Parfum oder Fleisch genügt, um das Gesamtbild zu verzerren.» Man schliesse dann vom Einzelfall auf den ganzen Warenkorb.
Und: «Viele Konsumenten glauben, sie würden in der Schweiz systematisch abgezockt.» Diese Überzeugung sei kulturell tief verankert – auch wenn die Unterschiede objektiv gering sind.

Ausserdem begeistert der Einkaufstourismus nicht nur durch den Preis. «Der Auslandseinkauf ist ja oft mit einem Reisli, einem Ausflugserlebnis, verbunden. Man kombiniert den Einkauf mit einem Restaurantbesuch oder einem kleinen ‹Miniurlaub›», so Fichter.
Das Fazit des Experten: «Dadurch wird der Einkauf emotional aufgeladen. Er wird zur Belohnung, nicht zur Pflicht.»