Cassis ruft an der Uno zum Dialog mit Russland auf
Das Wichtigste in Kürze
- Ignazio Cassis fordert, den Dialog mit Russland weiterzuführen.
- Nur eine pragmatische Diplomatie könne aus der Sackgasse führen.
- Selenskyj hingegen sagt, Russland könne nur zum Frieden gezwungen werden.
Bundespräsidentin Viola Amherd hat an der Uno-Generaldebatte in New York vor der Staatengemeinschaft schwere Verstösse gegen das Völkerrecht beklagt. Aussenminister Ignazio Cassis rief gleichzeitig in einer Rede im Uno-Sicherheitsrat über den Krieg in der Ukraine zum Dialog mit Russland auf.
Die Friedenskonferenz im Juni auf dem Bürgenstock NW habe geholfen, Blockaden abzubauen und einen Anfang von Vertrauen herzustellen, sagte Cassis. «Diesem ersten Schritt in Richtung Frieden müssen weitere Folgen. Es ist nun wichtig, den Dialog auch mit Russland weiterzuführen.»
Die Schweiz wählte damit andere Töne als andere westliche Länder wie die USA oder Frankreich, die sowohl Russland als auch alle Staaten, die die russische Aggression unterstützten, aufs Schärfste verurteilten.
Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nahm an der Sitzung teil. Er erklärte, Russland, der einzige Aggressor im Konflikt, könne von der Weltgemeinschaft nur «zum Frieden gezwungen werden».
Cassis erwähnt unverzüglichen Abzug russischer Truppen nicht
Cassis sagte, es sei «von entscheidender Bedeutung, dass der Rat weiterhin über Wege zur Beendigung des russischen Krieges gegen die Ukraine» nachdenke. Einen unverzüglichen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine erwähnte der Aussenminister nicht. In den letzten zwei Jahren hatte er dies in New York noch gefordert.
Nur eine pragmatische Diplomatie könne aus der Sackgasse herausführen, die bereits zu viele Menschenleben gekostet habe, sagte der Bundesrat weiter. Cassis beklagte einen «Verlust der Grammatik des Friedens» an der Uno. «Bislang ist dieser Rat seiner Verantwortung nicht in vollem Umfang gerecht geworden. Nach 1000 Tagen Krieg haben wir immer noch keine diplomatische Lösung gefunden», sagte Cassis. Er betonte weiter die Wichtigkeit, den Wiederaufbau der Ukraine zu diskutieren.
Amherd: Welt darf nicht in Blöcke aufgeteilt werden
Bundespräsidentin Viola Amherd erklärte vor der Staatengemeinschaft, sie beobachte mit Sorge, dass sich die Spannungen weltweit verschärften und neue Konflikte entstünden. «Wir beobachten grobe Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht von Myanmar bis zur Ukraine, vom Nahen Osten bis zum Sudan.» Dies sagte Amherd, die zudem «eine eklatante Missachtung international anerkannter Grenzen» feststellte.
Die Entscheidung zu treffen, besser zusammenzuarbeiten, unabhängig von politischen Regimen, Wirtschaftsstrukturen und kulturellen Unterschieden, sei ein Anfang, sagte Amherd. «Die Welt darf nicht in Blöcke aufgeteilt werden.»
Der schwere Tribut, den die Zivilbevölkerung in den aktuellen Krisen und Konflikten zahlt, bestärkt die Schweiz laut Amherd in ihrem Willen, das humanitäre Völkerrecht weiterhin als absolute Priorität zu betrachten. Die Genfer Konventionen, deren 75. Jahrestag in diesem Jahr begangen werden, regelten die rechtlichen Grundlagen des Krieges und damit auch den Schutz von Zivilpersonen.
Amherd: Bevölkerungen werden nicht ausreichend geschützt
«Die jüngsten Zahlen der Vereinten Nationen zeichnen jedoch ein katastrophales Bild der internationalen Gemeinschaft. Die Bevölkerung und die zivile Infrastruktur werden nicht ausreichend geschützt und sind sogar immer wieder Angriffen ausgesetzt», kritisierte Amherd.
Als weitere Herausforderungen für die Menschheit erwähnte Amherd den Klimawandel und den Verlust der biologischen Vielfalt, die für immer mehr Menschen existenzielle Folgen hätten. Schliesslich zeigte sich die Bundespräsidentin besorgt über die Zunahme von Desinformation, die die freie, auf Fakten basierende Meinungsbildung untergrabe. «Desinformation ist ein Gift. Wir wollen ihr begegnen, indem wir besser unterscheiden, was Meinungsfreiheit und was Faktenmanipulation ist; indem wir unrechtmässige Einflussnahme entlarven, offene und faire Debatten fördern und als Regierungen und internationale Organisationen transparent und objektiv informieren.»
Bundespräsidentin Viola Amherd und Aussenminister Ignazio Cassis vertreten die Schweiz diese Woche an der sogenannten «High-level Week» zur Eröffnung der 79. Uno-Generalversammlung. Die Botschaft der beiden Bundesräte an die Staatsleute in New York: Höchste Zeit, Uno-Reformen anzupacken und den Multilateralismus zu stärken.