Berner Star-Geigerin Gwendolyn Masin im grossen BärnerBär-Interview
Vom 20. bis 23. November 2025 findet das GAIA Musikfestival erstmals auch in Bern statt. Gegründet hat es die Berner Violinsolistin Gwendolyn Masin.

Vom 20. bis 23. November 2025 findet das GAIA Musikfestival erstmals auch in Bern statt.
Die Künstlerinnen und Künstler kommen aus allen Winkeln der Erde und bauen eine einzigartige Verbindung zueinander und zum Publikum auf.
Gegründet hat das Festival vor 19 Jahren die Violinsolistin, Kammermusikerin und Musikpädagogin Gwendolyn Masin, die seit vielen Jahren in Bern lebt.
BärnerBär: Sie entstammen einer Musikerfamilie. Mit drei Jahren begannen Sie Ihre musikalische Ausbildung, mit fünf Jahren standen Sie erstmals auf der Bühne. Konnten Sie da noch Kind sein?
Gwendolyn Masin: Meine Eltern hatten keine sogenannte «normale» Kindheit. Sie wurden während des Zweiten Weltkrieges geboren und haben trotz gewaltvoller Erlebnisse überlebt. Dieser Krieg war für alle Kinder mit Entbehrungen und Einschränkungen verbunden.
Meine Eltern fanden damals das Kindliche in der Musik. Diese Liebe und Hingabe zur Musik gaben sie dann auch an mich, ihre Tochter, weiter.
Die ehrliche Antwort: So gesehen, hatte ich keine «normale» Kindheit. Ich habe selber Kinder und sehe nun, wie sie gedeihen, noch kein Instrument spielen und auch nicht darauf «getrimmt» werden.
BärnerBär: Bereuen Sie heute, keine «normale» Kindheit durchlaufen zu haben?
Masin: Nein, die Musik gibt mir Lebenssinn. Ich bin dankbar, dass ich in einem friedlichen Land leben darf. Ich greife zur Geige und denke, wie schön es ist, was man mit seinem Leben alles anstellen kann.
BärnerBär: Also fehlte Ihnen als Kind nichts?
Masin: Doch, als Kind schon. Ich sah, wie andere Kinder draussen herumtollten oder mich zum Spielen abholen wollten, ich aber üben musste. Ich spielte schon mit fünf Jahren auf internationalen Bühnen.
Im Alter von etwa 13 Jahren war ich nicht mehr Kind. Dafür habe ich seit 42 Jahren ein unglaublich spannendes und abenteuerliches Leben. Den Preis dafür habe ich gerne bezahlt.

Ich wurde nie zum Üben gezwungen, aber es war klar, dass ich täglich üben musste, um die Konzerte erfolgreich meistern zu können. Wenn ein Kind jeden Tag dasselbe macht, aber weiss, dass dies nötig ist und zu einem Endziel führt, dann wird es einfacher, es ist also eine Frage der Perspektive.
Ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie mich immer unterstützten, diesen Weg einzuschlagen.
BärnerBär: Sie spielten zuerst Klavier. Wie fanden Sie später zu Ihrem Hauptinstrument, der Violine?
Masin: Meine heissgeliebte Grossmutter spielte Klavier und ich habe eigentlich nur nachgeahmt, was ich bei ihr gesehen habe. Irgendwann fehlte mir die physische Beweglichkeit auf dem Klavierstuhl.
Meine Eltern spielten beide Violine und schickten mich zum Unterricht bei einem Geigenlehrer; sie wollten mich bewusst nicht selbst unterrichten, um das Verhältnis Eltern/Kind nicht zu belasten.
Beim Geigenspiel konnte ich den kindlichen Bewegungsdrang befriedigen. Dabei ist es geblieben!
BärnerBär: Sie sind viel gereist und haben während Jahren an verschiedenen Orten der Welt gelebt, heute in Bern. Wo fühlen Sie sich zu Hause?
Masin: Eigentlich gefällt mir das Nomadenleben extrem gut. Aber es meldete sich jeweils auch ein gewisses Heimwehgefühl. Ich fragte mich oft: Wonach sehne ich mich? Was heisst Heimat für mich?
Ich glaube, die Antwort lautet: Heimat ist weniger ein Ort, sondern es sind die Menschen. Und Heimat ist für mich auch die Leidenschaft für die Musik.
BärnerBär: 2006 gründeten Sie das GAIA Musikfestival in Stuttgart. Was motivierte Sie dazu?
Masin: Es war die Einsamkeit und die daraus entstehende Langeweile. Ich habe immer als Solistin gespielt, ziehe durch die Welt, spiele allein, teils mit Klavierbegleitung, teils mit Orchestern. Das sieht zwar glamourös aus, aber es ist eine einsame Welt.
Kurz vor dem Studienende in Lübeck war ich oft in Hamburg und Stuttgart mit Musikerfreunden und -freundinnen unterwegs. Bei einem Gespräch mit einer Geigenfreundin entstand die Idee eines Festivals.
Ich wollte Menschen einladen, die in verschiedenen Formationen miteinander musizieren, eine Art «Nomadenbande», die für einige Tage am gleichen Ort bleibt, um eine Verbindung zum Publikum aufzubauen.
Das Festival steht für Nachhaltigkeit und Langsamkeit. Die Komponisten benötigen meist Wochen und Monate, um ein Werk zu schaffen.
Es ist eigentlich ein Hohn, wenn Musiker dann bloss einige Tage oder Stunden proben, von Ort zu Ort hetzen und die Kompositionen vor Publikum spielen. Das Festival will genau das Gegenteil.
PERSÖNLICH
Gwendolyn Masin wurde am 17. November 1977 in Amsterdam geboren. Beide Eltern sind ebenfalls Musiker.
Das Violinstudium in London, Bern, Zürich, Lübeck und Dublin schloss sie mit Bestnoten ab. Ihre Karriere führt sie quer durch vier Kontinente, wo sie als Solistin mit renommierten Orchestern auftritt. Sie ist Recording Artist und hat einen PhD in Musikwissenschaft.
2006 gründete Masin in Stuttgart das jährlich stattfindende GAIA Musikfestival, das seit 2009 am Thunersee und in diesem Jahr erstmals in Bern durchgeführt wird.
Gwendolyn Masin hat zwei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Bern.
BärnerBär: Wie kamen Sie auf den Namen GAIA, die Göttin der griechischen Mythologie?
Masin: In der griechischen Mythologie wird die Erde als Göttin Gaia bezeichnet. Was ich so schön finde, dass Gaia aus Chaos geboren wurde.
Chaos ist ein urzeitlicher, formloser Zustand vor der Schöpfung. Chaos beschreibt für mich auch den Zustand, bevor man eine Partitur studiert hat – ein Moment, in dem noch alles offen ist und sich erst mit der Zeit Ordnung und Verständnis entwickeln.
Ich suchte nach einem Namen, der für Verbindung steht: mit Menschen, mit Musik, mit anderen Kunstformen. Gaia erfüllt diese Ansprüche in treffender Weise.
BärnerBär: Sie wählten für das diesjährige Festival das Thema «Residencies». Was wollen Sie damit ausdrücken?
Masin: Beim letztjährigen Festival ging es ums Reisen, um die Kultur als gemeinsames Gut. Beim Festival 2025 geht es ums Ankommen, ums Finden eines Zuhauses «auf Zeit».
Die Musikerinnen und Musiker setzen sich hin, nehmen sich Zeit, tauschen Erfahrungen aus, bringen ihre Kultur mit, lassen sich von Bern inspirieren und bespielen einen Raum.
Den Auftakt bilden Konzerte in drei Berner Institutionen: Museum für Kommunikation, Naturhistorisches Museum und PHBern Mediothek. Man spaziert von einem Museum zum andern und lässt sich überraschen.
Es handelt sich buchstäblich um ein «Artist in Residence»-Projekt, bei dem sich die Künstlerinnen und Künstler nicht in der gewohnten Umgebung eines Konzertsaales bewegen, sondern an unterschiedlichen Orten, gemeinsam mit dem Publikum.
BärnerBär: Mit GAIA verlassen Sie absichtlich ausgetretene Pfade und versuchen, Musik allen zugänglich zu machen. Gelingt es?
Masin: Ja, ich habe das Gefühl, dass es gelingt. Wir stellen ein sehr breites Altersspektrum fest. Mir ist wichtig, dass uns das Publikum vertraut.
GAIA ist mehr als ein Musikfestival, es ist ein Lebensgefühl. Wir verspüren Lebensfreude und Nähe zum Publikum.
GAIA will ein niederschwelliges Festival sein, welches verbindet, wo man sich der klassischen Musik auf spielerische Weise annähert, wo man sich wohlfühlt, ohne dass dabei die Qualität der Musik und ihrer Interpretation verloren geht.
BärnerBär: Worauf darf man sich beim diesjährigen Festival freuen?
Masin: Egal, ob man die Komponistinnen und Komponisten, Musikerinnen und Musiker schon kennt oder nicht: Ich verspreche, ein Programm zu gestalten, das ein Ohrenschmaus ist, das inspiriert.
Das Publikum wird mit dem Wunsch nach Hause gehen, das Erlebte nochmals zu sehen und zu hören!
INFO
GAIA Musikfestival 2025 «Residencies»
Donnerstag, 20.11.25, 18.30 Uhr: GAIA Nacht der Musik im Museumsquartier Bern.
Freitag, 21.11.25, 19.30 Uhr: Harder, Better, Faster, Stronger; Stadtkirche Thun.
Samstag, 22.11.25, 19.30 Uhr: Feenland; Altstadt von Bern.
Sonntag, 23.11.25, 17 Uhr: Metamorphosen; Kirche Hilterfingen.
Infos und Tickets: gaia-festival.com








