Berner Justiz muss im Fall eines Bijouterie-Räubers die Verteidigung prüfen
Angeklagter klagte über unzureichende Verteidigung.

Sperrfrist 1200.
Die Berner Justiz muss im Fall eines Bijouterie-Räubers prüfen, ob er genügend gut verteidigt wurde. Das hat das Bundesgericht in einem am Dienstag veröffentlichten Urteil festgehalten. Der 74-jährige Italiener wollte das erstinstanzliche Urteil weiterziehen, doch traf die Appellation zu spät ein.
Das bernische Obergericht trat wegen der rund zwei Wochen nach Ablauf der Frist eingetroffenen Berufung erst gar nicht auf den Fall ein.
Der 74-jährige Italiener gelangte ans Bundesgericht mit der Begründung, dass seine amtliche Verteidigerin den Weiterzug habe unter den Tisch fallen lassen und ihn in dem Verfahren nicht genügend unterstützt habe. «Ihr Verhalten ist unverständlich und man versteht nicht was sie sagt und tut», beschwerte sich der Italiener.
Das Bundesgericht stellte in seinem Urteil fest, dass der Italiener in seinem Brief an die Berner Justiz zum Weiterzug des Falles unter anderem auch einen anderen Anwalt forderte, weil er in seine amtliche Verteidigerin jedes Vertrauen verloren habe.
Die Anwältin ihrerseits äusserte sich dahingehend, dass jede Zusammenarbeit mit dem Mann unmöglich geworden sei.
Vorwürfe näher untersuchen
Dass die amtliche Verteidigerin keine Berufung einlegte, stellt für das Bundesgericht für sich allein genommen eine sachgemässe Verteidigung nicht in Frage. Allerdings hätte die Berner Justiz aufgrund der vorgebrachten Kritik das Italieners überprüfen müssen, weshalb das Begehren um Weiterzug zu spät eintraf und ob dies allenfalls einer Pflichtwidrigkeit der Verteidigerin geschuldet sei.
Das Bundesgericht hat daher den Nichteintretensentscheid der Berner Justiz aufgehoben und die Sache zur näheren Überprüfung zurückgewiesen.
Raubüberfall mit Geiselnahme
Der 74-jährige Italiener wurde im Juni 2018 vom Regionalgericht Oberland in Thun zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Er war Ende September 2016 vor dem Wohnhaus der Filialleiterin einer Thuner Bijouterie aufgetaucht und hatte sich mit einer täuschend echten Spielzeugwaffe Zugang zur Wohnung erzwungen.
Dort fesselte er die Frau, den Mann und die Tochter und drohte sie zu töten, sollten sie sich ihm widersetzen. Dem Mann und der Tochter verabreichte er starke Beruhigungsmittel. Die Tochter zwang er zudem zu Oralsex, was DNA-Spuren an ihrer Kleidung und in ihrem Gesicht eindeutig bewiesen.
Danach behändigte der Täter in der Wohnung Wertsachen von rund 70'000 Franken und zwang die Familie, ihn zur Bijouterie in der Innenstadt zu begleiten und ihm Schmuck auszuhändigen. Vor dem Abmarsch klebte er seinen Opfern etwas auf den Rücken und gab vor, es handle sich um Sprengstoff, den er per Fernbedienung zünden könne, sollten sie versuchen, zu fliehen oder Alarm zu schlagen.
Zu Fuss dirigierte der Räuber seine Opfer durch die am Abend noch immer belebte Innenstadt zum Schmuckladen. Die Filialleiterin und ihr Mann mussten im Laden den Alarm ausschalten und Schmuck zusammenzuraffen.
Währenddessen nahm der Italiener die Tochter als Geisel und wartete in der Nähe des Geschäfts. Die mit der Bewachung des Ladens beauftragte Sicherheitsfirma registrierte, dass die Alarmanlage ausserhalb der Ladenöffnungszeiten ausgeschaltet worden war und rief im Geschäft an.
Die Ehefrau verständigte den Täter, der daraufhin mit weiteren Wertsachen von rund 45'000 Franken die Flucht ergriff. Die Wertsachen machte er anschliessend in Italien und Spanien zu Geld.
In Spanien wurde er schliesslich gefasst und an die Schweiz ausgeliefert. Nach seiner Verhaftung in Spanien lieferte ein DNA-Test Hinweise, dass der Mann mit dem gewaltsamen Tod einer Rentnerin im zürcherischen Küsnacht im Jahr 1997 zu tun haben könnte. Die Zürcher Justiz leitete ein Verfahren wegen Mordverdachts ein.
(Bundesgerichtsurteil 6B_826/2018, vom 7. November 2018)