Bern: Pädophilen-Fachstelle wird mit Anfragen überhäuft
In der Schweiz leben über 30'000 Menschen mit pädophiler Neigung. Immer mehr dieser Männer suchen Beratung und Hilfe.

Das Wichtigste in Kürze
- Im Kanton Bern suchen immer mehr Menschen Hilfe bei Beforemore.
- Beforemore ist Fachstelle für Prävention und Beratung bei Pädophilie und Kindsmissbrauch.
- Im ersten Halbjahr 2025 verzeichnete die Stelle mehr Beratungen als im gesamten Jahr 2024.
- Nun soll das Angebot schweizweit ausgebaut werden.
Kanton Bern: Anfragen bei Pädophilen-Beratungsstelle gehen durch die Decke
«Ich bin total gegen Gewalt an Kindern. Und obwohl ich diese sexuelle Neigung habe, möchte ich alles tun, um Kindern nicht zu schaden». Das sagt Reto M.* aus dem Kanton Bern.
Der 39-Jährige hat «Mist gebaut» und sich vor einem Jahr auf einen 13-jährigen Teenager sexuell eingelassen, wie er sagt. Nun holt er sich Hilfe bei Beforemore, der Fachstelle für Prävention und Beratung bei Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch.
Der Junge habe ihn angemacht, behauptet er. Er will sich aber nicht herausreden, denn die Verantwortung liege klar bei ihm. «Ich habe meinem Verlangen schlicht nicht widerstehen können.»
Heute bereut er seine Tat, die damals zur Strafanzeige durch die Mutter des Minderjährigen führte. Er muss mit einer bedingten Gefängnis- oder Geldstrafe rechnen.
1000 Anzeigen
Laut Kriminalstatistik wurden 2024 über 1000 Fälle von sexuellen Handlungen mit Kindern und rund 3500 Fälle von illegaler Pornografie angezeigt.
Doch es muss mit einer hohen Dunkelziffer gerechnet werden. Sexueller Missbrauch kann zu lebenslanger Schädigung des Kindes führen. Psychische Probleme, Minderwertigkeitsgefühl, Bindungsangst sind nur einige Folgestörungen, welche in wissenschaftlichen Untersuchungen genannt werden.

Auch Angehörige tragen eine grosse Bürde, und gehen bei der Diskussion um Kindesmissbrauch oft vergessen. Marion B. aus Bern erfuhr 2007, dass sich ihr Mann an Kindern im eigenen Umfeld vergriffen hatte.
«Ich war schockiert, fühlte mich sogar mitschuldig am Leiden der Opfer. Später die Trennung. Schlimm ist es nicht nur für mich, sondern auch für meine Kinder. Sie leiden unter Stigmatisierung und müssen damit leben, dass sie einen pädokriminellen Vater haben.»
Erster Schritt: Reden
Barbara Beaussacq arbeitet für die Anlaufstelle Beforemore und berät regelmässig Menschen wie Marion B.*
«Wir ermutigen Angehörige oder auch das Umfeld, die eigene Ohnmacht zu überwinden und selbst etwas zu unternehmen, anstatt zu schweigen.»
Den von Pädophilie betroffenen Personen wie Reto M. hört die Beraterin zu und erarbeitet mit ihnen zusammen die nächsten Schritte, um potenzielle Übergriffe zu verhindern.
Die meisten suchen Hilfe, weil sie keine Straftat begehen wollen.

«Wichtig ist als Erstes, darüber zu sprechen», sagt Beaussacq. «Denn Scham- und Schuldgefühle, aber auch Angst vor Stigmatisierung oder Anzeige hält davon ab, sich im eigenen Umfeld zu öffnen. Selbst wenn sie nicht straffällig geworden sind.»
Schweigen aber mache einsam und gefährde die Ratsuchenden, straffällig zu werden. Bei Bedarf vermittelt Beaussacq auch an passende Therapiestellen.
Grosse Zunahme
Bei Beforemore bleibt die Unterstützung niederschwellig, kostenlos und anonym. Oberstes Ziel ist es, Missbrauch an Kindern zu vermeiden, also Hilfe bieten, bevor etwas passiert.
Die Fachstelle mit Standort in Bern ist dabei, sich als Deutschschweizer Anlaufstelle zu etablieren. Sie verzeichnet jährlich eine zunehmende Zahl an Ratsuchenden, wie Geschäftsführer Dominik Galliker sagt.
So seien die Kontaktaufnahmen seit 2023 von 57 auf fast 200 hochgeschossen. Die Website mit vielen wertvollen Informationen und Kontaktangaben für weitere Hilfsangebote werde jährlich mehrere tausend Mal aufgerufen.
Im ersten Halbjahr 2025 verzeichnete Beforemore mehr Beratungen als im gesamten Jahr 2024.

Die Täterprävention steht noch ganz am Anfang. Der Bund hat in seinem aktuellen Forschungsbericht zur sozialen Sicherheit betont, dass Beratungsangebote einen wichtigen Beitrag zum Opferschutz leisten.
«Viele Fälle von Kindesmissbrauch könnten verhindert werden», ist Galliker überzeugt. «Wir müssen es Personen, die sexuelle Fantasien mit Kindern haben, einfach machen, Verantwortung zu übernehmen und Hilfe zu suchen. Zum Glück nimmt die Unterstützung für die Täterprävention in der Politik und bei den Kantonen zu.»
Bewusstsein schärfen
Reto M. hat nach der Strafanzeige mittels Psychotherapie und Beratungsgesprächen bei Beforemore Hilfe gefunden. Sein Bewusstsein für seine Verantwortung habe er dadurch schärfen können, sagt er.
«Nichtsdestotrotz existiert diese Neigung für Jungs im tiefen Teenageralter und ich arbeite daran, dass ich diese kontrollieren kann». Dank der Aufarbeitung sehe er sich aber nicht mehr als Gefahr.
*Name von der Redaktion geändert