Befragung zeigt: Machtmissbrauch an Schweizer Unis hat System

Dominik Neuhaus
Dominik Neuhaus

Zürich,

Zahlreiche junge Forschende berichten von Machtmissbrauch durch Vorgesetzte und Professoren an Schweizer Universitäten. Es sind keine Einzelfälle.

Universität Bern
Über dem Hauptgebäude der Universität Bern ziehen graue Wolken auf. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • An Schweizer Universitäten kommt es zu systematischem Machtmissbrauch.
  • In einer anonymen Umfrage äusserten sich zahlreiche Betroffene.
  • Sie fühlen sich von den Unis im Stich gelassen.

Sexuelle Übergriffe, Erniedrigungen, Mobbing, Diskriminierung: An Schweizer Universitäten kommt es zu strukturellem Machtmissbrauch – mit schweren psychischen Folgen für die Betroffenen. Die Unterstützung durch die Unis ist oftmals unzureichend. Dies zeigt eine Umfrage des investigativen Rechercheteams «Reflekt».

Besonders von Machtmissbrauch betroffen seien demnach junge Forschende, insbesondere Doktorierende. Das Fehlverhalten gehe häufig von ihren vorgesetzten Betreuungspersonen und von ordentlichen Professorinnen und Professoren aus.

Studierst du oder hast du studiert?

Häufig nennen Betroffene in der Befragung Fälle von Herabwürdigungen. Beispielsweise, dass ein Vorgesetzter eine Person vor dem ganzen Team «zerstörte», wenn die präsentierten Forschungsergebnisse nicht seinem Narrativ entsprachen.

Mehrere Forschende erzählen, wie sie, teils stundenlang, von Professorinnen und Professoren angeschrien wurden.

Viele Schilderungen betreffen rassistische und sexistische Bemerkungen. Sie gehen bis hin zu Übergriffen, wie nicht einvernehmlichen Berührungen. Eine Person wurde von einem Professor ungefragt und gegen ihren Willen geküsst.

Professoren erwarten Bereitschaft für 80-Stunden-Woche

Laut den Investigativjournalisten beklagen zudem viele der Befragten einen Leistungsdruck, der sie «psychisch und physisch an die Grenzen» bringe. Eine Person sagt, ihr sei vermittelt worden: «Wenn ich nicht 80 Stunden pro Woche arbeiten kann, bin ich nicht für die Akademie gemacht.»

Am häufigsten nennen Betroffene Fälle, in denen Betreuungspersonen ihre Forschungen und ihren Karriereweg systematisch behinderten. Eine Nachwuchsforscherin erzählt, ihr Professor verlange «endlose Revisionsstunden. So können wir unsere Publikationsliste nicht aufbauen. Seit vier Jahren publiziert in unserer Abteilung niemand ein empirisches paper».

Weitere Berichte handeln von mangelhafter Betreuung und davon, dass Vorgesetzte Forschungsarbeiten ihrer Angestellten klauen.

Viele Reaktionen nach Aufruf

«Reflekt» rief Angehörige aller Schweizer Universitäten dazu auf, Erfahrungen mit Machtmissbrauch zu schildern. Innert fünf Wochen folgten 180 Personen dem Aufruf.

Die Investigativjournalisten bewerteten 142 der geschilderten Fälle als Machtmissbrauch. 38 Personen konnten ihre Erfahrungen anschliessend in einem persönlichen Gespräch ausführen.

Laut dem Rechercheteam ist die Umfrage nicht repräsentativ, da sich die Befragten freiwillig zur Teilnahme entschieden haben. Sie wurden nicht zufällig bestimmt.

Dennoch ermögliche die Befragung «eine grobe Einschätzung der Grössenordnung des Missstands. Sowie einen Einblick in Muster und Mechanismen, wie Machtmissbrauch erlebt und verarbeitet wird».

Demnach zeigt die Recherche, dass es sich bei den geschilderten Fehlverhalten nicht um Einzelfälle handelt. Sondern, dass Machtmissbrauch an Schweizer Universitäten System hat.

Laut dem Rechercheteam teilten Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen ihre Erfahrungen. Betroffen sind viele verschiedene Fachgebiete und nahezu alle Schweizer Universitäten.

Betroffene kämpfen mit psychischen Folgen – Unterstützung gering

Was sich bei fast allen Befragten durchzieht, sind die psychischen Folgen des Machtmissbrauchs. Betroffene haben oft jahrelang mit Angst- und Schlafstörungen oder Depressionen zu kämpfen.

Fast ein Drittel der Befragten erklärte, den Traum von der wissenschaftlichen Karriere aufgegeben zu haben. Oder mindestens darüber nachzudenken.

Hast du schon einmal Machtmissbrauch erlebt?

Aus der Befragung geht zudem hervor, dass sich viele Betroffene nicht trauten, sich gegen Fehlverhalten zur Wehr zu setzen. Aus Angst vor negativen Konsequenzen.

Professorinnen und Professoren hätten durch die Notengebung einen massiven Einfluss auf die akademische Zukunft der Forschenden. So bestehe ein Abhängigkeitsverhältnis.

Das Vertrauen in die anonymen Meldestellen der Universitäten sei gering, weil Interventionen oft ausblieben. Viele Betroffene fühlten sich demnach im Stich gelassen.

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