Gilbert Paeffgen: «Von Harmonielehre erschreckend wenig Ahnung»
«Der Mann auf dem Trampolin» ist das sechste Album des Gilbert Paeffgen Trios. Darin überwinden Gilbert Paeffgen und seine Mitstreiter die Schwerkraft.

In der Performance «Fugue / Trampoline» versucht ein Tänzer eine Treppe hochzusteigen. Dabei fällt er immer wieder hinunter und überwindet mit Hilfe eines Trampolins die Schwerkraft.
Das Fallen wird so zum eigentlichen virtuosen tänzerischen Akt, begleitet von der repetitiven Klaviermusik eines Philipp Glass.
Die Leichtigkeit und gleichzeitige Konzentration dieser Performance inspirierte den Jazz-Schlagzeuger und Hackbrettspieler Gilbert Paeffgen zum Album «Der Mann auf dem Trampolin», das er zusammen mit seinem Gilbert Paeffgen Trio im letzten Juni vor einem Konzert in der «Chartreuse de La Lance» in Concise einspielte.
Persönlich
Gilbert Paeffgen wuchs in Würzburg auf und lernte ab dem 14. Lebensjahr Schlagzeug. Er spielte zunächst in Krautrock-Gruppen. Im Alter von 21 Jahren zog er nach Bern, wo er – zusammen mit dem Gitarristen Vinz Vonlanthen und dem Bassisten Baenz Oester – mit dem «Free Funk Trio» arbeitete, zwei Alben vorlegte und auch unter dem Namen «Aventure Dupont» zwei weitere Tonträger veröffentlichte. Daneben trat er zwischen 1983 und 1990 im Duo mit dem Perkussionisten Tini Hägler auf. Mit Paolo Fresu, Peter Waters und Tony Overwater bildete er das «Treya Quartet», das sich durch seine Interpretationen von Gabriel Fauré auszeichnete.
2005 gründete er das Trio «Hackbrettplus» mit dem Bassisten Lorenz Beyeler und dem Gitarristen Nick Perrin. Er war auch im Hackbrett-Sextett «hammer sichel unruh» aktiv.
2008 führten ihn die Wege nach Bhutan zu einer Konzertreise, die im Dokumentarfilm «Sms From Shangri-La» von Dieter Fahrer und Lisa Röösli festgehalten ist.
Paeffgen arbeitete unter anderem mit Oli Kuster, Urban Lienert, Christoph Baumann, Vera Kappeler, Töbi Tobler und Nicolas Thys zusammen. Zudem ist er auf Alben mit Werner Hasler, Pierre Audétat, Karl Berger, Shirley Grimes oder Philipp Läng zu hören. 2016 erhielt er den Kulturpreis der Bürgi-Willert-Stiftung.
Vor 25 Jahren gründete er das Trio. Seit fünf Jahren sind Claude Meier am Bass und Fabian M. Müller am Piano Teil davon – zwei Musiker mit Offenheit und Bereitschaft, ungewöhnliche Wege zu gehen. Beide nehmen dementsprechend Einfluss auf den kreativen Prozess.
Der Autodidakt, der Gegensätzliches vereint
Paeffgen brachte sich autodidaktisch das Schlagzeugspielen bei: auf dem Schlagzeug eines Schulfreundes in einer Sakristei.
Während der Schulfreund das Interesse am Instrument verlor, hatte Paeffgen von Beginn an ein intuitives Musikverständnis, und das Schlagzeugspielen liess ihn nicht mehr los.

Erst mit 21 Jahren nahm er Schlagzeugunterricht bei Billy Brooks an der Jazzschule in Bern. In den frühen 80er-Jahren tourte er als Schlagzeuger mit dem Hackbrettvirtuosen Töbi Tobler und fand dann Jahre später über verschlungene Pfade selbst zum Hackbrett.
«Die zwei Instrumente widersprechen sich eigentlich», meint Paeffgen. Während das Schlagzeug ein vermeintlich erdiges, wildes, im landläufigen Sinne archaisches Instrument sei, charakterisiere der filigrane, schwirrende Klang, der vom Himmel komme und zum Himmel gehe, das Hackbrett.
Diese zwei Kräfte balanciere er auch in sich selbst aus, meint der Musiker – das Schwere, Erdgebundene und das Leichte, Ätherische.
Von dieser Ambivalenz handelt auch die Performance des Tänzers – von den täglichen Anstrengungen, die sich irgendwann durch Übung und Gelassenheit in Leichtigkeit verwandeln. «Ich empfinde das Musikmachen als ähnlich», meint Paeffgen.

«Manchmal entwickelt sich erst aus der Schwere heraus etwas Leichtes». Der Titelsong «Der Mann auf dem Trampolin» erzählt von der Variation des Monotonen, vom Ähnlichen, von der Wiederholung als Voraussetzung des Neuen.
Den Song kontrastiert «Die strenge Kammer», ein virtuoses Hackbrettspiel, in dem jeder Ton kompromisslos gesetzt ist, ein verschachtelter Song, der im Spiel alles abverlange, meint Paeffgen.
Und doch scheint der Song fröhlich dahinzuplätschern, perlend, als ob sich Wasserelfen zum Tanz erhoben hätten. Den klassischen Jazzsong «384» hingegen begleitet eine sanfte Melancholie. Da haben die Gedanken Raum, um ziellos umherzuwandern.
Wenn sich das Glück herantastet
Der Song «Glück» hingegen legt unsere Erwartungshaltung, die wir mit dem Glück in Verbindung bringen, offen. In «Glück» wird kein Füllhorn ausgegossen. Das Glück tastet sich zögerlich heran und offenbart sich durch ein Lächeln, einen Windstoss, durch die gelebte Präsenz, die das Unspektakuläre zulässt.
Auch das Komponieren hat sich Paeffgen autodidaktisch angeeignet: «Von Harmonielehre habe ich erschreckend wenig Ahnung», meint er. «Ich nehme das, was da ist, wobei das eine das andere ergibt.» In diesem Prozess sei er absichtslos.
Mit dieser Unbefangenheit finden neben den Eigenkompositionen auch die zwei Neuinterpretationen von Duke Ellingtons «African Flower» und «So So Zaeuerli» von Noldi Alder Einzug ins Album.

«Der Mann auf dem Trampolin» sei ihm besser gelungen als andere Alben, meint der Jazzmusiker bescheiden. In der Musik sucht er die reinigende Wirkung, die Konzentration, die es erlaubt, in die Tiefe zu gehen. «Eine Komposition muss einfach stimmig sein».
Für ihn sei das Komponieren mit der Zeit einfacher geworden, meint Paeffgen. Er könne das Wichtige herauskristallisieren und wisse eher, was er nicht mehr wolle. Und diese Quintessenz durchströmt das Album. Obwohl die Songs teils sehr unterschiedlich sind, scheinen sie von einer inneren Kraft zusammengehalten.
Es sind diese meditativen Elemente wie im ersten Song «Glockenchip», der Mut zu eingängigen Melodien, die sich mit dem Unerwarteten und Offenen, feinstem klassischen Jazz und der Lust an der Improvisation verbinden.
«Der Mann auf dem Trampolin» lädt ein zu einer Reflexion über das eigene Leben, über die Vorstellungen vom Glück, den Umgang mit den täglichen Hürden, das Verharren in bestimmten Verhaltensweisen und Denkmustern.
So öffnet das Album den Geist für das Neue. Ein Tagtraum, der das Bewusstsein schärft.