Bonaparte - der Berner Prophet im Berliner Exil

Tobias Jundt alias Bonaparte ist seit zwanzig Jahren eine der schillerndsten Schweizer Musikpersönlichkeiten. Nun kommt er in die Mühle Hunziken.

Berner Prophet im Berliner Exil
Tobias Jundt - Melissa Jundt, Tereza Mundilová, Gian Losinger

BärnerBär: Sie treten im August mit Ihrem «The Quiet-Programm» auf der Bühne am Teich der Mühle Hunziken auf. Was für eine Beziehung haben Sie zu diesem legendären Berner Club?

Tobias Jundt: In den Neunzigerjahren war ich als Konzertgänger oft in der «Mühli» und habe dort tolle Künstler erlebt wie Moondog, Stephan Eicher, mit dem ich inzwischen befreundet bin, oder Randy Newman, eines meiner Idole.

Leider habe ich selbst noch nie dort gespielt. Nun bin ich gespannt, wie die Stimmung beim Openair-Konzert draussen im Garten ist. Ich freue mich schon sehr drauf, auch, weil viele Verwandte und Freunde kommen werden.

Live at San Francisco Bath House in Wellington
Neuseeland, 2009 - MelissaJundt

BärnerBär: Weshalb hätten Sie in Ihrer Kindheit beinahe eine Laufbahn in der Klassik eingeschlagen?

Tobias Jundt: Ich habe, wie das an der Musikschule Muri-Gümligen so üblich war, zuerst Klavier spielen gelernt und mit sechs Jahren mein erstes Stück komponiert, dann aber die klassische Gitarre für mich entdeckt.

Mit 14 bin ich dann mit dem Zug nach Paris gefahren und habe mir dort ein Berklee-Stipendium erspielt. Als meine Eltern fanden, ich wäre dafür zu jung, brach für mich eine Welt zusammen. Sie hiessen mich stattdessen das Lehrerse­minar zu machen.

BärnerBär: Wie gingen Sie damit um?

Tobias Jundt: Die klassische Musik, die ich daneben machte, wurde mir schnell zu steif. Ich wollte freier Musik machen, selber kreieren und habe dafür alles benutzt, was mir in die Finger kam. Nicht nur Instrumente, sondern auch Geräte, die sich eigneten, um deren Klang zu verändern oder neue Sounds zu erzeugen.

BärnerBär: Wer hat Sie inspiriert?

Tobias Jundt: Ich hatte das Glück, dass meine Eltern ein Familien-GA lösten. So konnte ich nicht nur in Marians Jazz Room, Reitschule oder Dampfzentrale Konzerte besuchen, sondern auch in Zürich, Schaffhausen oder Lugano Musiker live erleben, von denen viele in den Bands meiner Helden wie James Brown, Miles Davis und John Col­trane gespielt hatten.

Sie traten gerne in der Schweiz auf, weil man ihnen hier Respekt zollte und sie eine gute Gage, schöne Hotels und warme Mahlzeiten bekamen.

BärnerBär: Aber wie konnten Sie sich die Eintrittskarten leisten?

Tobias Jundt: Ich wartete immer an den Hintereingängen der Clubs, bis die Bands kamen und stellte irgendwelche nerdigen Fragen. Aus dem Mund eines Teenagers weckten sie ihre Neugier, weshalb wir ins Gespräch kamen und sie mich oft einluden, Backstage zu kommen. Mit einigen von ihnen bin ich heute noch in Kontakt.

BärnerBär: Schon Ihre Alben sind Konglomerate verschiedenster Stilrichtungen, aber Bonaparte-Konzerte sind noch viel buntere Spektakel.

Tobias Jundt: Ich habe immer gesagt, dass ich die Alben nicht in der Erwartung mache, dass die Leute sie zuhause rauf und runter hören. Sie sollen nur wissen, worum es in den Songs geht. Dann treffen wir uns und das Wichtigste passiert live.

Mich interessiert das Physische am Musikmachen. Aus diesem Grund ging ich nach Berlin, das ein Nachtleben hat, wo du das Publikum nicht erst abholen und in Extase versetzen musst. Die Leute sind schon hochtourig unterwegs, wenn sie zu dir kommen, und du setzt noch eins drauf.

Was ist Ihnen beim Musikerlebnis am wichtigsten?

BärnerBär: Wie konnten Sie Technoparty­gänger mit Punkrock abholen?

Tobias Jundt: Ich versuchte diese Energie mit Gitarre und Schlagzeug zu generieren, baute aber auch elektronische Musik ein.

Die ruhigen Sachen habe ich erst zugelassen, als ich schon fast zu touren aufgehört hatte. Beim Streaming sind die nun am meisten gefragt, live immer noch «Anti Anti», «Too Much» und andere punkige Songs.

BärnerBär: Bei den Doppelkonzerten Ihrer letztjährigen «The Quiet & The Riot»­-Tour kamen die ruhigen Abende aber auch so gut an, dass Sie noch einige angehängt haben.

Tobias Jundt: Was nach der Covid-Pause als Gegenentwurf zum ekstatischen, kathar­sischen wilden Bonaparte gedacht hat, ist nun ein Teil von mir geworden. Kürzlich haben die Menschen bei einem Konzert an einem Jazzfestival in einer Kirche sogar ganz sanft und leise mitgesungen.

Ich verrate Ihnen jedoch, dass es nächstes Jahr, zum 20. Geburtstag von Bonaparte, wieder back to the punk gehen wird.

BärnerBär: Sie sind nicht der einzige Berner Musikschaffende, der nach Berlin ging. Welches waren bei Ihnen die Gründe?

Tobias Jundt: Berlin ist eben eine Weltstadt, aber – obwohl die Preise enorm gestiegen sind – trotzdem nicht so teuer wie Paris oder London. Man kann sich irgendwie durchschlängeln und findet hier den Kontakt zu allen Plattenfirmen, Managern und Videokünstlern. Viele grosse Stars haben hier mal gelebt, von David Bowie bis Harry Styles. Sophie Hunger schätzt die Anonymität und Kreativität in Berlin ebenso wie ich.

Wir tauschen uns oft aus, auch privat, und fühlen uns wie Bruder und Schwester. Sie wird nach anfänglichen Reibungen und Missverständnissen in der Schweiz als bedeutende Künstlerin anerkannt, während ich im eigenen Land eher der Prophet geblieben bin ...

Bonaparte und Sophie Hunger
Berlin, 2022 - TerezaMundilová

BärnerBär: Weshalb war Berlin der Ort, um Kinder zu bekommen?

Tobias Jundt: Eigentlich finde ich die Stadt ein absolutes Shithole, total kaputt. Es herrscht ein harter Umgangston. Wenn du als Schweizer zum ersten Mal Berliner Schnauze hörst, zuckst du zusammen und denkst: Was habe ich denn jetzt falsch gemacht?

Gewalt und Drogen haben stark zugenommen, aber ich geniesse es, dass ich mit meinen Töchtern am Mittwoch in die Philharmonie gehen, am Donnerstag ein Peaches-Konzert besuchen und sie am Freitag an einen Bonaparte-Gig mitnehmen kann. Das erinnert mich an meine Jugend.

BärnerBär: Sie schreiben nicht nur Songs für Bonaparte, sondern auch für andere Künstler und komponieren Filmmusik. Damit verdienen Sie wohl mehr Geld.

Tobias Jundt: Ja, ich betreibe die gute alte Dreifelder­wirtschaft. Mit den Soundtracks erziele ich ein festes Einkommen, bei den Songs für andere hängt alles vom Erfolg ab und die Bonaparte-Alben liefern vor allem neue Songs für die Konzerte. Ausserdem habe ich einen Lehrauftrag für Pop-Songwriting an der ZHdK (Zürcher Hochschule der Künste).

BärnerBär: «Overdrive», ihr grösster Erfolg als Produzent, wurde 458 Millionen Mal gestreamt. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Ofenbach?

Tobias Jundt: Das französische DJ-Duo hatte bereits eine Version, die auf Kim Wildes Hit «Cambodia» basierte und mir als Whatsapp-Nachricht zugeschickt wurde. Ich nahm einen Teil der Melodie, komponierte etwas dazu und schrieb einen ganz neuen Text.

Ich habe Ofenbach nie getroffen, aber sie landeten damit einen Hit. Das ich daran beteiligt war, kam nur heraus, weil mein Manager zufällig meinen richtigen Namen ins Copyright schrieb. Wenn ich als Ghostwriter arbeite, benutze ich sonst eines meiner zwanzig Pseudonyme.

Bonaparte am Gurtenfestival, 2012
Gurtenfestival, 2012 - Gian Losinger

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