Villa Maria: Diese Berner Pension wird von Ordens-Schwestern geführt
Seit 100 Jahren bietet die Villa Maria im Monbijou-Quartier Frauen ein Zuhause – sie finden hier nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch ein offenes Ohr.

Seit 100 Jahren befindet sich mit der Villa Maria eine besondere Pension im Monbijou-Quartier: Wer hier einzieht, bekommt nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch ein offenes Ohr und Gemeinschaft.
«Da kam mir doch noch ein Telefongespräch dazwischen. Man kann nicht alles planen», entschuldigt Schwester Marthe-Françoise ihre kleine Verspätung zum Interview und setzt sich freudestrahlend auf einen der Holzstühle im kleinen Aufenthaltsraum der Villa Maria.
Als Hausleiterin habe sie jeden Tag alle Hände voll zu tun, ebenso wie ihre zwei aktiven Mitschwestern Christine-Antoinette und Marie-Mathilde. «Wir haben 21 Zimmer, 16 davon vermieten wir für länger», erklärt sie. «Hier wohnen Studentinnen, Praktikantinnen und Schülerinnen, die einige Monate bis hin zu Jahren bleiben.»
Ein Zuhause für Frauen
Das Haus, das seit 100 Jahren von einer Ordensgemeinschaft geleitet wird, steht Frauen offen – ungeachtet von Religion, Herkunft oder Status. Im Moment wohnen Frauen aus Tschechien, Ungarn, Italien, Deutschland und Costa Rica im Haus.
«Pro Woche übernachten zudem acht bis zehn Frauen bei uns. Meist Übersetzerinnen oder Ärztinnen des Inselspitals, die Nachtdienst haben.» Jeden Morgen bieten die Schwestern Frühstück an; wer sich anmeldet, kann auch zum Mittagstisch kommen.
Doch jetzt am Nachmittag sind alle ausgeflogen. Zeit für einen Hausrundgang. «Jeder Platz wird gut genutzt», zeigt Sr. Marthe-Françoise eine der Nasszellenräumlichkeiten im dritten Stock mit verwinkelten Duschen und Schränken.

Es gibt eine Gemeinschaftsküche. Die Zimmer sind einfach gehalten, aber strahlen Gemütlichkeit aus. «Und es gibt Wlan im ganzen Haus», betont die Hausleiterin, die durchaus mit der Zeit zu gehen weiss.
Statt ein klösterliches Leben auf dem Land zu führen, treten die Oblatinnen bewusst in Kontakt mit Menschen, besuchen Kranke und Bedürftige. Schon der Gründer der Kongregation, Pater Louis Brisson fand, dass man «in grossen Städten mehr Gutes tun kann» und so folgten die Schwestern 1904 einer dringenden Anfrage der Dreifaltigkeitskirche Bern.
Sie kümmerten sich um Mädchen und junge Frauen, die zum Arbeiten allein in die Stadt kamen und sich in einer unsicheren Lage befanden.
Seit 1925 in der Villa Maria
Trotz des göttlichen Segens fing die Ära der Oblatinnen in Bern mit einem echten Schauder an. «Das erste Haus, das die Schwestern bezogen, steht an der Junkerngasse 54. Das Geisterhaus», erzählt Sr. Marthe-Françoise von dieser historischen Kuriosität.
Schon bald merkten ihre Vorgängerinnen, dass es im Haus spukte, was dem Erfolg des sicheren Zuhauses auf Zeit aber keinen Abbruch tat. Dreimal musste eine neue Lokalität in Bern gesucht werden, weil immer mehr Frauen ein Zimmer benötigten.

1925 konnte dann die heutige Villa Maria an der Kapellenstrasse samt ruhigem Garten erworben werden – ein Glücksfall. Das Haus mit der Jugendstilfassade ist ein Rückzugsort mitten in der Stadt, der Sicherheit ausstrahlt.
«Es kommen auch Frauen zu uns, die Gewalt erlebt haben, die mit ihren Kindern in Not geraten sind, sich von einer Krankheit erholen oder einfach mal eine Auszeit brauchen.»
Wenn das Telefon der Schwestern klingelt und das Sozialamt oder die Opferhilfe dran ist, versuchen sie stets zu helfen. «Leider sind Frauenhäuser meist überfüllt. Wenn wir Platz haben, springen wir ein.» Die Schwester weiss, dass äussere und innerliche Armut oft zusammenfallen.
Persönlich
Sr. Marthe-Françoise Bammert (79), stammt aus Egolzwil LU und ist seit 28 Jahren Leiterin der Villa Maria in Bern. Die Oblatin des Heiligen Franz von Sales trat der Ordensgemeinschaft, dessen Mutterhaus sich in Troyes (F) befindet, vor über 55 Jahren bei.
So berichtet die Hausleiterin von einer Mutter, deren Sohn nach einem Herzinfarkt tägliche Pflege benötigt. Immer wieder wohnt die Frau für einige Wochen in der Villa, um ihrer Familie zu helfen. Im Winter besorgten die Schwestern ihr erstmal warme Kleidung. Ein solches Schicksal lässt auch die erfahrene Schwester nicht kalt.
«Ich sehe, wie sehr diese Frau leidet. Wir wissen nicht, wie es weitergeht.» Hier bietet sie ein offenes Ohr an, Zuhören sei zentral. Manchmal sieht die Hausleiterin einer Bewohnerin schon im Gesicht an, dass etwas im Argen liegt. Gemeinsam suchen sie dann eine Lösung.

Ein Monatsgehalt und Taschengeld beziehen die Schwestern nicht für ihre Arbeit. «Sonst könnten wir das Haus nicht erhalten. Wir leben einfach.» Die Schwestern renovieren nach und nach – dank Spenden.
Und verlassen die Villa nicht mal im Umbau: Vor ein paar Jahren verlegten sie aufgrund von Bauarbeiten die Küche kurzerhand in die Waschküche im Keller. Drei Bewohnerinnen blieben mit ihnen im Haus und kreierten eine tolle Gemeinschaft.
Damit dieses Miteinander funktioniert, verlangen die Schwestern nur zwei Dinge: «Ordnung und Respekt.» Doch genauso wichtig ist es, miteinander zu lachen. Sr. Marthe-Françoise weiss, dass sich die Charaktere und Talente ihrer Kolleginnen gut ergänzen. Diese Einheit macht sie stark.
Schwester aus Berufung
«Ich bin auch eine Ehemalige des Hauses, habe als Praktikantin hier gewohnt. Damals hatte ich kein Interesse, ins Kloster zu gehen», erinnert sich die Hausleiterin, die ursprünglich Krankenschwester werden wollte.
Als sie die Schwestern kennenlernte, wurde ihr ihre Berufung bewusst und sie trat als junge Frau dem Orden bei. Nach Stationen in Frankreich, Österreich, Deutschland und im Jura kehrte Sr. Marthe-Françoise in die Villa Maria zurück, als Leiterin.

«Ich bin einfach die Hausmutter und da, wenn mich jemand braucht.» Die Schwestern kümmern sich um den laufenden Betrieb, Einkäufe, Garten und Administration. Sie sitzen mehr im Büro als geahnt, findet die Hausleiterin schmunzelnd.
Den Computer bekommen Besuchende allerdings nicht zu sehen. «Der steht in Klausur», kürzt sie ab. Die Klausur ist ein Ort, zu dem nur die Ordensmitglieder Zutritt haben. In diesem Rückzugsbereich der Villa wohnen die Schwestern.
Am Morgen und am Abend beten sie zusammen. Sr. Marthe-Françoise weiss, wie anspruchsvoll die Arbeit sein kann. «In den ersten Jahren hatte ich sehr viel Mitleid mit den Frauen, die hierherkamen und Schreckliches erlebt hatten. Ich konnte mich nicht abgrenzen und bin fast krank geworden.»
Heute weiss sie, dass sie nicht für alle Probleme eine Lösung findet. Offen sein und ein Schritt nach dem anderen tun.
«Aber dafür müssen wir auch bei Gott auftanken können, indem wir unser geistliches Leben pflegen.» In der Kapelle des Hauses zeigt die Schwester ein Buntglasfenster: ein Baum.
«Aus einem kleinen Samen kann ein Baum werden, darin bauen Vögel ihre Nester und verlassen sie auch wieder.» Sie sieht darin ein Sinnbild für die Villa Maria. Ein Haus, in dem man sich trifft, wie in «einer grösseren Familie, aber jede Mitbewohnerin ist frei.»








