Konstantin Wecker: «Ich bin in der Poesie klüger als im Leben»

Reinhold Hönle
Reinhold Hönle

Bern,

Konstantin Wecker (78) spricht über Alkoholabhängigkeit und Entzug, den Verlust der musikalischen Meditation, das Konzert in Bern und seine Lieder.

Konstantin Wecker Klavier Bücherregale
Konstantin Wecker über sich: «Ich bin in der Poesie klüger als im Leben.» - Daniela Pfeil

BärnerBär: Konstantin Wecker, wie geht es Ihnen?

Konstantin Wecker: Meiner Situation entsprechend. Zuerst musste ich raus aus meinem Haus, weil der Besitzer es verkaufen wollte.

Danach war es wahnsinnig schwer, eine neue Wohnung für meinen Sohn und mich zu finden. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie die Mietpreise in München explodiert sind!

BärnerBär: Doch, vermutlich wie in Zürich …

Wecker: Noch viel schlimmer ist jedoch, dass ich seit zwei Jahren nicht mehr Klavier spielen kann. Es handelt sich wohl um eine Erkrankung der Nerven, Neuropathie oder etwas anderes.

Genau wissen es die Fachleute immer noch nicht. Zuerst hatte ich gedacht, der Bruch eines Rückenwirbels vor drei Jahren, als ich in Basel ausgerutscht war, wäre die Ursache.

BärnerBär: Für jemand, der so intensive Solokonzerte gab wie Sie, muss das besonders brutal sein.

Wecker: Ja, brutal. Da ich mit Jo Barnikel auch einen wunderbaren Pianisten an meiner Seite habe, kann ich trotzdem weiterhin auftreten. Positiv ist auch, dass ich mich ganz auf meine Stimme und die Poesie konzentrieren kann.

Da ich privat 70 Jahre lang jeden Tag drei Stunden Klavier gespielt – nicht geübt – habe, fehlt mir diese Meditation nun unglaublich.

BärnerBär: War dieser Verlust auch ein Anstoss, Ihr neues Buch zu schreiben?

Wecker: Ja, aber vor allem ist «Der Liebe zuliebe» ein spiritueller Rückblick auf mein Leben. Ich frage mich darin, wie ich damit umgehe, was im Alter auf mich zukommt.

Konstantin Wecker schwarz-weiss
In seinem Buch «Der Liebe zuliebe» wirf Konstantin Wecker einen spirituellen Rückblick auf sein Leben. - Thomas Steinborn

Mir hilft, dass ich dank meiner Mama schon in der Kindheit von den Gedanken mittelalterlicher Mystiker wie Meister Eckhart und Hildegard von Bingen erfuhr.

Nun realisiere ich, dass ich in meiner Poesie viel, viel klüger sein durfte als in meinem Leben.

Wenn ich Lieder singe, die ich vor 20, teils 40 Jahren schrieb, frage ich mich, wie ich als junger, dummer Mensch so tiefgreifende, fast weise Texte schreiben konnte.

Es war ein Geschenk, dass ich so Zugang zu etwas erhielt, was mir mein Verstand und mein egogetränkter Verstand noch nicht erlaubt hätte.

BärnerBär: Sie sagten kürzlich, es wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, um in Ihrem Leben aufzuräumen. Sind Sie ein talentierter Aufräumer?

Wecker: Vielleicht. Als mir mein Verleger vor 20 Jahren vorschlug, meine Autobiografie zu schreiben, lehnte ich entrüstet ab. Dafür wäre ich noch viel zu jung!

Ein paar Tage später kam ich darauf zurück und präsentierte ihm meine Idee zu «Die Kunst des Scheiterns», in dem ich nur über meine Niederlagen geschrieben habe.

Ich glaube, mein Talent ist, dass ich mich in der Regel selbst in die Verantwortung nehme und sie nicht anderen zuschiebe.

Zudem spreche ich lieber mit den Abgestürzten als mit den Überfliegern, da ich von ihnen viel mehr erfahre über das Leben.

BärnerBär: Sie bekennen sich in Ihrem Buch erstmals zu Ihrer Alkoholkrankheit. Wann wurden Sie süchtig?

Wecker: Ich glaube, ich war es – wie viele andere, die bedenkenlos Alkohol trinken – schon sehr lange. Aber ich hätte es mir nie eingestanden.

Als trockener Alkoholiker fällt es mir nun auf, wie viele von denen, die immer noch denken, sie würden gezielt und geregelt trinken, abhängig sind.

Persönlich

Konstantin Wecker wurde am 1. Juni 1947 in München geboren. Der Liedermacher erhielt 1977 für seine LP «Genug ist nicht genug» den Deutschen Kleinkunstpreis.

Die unter die Haut gehende Ballade über den von einem Neonazi erschlagenen «Willy» war der Höhepunkt jedes Konzerts.

Sein Schaffen zeichnet sich durch Poesie, Gesellschaftskritik, Leidenschaft und Musikalität aus. Weitere Klassiker sind «Wenn der Sommer nicht mehr weit ist», «Der Fachmann», «Der Herr Richter» und die Titelmelodie zur TV-Serie «Kir Royal».

Wecker hat zwei Söhne (28 & 26) aus seiner zweiten Ehe mit Annik Berlin (50). Gerade erschien Weckers Autobiografie «Der Liebe zuliebe».

Nach meinem ersten Entzug dachte ich noch, ich höre jetzt mal vier Wochen zu trinken auf und hätte danach wieder alles unter Kontrolle.

Erst nach einem schrecklichen Rückfall in die Sucht gestand ich mir ein, dass ich nicht nur gerne etwas trinke, sondern Alkoholiker bin.

BärnerBär: Trösteten Sie sich mit dem Alkohol darüber hinweg, dass die bedingungslose Liebe, die Sie von Ihrem Publikum bekommen, nur zwei Stunden pro Tag dauert?

Wecker: Wahrscheinlich, und über sehr viel Anderes. Ich denke, dass ich schon mein ganzes Leben lang schwermütig war.

Da habe ich mich mal nicht gestellt, sondern in Alkohol und Kokain Zuflucht gesucht.

BärnerBär: Haben die Drogen Ihren künstlerischen Ausdruck stimuliert oder beeinträchtigt?

Wecker: Ich habe all meine Gedichte, bis auf ein paar Ausnahmen, nüchtern geschrieben und weiss nicht, ob mich die ersten Erfahrungen mit Koks beim Songschreiben stimuliert haben, aber sicher, dass ich das Meiste, was ich im Rauschzustand geschrieben hatte, Gott sei Dank, sofort wegschmiss oder verbrannte.

BärnerBär: Hat Ihre Lebensqualität durch die Abstinenz zugenommen?

Wecker: Auf jeden Fall. Ein weiterer Grund war, dass ich dem Tod dereinst nüchtern und nicht besoffen entgegentreten möchte.

Konstantin Wecker schwarz-weiss
Er will dem Tod dereinst nüchtern entgegentreten: Konstantin Wecker. - Thomas Steinborn

Ein grosses Vorbild war mir mein verehrter Freund und Mentor Dieter Hildebrandt, der sich mit 80 Jahren in die Charité einwiesen liess und nach dem Entzug in den letzten fünf Jahren seines Lebens trocken war.

Ich war damals 60 und dachte, mit 80 sei es eh schon wurscht. Jetzt weiss ich, dass es nicht wurscht ist.

BärnerBär: Haben Sie die Hoffnung, dass der Tod nicht das Ende ist?

Wecker: Ich habe in meinem Leben ein paar Nahtoderfahrungen gemacht, die ich im Buch beschreibe.

Zusammen mit den wunderbaren Gesprächen mit meinem Freund, dem Quantenphysiker Hans-Peter Dürr, zeigten sie mir, dass das Leben, wie wir es mit unserem Verstand sehen, nicht alles ist.

Es gibt noch ein Bewusstsein, das nicht vom Verstand gelenkt und unter anderem in der Meditation erreichbar ist – oder zu spüren, manchmal.

BärnerBär: Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit?

Wecker: Ich durfte in einem Elternhaus aufwachsen, das antiautoritär und vor allem antifaschistisch war.

Das war aussergewöhnlich, da ich 1947 geboren wurde. Von meinen Lehrern waren noch fast alle Faschisten und meine Schulkameraden wurden zu Hause verprügelt. Dagegen hat mein Vater nie Gewalt angewandt.

Er war ein Pazifist, der in der Nazizeit den Wehrdienst verweigerte und wie durch ein Wunder überlebt hat. Ein Vorbild, dem ich auch dies gleichgetan habe.

BärnerBär: Hatten Ihre Eltern keine Bedenken, ob Sie mit dem Singen Ihren Lebensunterhalt verdienen können?

Wecker: Nie! Mein Vater hat mich sogar angespornt, als er mich im Gefängnis besuchte, weil ich als 18-Jähriger zum ersten Mal in meinem Leben verhaftet worden war.

Ich hatte aus Dummheit Geld aus dem Tresor eines Rennbahnbesitzers geklaut. Er sagte zu mir: «Konstantin, du weisst doch, zwischen Künstler und Verbrecher gibt es nur einen kleinen Unterschied. So wie es aussieht, taugst du nicht zum Verbrecher. Ich würde dir raten, den künstlerischen Weg einzuschlagen.»

BärnerBär: Wie passt es zusammen, dass Sie 1972 bis 1974, als Sie gerade Ihre ersten LPs veröffentlichten, in Sexfilmen wie «Krankenschwestern-Report» und «Unterm Dirndl wird gejodelt» mitwirkten?

Wecker: Es war die Chance, auf angenehmere Art Geld zu verdienen als in meiner Studentenzeit, in der ich Möbel schleppte.

Ausserdem dachte ich erst noch, dass ich für einen ganz normalen Film engagiert würde.

Erst als ich im Vertrag las, der Künstler hätte nichts dagegen, sich nackt zu zeigen, war mir klar, um welche Art von Filmen es sich handelte, doch es störte mich nicht. Wir taten ja nur so als ob und drehten keine Pornos.

BärnerBär: Drei Jahre später schrieben Sie Ihre legendäre antifaschistische Ballade «Willy». Was inspirierte Sie?

Wecker: Mein Freund Günther und ich wurden in Schwabing von Neonazis blöd angemacht, worauf er sich kurz mit ihnen anlegte.

Dann mussten wir abhauen. Während ich in einem Café Zuflucht fand, lief er weiter, ehe sie ihn festhielten und mit einem Messer im Gesicht verletzten. Zum Glück kam er nicht ums Leben.

Konstantin Wecker Aussenaufnahme sitzend
Zeit hat Konstantin Wecker nur zu Hause in München und in seinem Haus in der Toskana. - Joel Heyd

BärnerBär: Nun singen Sie es live nicht mehr, weil Sie sich die Interpretation ohne eigenes Klavierspiel nicht vorstellen können?

Wecker: Leider, aber dafür werde ich im Programm «Lieder meines Lebens», mit dem ich in die Schweiz komme, sicher «Die Weisse Rose» singen, das eine ähnliche Aussage hat.

Kennst du die Musik von Konstantin Wecker?

Schliesslich müssen wir etwas gegen Rechtsradikale tun und nicht immer daran denken, ob wir damit auch siegen werden.

BärnerBär: Haben Sie einen Bezug zu Zürich und Bern?

Wecker: Ich habe mich schon unheimlich oft in Zürich aufgehalten und fand es immer eine spannende Stadt. In Bern war ich bereits als sehr junger Mann. Ich glaube, dort gab ich mein erstes Konzert in der Schweiz.

Die meisten Städte kenne ich vor allem aus der Konzertperspektive, erinnere mich gut an die Säle, in denen ich aufgetreten bin, doch bleibt zwischen An- und Abreise kaum freie Zeit. Die habe ich fast nur zu Hause in München und in meinem Haus in der Toskana.

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