Hollywood

Heidi Maria Glössner: «Ich fand Hollywood ziemlich langweilig»

Andrea Bauer
Andrea Bauer

Bern,

Der BärnerBär traf die Schauspielerin Heidi Maria Glössner (82) zum grossen Interview.

Heidi Maria Glössner Schauspielerin
Heidi Maria Glössner, 1943 in Süddeutschland geboren und in St. Gallen aufgewachsen, zählt zu den bekanntesten Schweizer Schauspielerinnen. - Daniel Zaugg

Trotz klirrender Kälte kommt Heidi Maria Glössner (82) per E-Bike zum Kursaal. Den Ort, den sie sich für unser Gespräch ausgesucht hat.

«Na ja, ich wohne ja ganz in der Nähe, deshalb ist das Velo am gängigsten!», meint sie lächelnd.

Wir setzen uns in die Lounge, die an diesem Samstagnachmittag angenehm besucht ist.

BärnerBär: Wie immer zu Beginn unserer Frauen-Serie, bitten wir die Protagonistinnen, sich kurz zu beschreiben.

Heidi Maria Glössner: Ich bin sehr neugierig und interessiert und grundsätzlich eine sehr positive Person, auch wenn mir das aktuelle Weltgeschehen (schon) grosse Sorgen macht.

Aber da hilft mir das Theater: hier muss ich mich voll und ganz auf das Stück fokussieren und kann an nichts anderes denken.

BärnerBär: Obwohl einige Stücke ja sehr viel mit dem aktuellen Weltgeschehen zu tun haben. Gerade dasjenige, das Sie aktuell proben?

Glössner: Absolut. Kaum ein Stück ist zur Zeit aktueller als Dürrenmatts «Besuch der alten Dame»: Wie die Bewohner des Dorfes Güllen werfen wir Europäer unsere Moral über Bord, um Trumps Bedingungen zu erfüllen.

Heidi Maria Glössner Schauspielerin
Heidi Maria Glössner: «Ich bin sehr neugierig und interessiert und grundsätzlich eine sehr positive Person.» - Daniel Zaugg

Auch die alte Dame erlangt durch ihren Reichtum Macht und bringt die Bewohnenden am Ende gar dazu, einen Mord zu begehen.

BärnerBär: Kommen wir Menschen also nicht wirklich voran?

Glössner: Es sieht ganz so aus. Technisch zwar schon, menschlich leider weniger. Stellen Sie sich vor, wie schön die Welt wäre, hätten wir unsere Menschlichkeit im gleichen Mass weiterentwickelt und aus Kriegen wirklich gelernt.

BärnerBär: Stichwort Entwicklung. Schauspielerin ist ja ein verbreiteter Traumberuf im Kindesalter. Wie war das bei Ihnen?

Glössner: Solange ich denken kann, wollte ich Schauspielerin werden. Im Kindergarten führten wir das Stück «Der Rattenfänger von Hameln» auf und ich war das einzige Kind, das nicht von ihm gefangen wurde.

Heidi Maia Glössner Schauspielerin
Solange sie denken kann, wollte sie Schauspielerin werden, verrät Heidi Maria Glössner dem BärnerBär. - Daniel Zaugg

Vom Theaterspielen hingegen schon. Das liess mich seither nicht mehr los! Ich spielte danach in Schulaufführungen, aber auch in Theatergruppen.

BärnerBär: Ebenfalls ein Traum vieler junger Menschen ist Hollywood. Ihrer war es nicht?

Glössner: (lacht) Das klingt jetzt fast etwas überheblich, aber nein, effektiv nicht. Ich war nach der Kantonsschule ein Jahr bei meinem Bruder in Santa Monica und kam dort durch eine Freundin mit damaligen Hollywood-Stars in Kontakt.

Ich durfte dann auch bei Filmdrehs von Doris Day und Rock Hudson zuschauen, aber ich fand das alles ziemlich langweilig.

BärnerBär: Langweilig …?

Glössner: Nun ja, ich fand es wahnsinnig mühevoll, wie die kleinsten Szenen gefühlte 100 Mal immer wieder gedreht werden mussten. Mir war sofort klar: Das wollte ich nicht.

Heidi Maria Glössner Schauspielerin
Doris Day fand, die blauen Augen von Heidi Maria Glössner kämen gut auf Technicolor. - Daniel Zaugg

Obwohl, als ich Doris Day von meinen Schauspielplänen erzählte, meinte diese: «Bleib hier, wir helfen dir. Deine blauen Augen auf Technicolor, das kommt gut!»

BärnerBär: Dennoch sind Sie nach Zürich zurückgekommen.

Glössner: Ja, ich war ein idealistisches Mädchen und Ruhm war mir nie wichtig. Ich wollte eine Geschichte live auf der Bühne von Anfang bis zum Ende entwickeln, das hatte mich am Theater so fasziniert.

Ausserdem hatte ich meinem Grossvater versprochen, dass ich zurückkommen würde.

BärnerBär: Hatten Sie denn von daheim immer Unterstützung bei ihrem Berufswunsch?

PERSÖNLICH

Heidi Maria Glössner, 1943 in Süddeutschland geboren und in St. Gallen aufgewachsen, zählt zu den bekanntesten Schweizer Schauspielerinnen. In 57 Theaterjahren hat sie unzählige Rollen quer durch die ganze Theaterliteratur gespielt und noch immer steht sie mit grosser Freude auf der Bühne.

Sie sang grosse Musicalpartien, veranstaltete Lesungen und Chansonabende, spielte in etlichen Film- und Fernsehproduktionen, unter anderem im erfolgreichen Schweizer Film «Die Herbstzeitlosen». Sie erhielt 2016 den Prix Walo als beste Schauspielerin 2015, im Sommer 2017 den Preis für ihr Lebenswerk von der Armin Ziegler-Stiftung und 2018 die Bernburger Ehrenmedaille.

Ab 19. Dezember ist Heidi Maria Glössner am Konzert und Theater St.Gallen in «The Rocky Horror Show» und ab 17. Januar 2026 in «Der Besuch der alten Dame» zu sehen.

Glössner: Ja, ich wurde ermutigt, meinen Träumen zu folgen. Allerdings absolvierte ich auf Wunsch meiner Mutter zuerst das Wirtschaftsgymnasium, damit ich meinen Lebensunterhalt verdienen könnte, falls es mit dem Theater nicht klappen würde.

BärnerBär: Nach der Schauspielschule in Zürich ging es dann aber ziemlich rasch voran mit Rollenangeboten?

Glössner: Das war effektiv so, irgendwie hat sich immer alles ergeben. Wichtig war mir aber immer, mir selbst treu zu bleiben und Rollen wegen meines Könnens zu bekommen, nicht wegen irgendwelcher Beziehungen.

BärnerBär: Gab es denn auch Rollen, die Sie abgelehnt haben und wenn ja, warum?

Glössner: Ich habe mich nie nackt ausgezogen, und Rollen abgelehnt, die mir billig und vulgär schienen. Wenn man in einem festen Ensemble angestellt ist, hat man aber nicht immer eine Wahl und muss sich mit einer Rolle arrangieren.

Beispielsweise bei den «Präsidentinnen» ging es mir so. Das Stück, das oft als eine Art «Fäkaliendrama» mit bissigem Witz beschrieben wird, stiess mich anfänglich ab.

Ich bat darum, mich von der Rolle zu befreien, aber es gab keine Alternative, ich musste sie spielen und siehe da – diese Mariedl wurde eine Lieblingsrolle!

Vielleicht gerade, weil ich zunächst diesen inneren Widerstand überwinden musste. Das hat mich gelehrt, immer mal wieder die Perspektive zu wechseln.

BärnerBär: Wie kommt man eigentlich in eine Rolle hinein?

Glössner: Man beginnt immer wieder bei null. Für mich ist der Regisseur bei diesem Prozess enorm wichtig, er gibt uns seine Vorstellungen mit, wir bringen unsere ein, und zusammen entwickeln wir eine Figur.

Ist dir die Schauspielerin Heidi Maria Glössner ein Begriff?

Bei realen Personen, einer Maria Callas oder Marlene Dietrich beispielsweise, versuche ich, diesen Menschen im Innersten zu verstehen, mich in ihn hineinzufühlen. Nicht, ihn ‹nachzuspielen›, sondern das darzustellen, was ihn ausmacht.

BärnerBär: In einem Ensemble kommt es ja oft vor, dass man zwei, drei Stücke parallel spielt – gibt es da kein Durcheinander im Kopf?

Glössner: (lacht) Nein, wenn die Rolle einmal geboren ist, schlüpft man jeweils mit dem Kostüm in sie hinein und damit ist auch der Text wieder da. Parallel verschiedene Stücke spielen geht problemlos, parallel verschiedene Stücke proben hingegen nicht.

BärnerBär: Warum nicht?

Glössner: Weil die Entstehung einer Rolle die eigentlich grosse Arbeit ist. Bis man sich diese angeeignet hat, muss man sich ganz auf sie einlassen, quasi mit ihr ‹schwanger› gehen, mit ihr eins werden können. Das Spielen ist dann eigentlich nur noch das Dessert.

BärnerBär: Wie stark spüren Sie jeweils das Publikum?

Glössner: Einzelne Menschen sehe ich nicht – gut, vielleicht auch, weil ich gar nicht mehr so gut sehe – aber man spürt die Atmosphäre, spürt quasi den Atem des Publikums, die Stimmung überträgt sich auf die Bühne, das gibt uns Energie. Ausser, wenn jemand schnarcht …

BärnerBär: Passiert das?

Glössner: Zum Glück eher selten! Aber es bringt uns zum Lachen. Einmal schlief eine Dame in der ersten Reihe und schnarchte lange ziemlich laut.

Heidi Maria Glössner Schauspielerin
Heidi Maria Glössner im Stück TELL, das letzten Monat im Berner Theater an der Effingerstrasse aufgeführt wurde. - Severin Nowacki

Ich hatte eine Solorolle, stellte mich direkt vor sie hin und sprach um einiges lauter – sie wachte kurz auf – und schlief gleich wieder ein!

BärnerBär: Welches war Ihr schwierigster Moment auf der Bühne?

Glössner: In den späten 70ern spielten wir in Luzern Shakespeares «Wie es euch gefällt». Ich war Rosalinde, mein damaliger Mann Orlando, Rosalindes Geliebter und wir steckten privat mitten in der Scheidung.

Dennoch musste ich mich jeden Abend neu in ihn verlieben. Das hat unglaubliche Kraft an Konzentration gekostet. Mein Mann weigerte sich, mir auf der Bühne in die Augen zu schauen, was bei einem Liebespaar nicht ganz einfach ist!

BärnerBär: Wenn wir grad beim Thema Beziehungen sind: Hatten Sie auch #me-too-Erfahrungen?

Glössner: In meiner ganzen Karriere hatte ich diesbezüglich sehr viel Glück. Es gab nur einmal eine Situation, in welcher ein Regisseur unbedingt wollte, dass ich mich im Stück «Magic Afternoon» nackt ausziehe, obwohl es für die Rolle gar nicht nötig war.

Da ich wusste, dass es private Motive bei ihm waren, weigerte ich mich. Bis zur Première.

BärnerBär: Was geschah da?

Glössner: Im Stück wird eine Liebesszene auf dem Bett durch das Geräusch eines heranfahrenden Autos unterbrochen. Der Regisseur hinderte den Tonmeister am Einspielen dieses Geräusches, worauf mein Bühnenpartner begann, mich weiter auszuziehen und zu betatschen.

Schauspielerin Heidi Maria Glössner
Auch in schwierigen Entscheidungen bleibt sich Heidi Maria Glössner treu. - Daniel Zaugg

Ich wehrte mich, es kam zu einer Schlägerei, und ich stürzte deshalb rücklings in die Kulisse. Das Publikum glaubte, das gehöre zum Stück und applaudierte begeistert. Ich aber habe nach der Première sofort gekündigt.

BärnerBär: Das konnten Sie sich leisten?

Glössner: Es war schon schwierig, aber ich blieb mir treu.

BärnerBär: Wie kamen Sie eigentlich nach Bern?

Glössner: Der Intendant des Luzerner Stadttheaters wechselte 1987 an die heutigen Bühnen Bern, einige von uns gingen mit. Ich blieb dann über 20 Jahre im Ensemble, auch als die Intendanten wechselten.

Ich bin rückblickend wirklich wahnsinnig dankbar dafür, dass ich nie um Rollen buhlen musste.

BärnerBär: Wer hat Sie in Ihrer Karriere am meisten geprägt?

Glössner: Ganz klar der wunderbare deutsche Schauspieler Wolfgang Reichmann. Er lehrte mich Wahrhaftigkeit. Und dass nicht das grosse, renommierte Haus zählt, sondern was und wie man spielen darf.

Manchmal ist ein kleines Theater weitaus die interessantere und bessere Wahl, wenn man dort eine gute Umgebung und ebensolche Inhalte findet.

BärnerBär: Was würden Sie denn jungen Frauen raten, die Schauspielerin werden möchten?

Glössner: Wenn sie es wirklich möchten, sollten sie es unbedingt probieren. Gerade als junger Mensch sollte man Träume zu realisieren versuchen.

Aber wichtig: Verraten Sie sich dabei niemals selbst, verkaufen Sie Ihre Seele nicht. Das ist gerade in diesem Beruf nicht immer einfach, aber machbar. Und verschafft Respekt.

BärnerBär: Wie ist es denn, gerade in der heutigen Zeit des Jugendwahns, auf einer Bühne alt zu werden?

Glössner: Damit hatte ich nie ein Problem. Alt werden gehört zum Leben und mein Gesicht ist mein wichtigstes Arbeitswerkzeug.

Heidi Maria Glössner Schauspielerin
Ihr Gesicht sei ihr wichtigstes Arbeitswerkzeug, es lebe von der Mimik, so Heidi Maria Glössner. - Daniel Zaugg

Es lebt von der Mimik, deshalb würde ich mir niemals Botox spritzen oder irgendwas operieren lassen. Die Rollen haben sich im Verlaufe des Lebens verändert, aber sie wurden mit dem Alter nicht weniger spannend, im Gegenteil.

BärnerBär: Alt ist sowieso ein Wort, das man nicht wirklich mit Ihnen in Verbindung bringt. Ist es die Bühne, die Sie so jung hält?

Glössner: Auf jeden Fall. Ich bin nach wie vor neugierig und schaue nach vorn. Zwar zwickt es mal hier, mal dort, aber auf der Bühne ist das alles wie weggeblasen.

INFO ZUR SERIE

Erfolgreiche Frauen in Bern

In dieser Serie spricht der BärnerBär mit bekannten Berner Frauen und will herausfinden, welche Menschen sich hinter den prominenten Namen verbergen, was ihnen wichtig ist, wer sie prägte und wie sie zu dem wurden, was sie heute sind.

Ich liebe meinen Beruf noch immer von ganzem Herzen. Deshalb schaue ich auch kaum zurück. Denn wer das tut, wird sehr schnell alt.

BärnerBär: Und zum Schluss die obligate Frage nach der Superkraft – über welche würden Sie gerne verfügen?

Glössner: Ich bin Waage und entsprechend hab ich's gerne harmonisch. Es mag abgedroschen klingen, aber ich hätte sehr gerne die Macht, Frieden auf der Welt zu schaffen.

Kommentare

Weiterlesen

heidi maria glössner
6 Interaktionen
Doppeltes Jubiläum
d
1 Interaktionen
Rücktritt

MEHR HOLLYWOOD

walk of fame
Marvel-Star
"The Running Man"
118 Interaktionen
Kinopremiere
chadwick boseman
Posthum

MEHR AUS STADT BERN

Bäckerei Team Röthlisberger Bern
Nach 30 Jahren
BPRG
Die Bilder
Dies academicus 2025 Universität Bern
Universität Bern
Universität Bern 2025 Nacht
Universität Bern