Illustratorin Karin Widmer: Gerichtssaal, Kinderbuch und Hesse

Peter Widmer
Peter Widmer

Köniz,

Karin Widmer zeichnet im Gerichtssaal, illustriert Kinder- und Schulbücher zahlreicher Autorinnen und Autoren, gestaltet Platten-­Covers.

Illustratorin Karin Widmer in ihrem Atelier in Wabern
Illustratorin Karin Widmer in ihrem Atelier in Wabern - Daniel Zaugg

Das stattliche Landhaus an der Parkstrasse in Wabern, welches der Besucher durch einen grossen Garten betritt, lässt die Vermutung aufkommen, dass hier eine Person wohnt, die kreativ tätig ist.

Beim Gespräch mit der 59-jährigen Illustratorin Karin Widmer bestätigt sich diese Vermutung gleich nach wenigen Minuten.

Zurzeit gestaltet sie im Auftrag von «Chindernetz Kanton Bern» ein Plakat und Postkarten zum Thema Kinderrechte. Auch hat sie soeben die Bebilderung des Hermann Hesse-Romans «Der Kurgast», welcher im Hamburger Verlag Officina Ludi erscheint, abgeschlossen. Diese Arbeit sei zurzeit ihr «Leuchtturmprojekt», ergänzt sie.

Kein typischer Widmer-Stil

Dass Karin Widmer Bücher von Hermann Hesse (1877 – 1962) illustrieren kann, ist kein Zufall, ist sie doch die Urenkelin des berühmten Schweizer Schriftstellers (u. a. Das Glasperlenspiel, Demian, Der Steppenwolf, Narziss und Goldmund, Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne). Gekannt hat ihn Karin Widmer zwar nicht mehr persönlich, da sie vier Jahre nach Hesses Tod geboren wurde.

«Aber meine Mutter weiss noch sehr viel über ihn zu erzählen. Vor ihrem Eintritt ins Altersheim nahm sie an zahlreichen Anlässen zu Hermann Hesse teil und empfahl mich sodann den Verlagen.»

Gelesen hat Karin Widmer sämtliche Hesse-Publikationen − «mit Ausnahme des ‘Glasperlenspiels’», räumt sie ein.

Ein typischer Karin Widmer-Stil ist für den Laien schwer zu erkennen. Gibt es ihn überhaupt? Es sei vor allem der treffende Ausdruck von Mensch und Tier, der ihren Stil präge, sagt die Illustratorin. «Es ist das Lebendige, die Seele, die ich in meinen Arbeiten ausdrücken will. Typisch für meinen Stil ist allerdings der Federstrich», so Karin Widmer.

Auch passe sie sich den Aufträgen an: «Es ist unterschiedlich, ob ich ein Hesse-Buch, ein Bilderbuch oder ein Schulbuch illustriere.»

Ein Schulbuch habe beispielsweise einen Lernauftrag, die Illustrationen müssten die Texte ergänzen und verständlicher machen. Was bei den Arbeiten von Karin Widmer offensichtlich ist: Sie sind gegenständlich, müssen nicht erklärt werden, die Zeichnungen sprechen für sich selbst.

«Altmodisch und doppelbödig»

Die Begabung fürs Zeichnen zeigte sich bei Karin Widmer schon früh. «Ich war ein eher introvertiertes Kind. Wenn andere im Kindergarten spielten, zog ich mich zurück und zeichnete», erinnert sie sich. Sie liebäugelte nie mit einem anderen Berufswunsch, sie wollte Illustratorin werden.

Persönlich

Karin Widmer, geboren 1966, wuchs in Bern und Bremgarten BE auf. Sie absolvierte die Fachklasse für Grafik an der Schule für Gestaltung in Bern. Nach mehrjähriger Anstellung als Grafikerin/Illustratorin beim Berner Zytglogge-Verlag machte sie sich 1995 selbstständig. Seither hat sie ein breites Spektrum an Gedrucktem mit ihren Illustrationen, Skizzen und Cartoons mitgestaltet: Zeitungen, Gerichtszeichnungen, Lehrmittel, Kinder- und Jugendbücher, CD-Covers und eine Europa-Sonderbriefmarke. Karin Widmer ist verheiratet und wohnt in Wabern. (www.hookillus.ch)

«Weil es in den 1980er-Jahren in der Schweiz noch nirgends eine Illustratoren-Ausbildung gab, führte mein Weg in der Schule für Gestaltung über die Fachklasse für Grafik, was ich heute aber keineswegs bereue», sagt Karin Widmer.

Karin Widmer bezeichnet ihre Arbeiten als «altmodisch». Warum? «Meine Zeichnungen sind zeitlos und meine Illustratoren-Vorbilder stammen hauptsächlich aus dem späten 19. Jahrhundert», erklärt sie ihre Selbsteinschätzung.

«Ich denke dabei beispielsweise an den britischen Illustrator Arthur Rackham (1867 – 1939), der im Jugendstil zeichnete, was mir extrem gut gefällt!» Moderne Illustrationen sind weniger ihr Ding: «Durchaus okay, aber flächig und häufig austauschbar − das machen alle!»

Eine besondere Herausforderung, die sie liebt, sind «doppelbödige», symbolische Sujets. Karin Widmer nennt als Beispiel Menschen mit multipler Persönlichkeit (eine Person hat zwei oder mehr unterschiedliche Persönlichkeitszustände oder Identitäten, die abwechselnd die Kontrolle über das Verhalten, Denken und Fühlen übernehmen). «Ich illustriere gerne Themen, wo es schwierig ist, ein passendes Foto zu finden.»

Die Aufträge

Karin Widmer arbeitet mit unterschiedlichen Autorinnen und Autoren zusammen. Wie stark kann sie sich dabei selbst einbringen und wie gross ist das Frustpotenzial? Die erfahrene Illustratorin schmunzelt: «Es sind Kundenaufträge, da ist eine gewisse Grosszügigkeit angesagt.»

Sie bezeichnet sich deshalb nicht als Künstlerin, sondern als «Dienstleisterin», welche die Aufträge zur Zufriedenheit des Kunden/der Kundin ausführen will. Grossmehrheitlich könne sie sich aber mit ihren Ideen und Vorstellungen einbringen. Wenn sie von der Autorin das Manuskript erhält, erstellt Karin Widmer bereits während des Lesens Grobskizzen, bespricht sich anschliessend mit der Verfasserin.

Der Verlag legt in der Regel die Seitenzahl und die Zahl der Illustrationen fest. Anhand dieser Vorgaben unterbreitet Karin Widmer ein Angebot. Es sei jeweils ein − meist erfreuliches − «Zusammenraufen». In ihrer langen Karriere musste sie nur wenige Aufträge ablehnen, meist aus Zeitgründen oder wenn der Inhalt grottenschlecht geschrieben sei.

Als knifflige Aufträge bezeichnet Karin Widmer Schulbücher, mit deren Inhalt sie nicht vertraut ist. Sie erwähnt lachend als Beispiel das Funktionieren eines Kraftwerks. «Da recherchiere ich lange nach passenden Bildvorlagen.»

Hat traditionelle Illustration noch genügend Wertschätzung?

Zeichnen im Gerichtssaal

Ein weiterer «Zweig» von Karin Widmers Schaffen ist die Funktion als Gerichtszeichnerin für Printmedien. Kurz nach Abschluss ihrer Berufsausbildung durfte sie bereits für die Berner Tageszeitung «Der Bund» anfangs der 1990er-Jahre die Verhandlungen zum legendären Mord in Kehrsatz (1985) illustrieren. Der Mord ist bekanntlich bis heute ungeklärt. Sie erinnert sich an einen weiteren prominenten Prozess, den sie illustrieren durfte:

Der sogenannte «Heiler von Bern», der 2015 zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt wurde. «Wir waren mehrere Illustratoren und durften den Täter nur von hinten zeichnen. Ich weiss noch heute nicht warum», blickt Karin Widmer zurück. Sie schätzt die Arbeit und die Spannung im Gerichtssaal, auch wenn sie in der Regel bloss zum Auftakt eines Prozesses anwesend ist.

Besondere Auflagen gebe es nicht: «Die Zeitungsredaktionen sind interessiert an Porträts der Angeklagten, Richter, Geschworenen und Anwälte.»Leider seien solche Aufträge in letzter Zeit rückläufig, «wohl aus Spargründen», bedauert Karin Widmer.

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