Arztbesuch: Willkürlicher Altersaufschlag

Andrea Bauer
Andrea Bauer

Bern,

Seit 2018 dürften Mediziner für Menschen über 75 Jahren Extrazeiteinheiten verrechnen. Doch entscheidend sollte nicht das Geburtsdatum, sondern der Mensch sein.

Apropos Bär
Apropos: Die Kolumne vom BärnerBär. - zvg

«Ich war nur schnell auf dem Gurten», antwortet unser 85-jähriger Nachbar, als wir uns beim Velounterstand treffen und ich ihn frage, wo ihn seine heutige Tour hingeführt habe.

«Aber als tattriger, langsamer Alter ist das immerhin etwas!», fügt er schmunzelnd hinzu. Als ich protestieren will, meint er nur lachend: «Das ist nicht wirklich meine Meinung, aber so steht es jeweils unter meiner Arztrechnung!»

Eigentlich erst, wenn der Arztbesuch länger als 20 Minuten dauert

Also wie? Nun, erklärt er mir, seit 2018 dürften Mediziner für Kinder unter sechs und Menschen über 75 Jahren Extrazeiteinheiten verrechnen.

junge beim kinderarzt
Seit 2018 dürfen Mediziner für Kinder unter sechs und Menschen über 75 Jahren Extrazeiteinheiten verrechnen. - Depositphotos

Zwar eigentlich nur, wenn der Arztbesuch länger als 20 Minuten dauere. Weil eben Kleinkinder und offenbar alle Menschen, die älter als 75 sind, zeitaufwendiger seien.

«Auch wenn ich nur zehn Minuten beim Arzt bin und dieser zwischendurch noch einen oder zwei Anrufe seiner Assistentin entgegennimmt – der Alterszuschlag wird mir immer verrechnet», meint er achselzuckend.

Die Idee, Zeitaufwand fair zu vergüten, ist ja an sich vernünftig. Aber die Botschaft «Alter gleich Aufwand» ist ungefähr so treffsicher wie ein Wetterbericht im April.

Entscheidend ist nicht das Geburtsdatum, sondern der Mensch

Denn entscheidend ist doch nicht das Geburtsdatum, sondern der Mensch, der da sitzt. Wer länger braucht, zahlt mehr. Wer mehrere Diagnosen bespricht, ebenso.

Wer aber in zehn Minuten fertig ist, zahlt doch einfach die zehn Minuten. Ganz egal, ob er 4, 44 oder 84 ist.

Älterer Mann wird vom Arzt untersucht
Ganz egal, wie lang oder kurz der Arztbesuch ist, bei vielen Schweizer Patienten über 75 Jahre wird ein «Seniorenzuschlag» mit verrechnet. - Depositphotos

Ich frage bei meinen Eltern und weiteren Bekannten über 75 nach. Und alle bestätigen mir, dass, ganz egal wie lang oder kurz sie beim Arzt seien, der «Seniorenzuschlag» immer verrechnet werde.

«Das ärgert mich schon sehr», sagt etwa meine topfitte 82-jährige Tante, mit deren Wandertempo mancher Mittfünfziger seine liebe Mühe hätte und die so scharfsinnig wie eh und je Zeitungsberichte und Literatur analysiert.

Alter ist keine Krankheit, sondern ein Lebensabschnitt

Statt unfairen Zuschlägen nach Alterskategorien – und wir wissen ja alle, wie wenig das Alter über den körperlich-geistigen Zustand eines Menschen aussagt – bräuchte es also einfach eine ehrliche Abrechnung nach individuellem Aufwand.

Stand auf deiner Arztrechnung schon mal ein Zeitzuschlag?

Denn Alter per se ist schliesslich keine Krankheit, sondern ein Lebensabschnitt. Menschen über 75 mit Kleinkindern und Mehraufwand gleichzusetzen ist ungefähr so logisch, wie einem Marathonläufer einen Rollator zu schenken, nur weil er graue Haare hat.

Mehr zum Thema:

Kommentare

User #1086 (nicht angemeldet)

Fertige Bürokratie. Hatte früher die Rechnungen genau studiert, heute ist dies mir zu Blöd. Erste 5 Minuten, zum Grüezi sagen, dann folgen die Pos. und zu letzt 5 Min. Tschau! BAG und so etwas soll sparen heissen! ?

User #3438 (nicht angemeldet)

ich bin noch nicht 75 und das gleiche wird auch bei meiner arztrechnung aufgeschrieben

Weiterlesen

Ber
18 Interaktionen
Spital-Rechnung

MEHR AUS STADT BERN

glauser svp
Krawall-Demos
Apropos Bär
Apropos
Dr. Sarah Schläppi
«Sarah hat Recht»
Weihnachtsmärkte
Die Übersicht