Wie kann eine neue Katastrophe nach dem Muster der Corona-Pandemie verhindert werden? Mit einem eigenen UN-Vertrag, glauben Deutschland und andere Länder. Der Weg ist aber steinig.
Das Logo der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im europäischen Hauptquartier der Vereinten Nationen in Genf. Foto: Peter Klaunzer/KEYSTONE/dpa
Das Logo der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im europäischen Hauptquartier der Vereinten Nationen in Genf. Foto: Peter Klaunzer/KEYSTONE/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Was mit der Corona-Pandemie über die Welt hereingebrochen ist, lässt manchen am Sinn der Vereinten Nationen zweifeln.

Was bringt es, wenn Diplomaten und Politiker jahrelang die internationale Kooperation beschwören und feierliche Vereinbarungen verabschieden? Wenn das am Ende eine globale Tragödie mit Millionen Toten, neuer Armut und beispiellosen Wirtschaftseinbrüchen nicht verhindert? Wenn ein erbarmungsloses nationales Gezerre um Gesichtsmasken und Impfstoffe einsetzt, bei dem die Ärmsten auf der Strecke bleiben?

So etwas soll sich nicht wiederholen - deshalb wollen Deutschland und rund zwei Dutzend andere Länder auf der virtuellen Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ab Pfingstmontag (24. Mai) den Startschuss für Verhandlungen über einen internationalen Pandemievertrag geben. Da fragen Skeptiker: Noch so ein Papiertiger? Kann das Menschenleben retten? Es wäre ein grosser Puzzlestein, sind Befürworter überzeugt.

«Es wird weitere Pandemien und andere schwere Gesundheitskrisen geben», warnten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und mehr als zwei Dutzend Staats- und Regierungschefs Ende März. «Gemeinsam müssen wir besser darauf vorbereitet sein, (...) Pandemien vorherzusehen, zu verhindern, zu erkennen, zu bewerten und wirksam darauf zu reagieren. Die Covid-19-Pandemie hat uns schonungslos und schmerzhaft vor Augen geführt, dass niemand sicher ist, bis alle sicher sind.»

Deutschland ist in der Pandemie zu einer Art WHO-Champion geworden: Kein Land hat seine Beiträge so deutlich erhöht. Für das WHO-Budget 2020-21 überweist Berlin umgerechnet rund 900 Millionen Euro, fast vier mal so viel wie in den zwei Jahren davor. Deutschland ist vom fünftgrössten zum mit Abstand grössten Geldgeber geworden. Mit 30 Prozent weniger liegt die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung nach heutigem Stand dahinter, wie ein WHO-Budgetanalyst sagt.

In Berlin entsteht auch ein WHO-Pandemie-Frühwarnzentrum, das Deutschland mit 30 Millionen Euro fördert. Darin sollen Supercomputer Unmengen von Daten zu Krankheiten bei Tier und Mensch aus aller Welt analysieren. So soll schon vor Ausbruch einer Pandemie beim kleinsten Anzeichen für eine mögliche Gefährdung Alarm geschlagen werden.

Eines der Ziele des Pandemievertrags wäre es, dass alle Länder auch mitmachen beim Datenaustausch. Labors könnten darin auch zu mehr Transparenz verpflichtet werden. «Wenn sich die Länder darauf einlassen, dass Labors alle zwei Jahre von einer Kommission besucht werden, schafft das Vertrauen, und man kann im Notfall auf Kontakte zurückgreifen», sagt Professorin Ilona Kickbusch von der Genfer Universität Graduate Institut, die lange bei der WHO war. Unwürdige Schlammschlachten um knappe Schutzausrüstung oder Impfstoffe sollen künftig vermieden werden, indem die lokale, regionale und weltweite Produktion der Materialien angekurbelt wird.

Damit es nicht bei frommen Worten bleibt, ist ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag geplant: wer mitmacht, muss sich daran halten. Künftig könnten es sich dann eigentlich nur Schurkenstaaten leisten, dagegen zu verstossen - und müssten wohl internationale Ächtung in Kauf nehmen.

Das erschreckt wohl einige der 194 WHO-Mitglieder. «Wir sehen schon, dass einige Länder so etwas verhindern wollen», sagt ein Diplomat in Genf. Das Länder international in die Pflicht genommen werden - das ist für manche ein rotes Tuch. Aufseiten der Bremser werden Russland und Brasilien genannt, ebenso die USA.

Eine WHO-Expertenkommission unter Leitung von Lothar Wieler, dem Chef des Robert Koch-Instituts, hat vorgeschlagen, in dem Vertrag die schnelle Entsendung eines WHO-Teams zum Ausbruchsort einer Pandemie zu verankern. Doch in Peking lässt schon der Ausdruck «unabhängige Untersuchung» Alarmglocken schrillen. Dort besteht man auf «einvernehmlichen Untersuchungen», nichts soll ohne Zustimmung der Regierungen gehen. Weil das bislang Usus ist, konnte Peking die WHO-Untersuchung zum Ursprung der Corona-Pandemie erst monatelang hinauszögern und dann bestimmen, was die Experten zu sehen bekamen und was nicht.

Ein Pandemievertrag macht voraussichtlich nur bei breiter Unterstützung Sinn, es bräuchte sicher deutlich mehr als die Hälfte der 194 WHO-Mitgliedsländer. «Wir stellen uns darauf ein, dass wir ein paar dicke Bretter bohren müssen», sagt ein Diplomat aus einem Befürworterland. Vorbild ist das 2005 in Kraft getretene «Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs». Erst belächelt, haben sich inzwischen rund 180 Länder angeschlossen. Er ist damit «einer der meistbeachteten Verträge in der UN-Geschichte», wie die WHO stolz sagt.

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