Weltkriegsgedenken im Schatten der aktuellen Krisenlage
Deutschland und andere Staaten haben 80 Jahre nach Kriegsende an die Lehren aus NS-Zeit und Zweitem Weltkrieg erinnert.

Unter dem Eindruck neuer internationaler Konflikte und der Herausforderung der westlichen Demokratien haben Deutschland und andere Staaten des Endes des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren gedacht.
Im Bundestag rief Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dazu auf, an den Lehren aus dem Krieg und der NS-Diktatur konsequent festzuhalten. Israels Staatspräsident Izchak Herzog sprach in Jerusalem mit Blick auf den 8. Mai 1945 von einem «Sieg des Guten über das Böse».
Steinmeier warnte in der Gedenkstunde vor Abschottung, aggressivem Nationalismus und der Verachtung von demokratischen Institutionen. «So haben wir in Deutschland schon einmal die Demokratie verloren», sagte er. «Stehen wir ein für unsere Werte, erstarren wir jetzt nicht in Ängstlichkeit! Beweisen wir Selbstbehauptung.»
Internationale Ordnung und Demokratie heute angefochten
Der Bundespräsident betonte, der 8. Mai sei als Tag der Befreiung inzwischen Kern der gesamtdeutschen Identität. Heute müsse man nicht mehr fragen, ob uns der 8. Mai befreit habe.
«Aber wir fragen: Wie können wir frei bleiben?» Ein Auftrag sei auch: «Deutschland wird gebraucht, um um Frieden zu ringen, wo er verloren gegangen ist.»
Der Bundespräsident wies darauf hin, dass die Staatengemeinschaft als Konsequenz aus Vernichtungskrieg und Völkermord eine internationale Ordnung auf Basis des Völkerrechts geschaffen habe. Diese werde heute auch durch die USA infrage gestellt. Die Faszination des Autoritären und populistische Verlockungen gewännen auch in Europa Raum, Zweifel an der Demokratie würden laut. Und in Deutschland erstarkten extremistische Kräfte.
Kritik an der US-Politik
Steinmeier kritisierte scharf die Politik von US-Präsident Donald Trump, ohne ihn allerdings beim Namen zu nennen. Dass sich nun ausgerechnet auch die Vereinigten Staaten von der internationalen Ordnung abwendeten, die sie selbst massgeblich geprägt hätten, sei «eine Erschütterung neuen Ausmasses».
Der Bundespräsident stellte dies in einen direkten Zusammenhang zum Überfall Russlands auf die Ukraine. Er sprach von einem «doppelten Epochenbruch» durch den Angriffskrieg Russlands und den Wertebruch Amerikas.
Besorgnis über extremistische Kräfte in Deutschland
Besorgt zeigte sich Steinmeier über das Anwachsen extremistischer Kräfte im eigenen Land. Dabei nannte er die AfD nicht direkt. Diese Kräfte verhöhnten die Institutionen der Demokratie und ihre Repräsentanten, vergifteten Debatten, hetzten Menschen gegeneinander auf.
«Wer Gutes für dieses Land will, der schütze das Miteinander, den Zusammenhalt und den friedlichen Ausgleich von Interessen. Das erwarte ich von allen Demokratinnen und Demokraten in diesem Land», sagte Steinmeier unter langem Beifall.
Mit Blick auf diese Passage in Steinmeiers Rede sagte AfD-Chef Tino Chrupalla der Deutschen Presse-Agentur: «Wir fühlen uns nicht als Extremisten angesprochen.» Chrupalla nannte es unangemessen, dass Steinmeier die Amerikaner angegriffen habe. Die Rede sei eines Bundespräsidenten nicht würdig gewesen.
Kein Schlussstrich unter der Geschichte
Ebenfalls gegen die AfD zielte Steinmeiers eindringliche Warnung davor, einen «sogenannten Schlussstrich unter unsere Geschichte und unsere Verantwortung» ziehen zu wollen. «Flüchten wir nicht aus unserer Geschichte. Werfen wir ihre Lehren gerade dann nicht über Bord, wenn sie uns etwas abverlangen. Das wäre feige und falsch zugleich.»
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) kritisierte zur Eröffnung der Gedenkstunde, viele Menschen wollten sich nicht mehr mit dem ungeheuerlichen Ausmass der deutschen Verbrechen beschäftigen. «Dieser Tendenz entgegenzuwirken – auch dazu dient das Gedenken am 8. Mai.»
Zweiter Weltkrieg forderte Millionen Opfer
Der von Hitler-Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg forderte nach unterschiedlichen Schätzungen weltweit zwischen 50 und über 60 Millionen Todesopfer, die Mehrheit davon Zivilisten. Besonders schwer traf es die Sowjetunion mit rund 27 Millionen Toten. Deutschland verlor etwa 6,3 Millionen Menschen, darunter viele Soldaten.
Der Krieg endete in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, die am 8. Mai 1945 in Kraft trat. Zuvor hatten britische und amerikanische Truppen vom Westen her und sowjetische Soldaten aus dem Osten in verlustreichen Kämpfen weite Teile Deutschlands besetzt. In den Reihen der Roten Armee kämpften auch viele Ukrainer.
Die Kapitulationsurkunde wurde zweimal unterzeichnet – einmal im französischen Reims und dann nochmals im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst. Da war es in Moskau schon nach Mitternacht, weshalb Russland den 9. Mai als Tag der Kapitulation ansieht.
Botschafter von Russland und Belarus nicht eingeladen
Zu der Veranstaltung im Plenarsaal des Bundestags waren auch die in Deutschland vertretenen Diplomaten eingeladen, nicht aber die Botschafter von Russland und Belarus. Sie waren wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine unerwünscht.
Auf der Zuschauertribüne im Reichstagsgebäude sassen unter anderem die Botschaft Israels und der Ukraine, Ron Prosor und Oleksii Makeiev, sowie der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster.
Herzog: Nie schweigen im Angesicht des Hasses
Israels Präsident Herzog, der in der kommenden Woche in Berlin erwartet wird, dankte den Armeen der Alliierten und allen Kräften, die geholfen hätten, Europa von den Nazis zu befreien. «Wir gedenken auch der 1,5 Millionen jüdischen Soldaten, die gekämpft haben, und von denen eine Viertelmillion nicht zurückgekehrt ist.»
Herzog sagte, die Lehre des damaligen Siegs über die Nazis sei klar: «Wir dürfen nie schweigen im Angesicht des Hasses.» Man dürfe auch Antisemitismus nie ignorieren. «Die Welt muss immer zusammenstehen, mit unmissverständlicher moralischer Klarheit und unermüdlichem Einsatz, in der Verteidigung von Freiheit und Menschenwürde.»
Selenskyj erinnert an Millionen Kriegstote der Ukraine
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betonte die Rolle seines Landes bei der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus. Acht Millionen Ukrainer seien im Kampf um die Freiheit damals gefallen, sagte er in einer Videobotschaft.
Auch heute müsse das «Böse» mit vereinten Kräften bekämpft werden, betonte er mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen sein Land. Russland brauche, wenn es sich nicht ändere, eine «Entnazifizierung und Demilitarisierung», sagte Selenskyj mit Blick auf die für diesen Freitag geplante grosse Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau.
Steinmeier würdigt Beitrag der Roten Armee
Steinmeier dankte Amerikanern, Briten, Franzosen und allen anderen, die den Kampf gegen den nationalsozialistischen Terror geführt hätten. «Wir wissen auch, welchen Beitrag die Rote Armee dabei geleistet hat, Russen, Ukrainer, Weissrussen und alle, die in ihr gekämpft haben.»
Die Rote Armee habe Auschwitz befreit. Mindestens 13 Millionen dieser Soldaten und noch einmal so viele Zivilisten hätten ihr Leben verloren.
Russlands Krieg keine Fortsetzung des antifaschistischen Kampfes
«All das vergessen wir auch nicht. Aber gerade deshalb treten wir den heutigen Geschichtslügen des Kreml entschieden entgegen. Auch wenn das morgen bei den Siegesfeiern in Moskau wieder behauptet werden sollte: Der Krieg gegen die Ukraine ist eben keine Fortsetzung des Kampfes gegen den Faschismus.»
Putins Feldzug gegen ein freies, demokratisches Land habe nichts gemein mit dem Kampf gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft im Zweiten Weltkrieg.