Ukraine-Krieg: Muss Selenskyj für den Frieden zurücktreten?

Nicola Aerschmann
Nicola Aerschmann

Ukraine,

Im Ukraine-Krieg spricht immer mehr dafür, dass Kiew Gebiete abgeben muss. Wolodymyr Selenskyj bleibt aber hart. Braucht es für Frieden einen Machtwechsel?

Ukraine-Krieg
Unter Druck: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Wolodymyr Selenskyj spricht sich vehement gegen Gebietsabtretungen aus.
  • Dagegen erhöhen beispielsweise die USA den Druck auf Kiew – die Krim bleibe russisch.
  • Experten schätzen ein, wie fest Selenskyj noch im Sattel sitzt.

Die Lage im Ukraine-Krieg hat sich in den letzten Wochen und Monaten stark verändert. Insbesondere der erneute Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident brachte neuen Schwung in die Situation.

Seither gibt es immer wieder Hoffnungen auf eine Lösung am Verhandlungstisch. So richtig realistisch scheint ein Frieden aber nicht.

Die Waffenruhen bleiben vorerst kurz – und werden beidseitigen Anschuldigungen zufolge nicht einmal eingehalten.

Gebietsabtretungen als Preis für Frieden im Ukraine-Krieg?

Eine wichtige Frage ist, welchen Preis die Ukraine für einen möglichen Frieden zahlen müsste. Trump forderte beispielsweise Wolodymyr Selenskyj kürzlich dazu auf, auf die 2014 durch Russland annektierte Krim zu verzichten.

Der ukrainische Präsident stellt zwar immer wieder klar, dass Gebietsabtretungen für ihn keine Option sind. Doch selbst innerhalb der Ukraine ist diese Haltung mittlerweile nicht mehr unumstritten.

Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko sagte gegenüber BBC, dass Kiew womöglich vorübergehend Gebiete abtreten müsse.

Gerät der «sture» Selenskyj also immer mehr unter Druck? Braucht es vielleicht sogar einen Machtwechsel in Kiew, damit der Ukraine-Krieg beendet werden kann?

Aussenpolitischer Druck kommt aus den USA

Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen bestätigt gegenüber Nau.ch zunächst: «Der Druck aus den USA in dieser Frage wird weiter zunehmen.»

Trump oder US-Aussenminister Marco Rubio würden beispielsweise explizit Gebietsabtretungen fordern.

Ulrich Schmid Uni Stgallen
Ulrich Schmid ist Professor für Osteuropastudien an der Universität St. Gallen. - keystone

Für die USA hätte dies laut dem Osteuropa-Experten einen positiven Nebeneffekt. «Wenn Russland in einem völkerrechtlich anerkannten Verfahren die Krim übernehmen kann, dann könnten die USA in Zukunft auch Grönland übernehmen.»

Weniger aussenpolitischer Druck droht Selenskyj derweil aus der EU. Die Aussenbeauftragte Kaja Kallas schliesst Gebietsabtretungen an Russland aus.

Selenskyj wird von Mehrheit der Ukrainer gestützt

Innenpolitisch sieht es für Selenskyj zudem besser aus. Der Eindruck, dass Selenskyj in der Territoriumsfrage unter Druck gerät, täusche, sagt Osteuropa-Experte Nicolas Hayoz.

Der emeritierte Professor von der Universität Freiburg erklärt: «Selenskyj kann weder den Verlust der Krim noch anderer besetzter Gebiete akzeptieren.»

Selbst, wenn der Präsident dies wolle. «Die Verfassung der Ukraine, die deren Souveränität festschreibt, würde das nicht erlauben.»

Nicolas Hayoz
Nicolas Hayoz, emeritierter Professor von der Universität Fribourg. - Universität Fribourg

Sprich: Für Gebietsänderungen bräuchte es eine Verfassungsänderung. Und diese würde die ukrainische Bevölkerung laut Hayoz «nie akzeptieren».

Gebietsabtretungen sind innerhalb der Ukraine zwar auch immer mehr Thema, sagt derweil Schmid.

«Laut Meinungsumfragen hat die Bereitschaft, Gebietsabtretungen zuzustimmen, in der Ukraine zugenommen.» Allerdings spreche sich gemäss den Daten immer noch eine knappe Mehrheit dagegen aus.

Sollte die Ukraine aus deiner Sicht Gebietsabtretungen zustimmen?

Hier muss man eine wichtige Unterscheidung machen. Klitschko und andere Akteure fordern nämlich nur einen vorübergehenden Verzicht der Gebiete, betont Hayoz. Dies, um ein Waffenstillstandabkommen zu realisieren.

Das ist natürlich etwas ganz anderes als eine offizielle Anerkennung der Gebiete als russisch.

Und selbst wenn die Gebietsverluste «beliebter» werden, heisst das nicht, dass Selenskyj unbeliebter wird. Gerade nach dem berüchtigten Treffen mit Donald Trump in Washington sind Selenskyjs Werte nochmals gestiegen, betonen beide Experten.

Machtwechsel in der Ukraine wäre im Sinne Putins

Muss Selenskyj für einen Frieden in der Ukraine also zurücktreten?

Nein. Schmid glaubt trotz des steigenden Drucks auch nicht, dass ein Machtwechsel in der Ukraine für einen Frieden nötig sei.

«Selenskyj hat selbst seinen Rücktritt angeboten, falls seine Person das Hindernis zu einem gerechten Frieden darstellen sollte. Allerdings ist nicht Selenskyj das Problem, sondern Putin.»

Denn der russische Präsident Wladimir Putin simuliere zwar Verhandlungsbereitschaft. Gleichzeitig verfolge er seine militärischen Ziele im Ukraine-Krieg aber weiterhin «mit besonderer Grausamkeit».

Ukraine-Krieg
Wladimir Putin und der Kreml haben zu Beginn des Ukraine-Kriegs das Ziel Machtwechsel in Kiew herausgegeben. - keystone

Eine von Russland und den USA geforderte Präsidentschaftswahl sei ohnehin schwierig durchzuführen, betont Schmid.

Auch Hayoz glaubt, dass ein Machtwechsel in der Ukraine wohl vorwiegend dem Kreml dienen würde. «Putin hat ja schon mehrere Male gefordert, dass die Ukraine Wahlen durchführen müsste. Wohl wissend, dass Wahlen während eines Krieges unmöglich und auch praktisch nicht durchführbar sind.»

Selenskyjs Position stabil – zumindest bis zu den nächsten Wahlen

Das Fazit: Aussenpolitisch, vor allem aus den USA, nimmt der Druck bezüglich Gebietsabtretungen schon zu.

So könnte auch Selenskyj in eine ungemütlichere Lage kommen. Allerdings ist die Unterstützung gerade aus der EU noch gegeben.

Innenpolitisch dürfte Selenskyjs Position nach wie vor mehrheitsfähig sein. Seine Beliebtheitswerte sind zuletzt sogar eher noch gestiegen.

Es scheint zwar immer mehr Stimmen zu geben, die Gebietsverzichte im Ukraine-Krieg akzeptieren würden. Allerdings nur als vorübergehende Lösung – und nicht im Sinne einer offiziellen Abgabe auf Stufe Verfassung.

Wolodymyr Selenskyj
Noch ist Wolodymyr Selenskyj ukrainischer Präsident – Neuwahlen sind derzeit nicht in Sicht. - keystone

Selenskyj sitzt also derzeit sicher im Sattel. Wenn irgendwann wieder Wahlen stattfinden können, werden die Karten neu gemischt. Aber das ist eine Diskussion, die zu einem späteren Zeitpunkt geführt werden muss.

Mittlerweile ist Wolodymyr Selenskyj seit fast einem Jahr nicht mehr vom Volk bestätigter Präsident. Am 20. Mai 2024 endete die offizielle Amtszeit.

Allerdings sind Wahlen wegen des Ukraine-Kriegs nicht möglich – deswegen ist Selenskyj immer noch das rechtmässige Staatsoberhaupt.

Kommentare

Albert Hudson

Selensky muss gehen, er hat nicht einmal bei der Ukrainischen Bevölkerung einen unangefochtenen Rückhalt. Seine Politik gegen die Bewohner der Ostukraine ist umstritten.

User #2016 (nicht angemeldet)

Es wär so einfach! Putin und seine Krieger gehen heim, dann kann Frieden kommen. Wenn er aber gewinnt und die Ukraine einnimmt, werden auch andere Länder so einen Krieg erleben.

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