Ein Berliner Fussball-Teenager stirbt nach einem Streit unter Jugendlichen. Der Fall sorgt für Schock und Trauer. Politiker und Funktionäre sind mit einem wachsenden Problem konfrontiert.
Das Spielfeld des SV Viktoria Preussen e.V. im Frankfurter Stadtteil Eckenheim: Hier kam es zu Gewalt.
Das Spielfeld des SV Viktoria Preussen e.V. im Frankfurter Stadtteil Eckenheim: Hier kam es zu Gewalt. - Boris Roessler/dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • An Fussball ist beim Jugendfussballclub Berlin derzeit nicht zu denken.

«Absetzung» lautet der angesichts der dramatischen Ereignisse ziemlich technisch klingende Hinweis auf der Terminseite Fussball.de zu dem für diesen Mittwochabend ursprünglich geplanten Spiel der B-Jugend des JFC gegen Hertha 03 II. Diese schlichte Information ist auch auf der Homepage des Vereins zu sehen.

Es wird getrauert beim JFC Berlin. Aber nicht nur beim Verein aus dem Hauptstadt-Bezirk Lichtenberg sitzt der Schock über den Tod eines 15-Jährigen aus der U17-Jungenmannschaft der Ost-Berliner tief.

Die gewalttätigen Ereignisse unter Jugendfussballern bei einem Turnier in Frankfurt/Main, die am Pfingstsonntag zu den fatalen Verletzungen des Nachwuchsspielers führten, beschäftigen die Justiz. Und sie führen erneut zu Betroffenheitsbekundungen bei Politikern und Fussball-Funktionären.

Fussball und Gewalt, das ist ein längst bekanntes Phänomen, gerade auf lokalen Sportplätzen und – immer öfter auch im Juniorenbereich. Die Ereignisse beim «Germany Cup» in Hessen sind aber in ihrer Dimension besonders dramatisch.

Handgemenge nach dem Spiel

Nach dem Halbfinale des JFC gegen das französische Team der Jugendakademie vom FC Metz, das die Berliner gewonnen hatten, kam es Berichten zufolge zu einem Handgemenge zwischen den Spielern beider Teams. Ein 16 Jahre alter Franzose soll den Berliner Jungen an Kopf und Hals geschlagen haben. Dieser sank zu Boden und wurde in ein Krankenhaus gebracht.

Die schreckliche Diagnose: Hirntod. Sie bedeutete, dass die noch funktionsfähigen Organe des 15-Jährigen nur durch Maschinen am Leben gehalten wurden. Bei Bewusstsein war das Opfer nicht mehr, eine Rückkehr ins Leben galt als medizinisch ausgeschlossen. Am Mittwoch teilten Polizei und Staatsanwaltschaft dann mit, dass der Junge gestorben sei.

Der aus Berlin stammende Jugendliche wird nach Aussage der Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, Nadja Niesen, zum Organspender. Zunächst soll der Leichnam obduziert werden.

Mutmasslicher Täter festgenommen

Der mutmassliche Täter wurde festgenommen. «Der Haftbefehl geht bislang von gefährlicher und schwerer Körperverletzung aus», sagte Niesen, am Mittwoch der dpa. «Da der Geschädigte mittlerweile hirntot ist, wird es jetzt um den Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge gehen», hiess es, bevor die Todesmeldung kam.

Der mutmassliche Täter beteuert laut Mitteilung seines Vereins, das Opfer nicht absichtlich verletzt zu haben. Der FC Metz stehe den Behörden zur Aufklärung der Vorfälle zur Verfügung. Der JFC teilte auf seiner Homepage mit, sich aus Respekt vor dem Opfer und dessen Familie sich derzeit nicht öffentlich äussern zu wollen.

Immer wieder Gewaltfälle

Ein Sportplatz im Frankfurter Stadtteil Eckenheim wird zum traurigen Symbol einer bedenklichen Entwicklung. Regelmässig wurden zuletzt Gewaltfälle publik. Vor einem Jahr attackierte ein wütender Vater auf einem Sportplatz in Berlin einen Jungen im Teenager-Alter, der zuvor seinen Sohn gefoult hatte. Im Laufe der Auseinandersetzung wurde ein Messer gezückt.

Die grundsätzliche Problematik einer fortschreitenden Enthemmung auf den Sportplätzen ist den Verbänden bekannt. Der Deutsche Fussball-Bund hat schon vor fast einem Jahrzehnt die AG Fair Play und Gewaltprävention gegründet. «Der Fussball hat kein Gewaltproblem. Aber Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das daher auch den Fussball betrifft», sagte deren Leiter Gunter A. Pilz, der wohl bekannteste Forscher zum Thema Fussball-Gewalt.

Ob das Drama um den JFC-Spieler zu neuen Präventionsaktionen führt? Betroffen reagierten Entscheider auf allen Ebenen. «Die furchtbare Gewalttat bei einem internationalen Jugendturnier in Frankfurt schockiert den Fussball in Deutschland. In diesen Stunden richten sich unsere Gedanken und Gebete an den 15 Jahre alten Fussballer und seine Familie. Wir müssen wieder lernen, anständig – und das heisst zuallererst gewaltfrei – miteinander umzugehen», sagte DFB-Vizepräsident Ronny Zimmermann am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur.

«Dass nach einem Fussballspiel in Frankfurt a.M. ein junger Spieler aus dem Leben gerissen wurde, macht mich fassungslos, lässt mich sprachlos zurück. Ich wünsche den Angehörigen, den Freundinnen & Freunden, dem Team unendlich viel Kraft in dieser dunkelsten Stunde», schrieb Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD).

Berlins Fussballverbands-Präsident Bernd Schultz wurde in einer Mitteilung zitiert: «Unsere Gedanken und unser Mitgefühl gelten in diesen schwierigen Stunden allen Angehörigen und den Teammitgliedern des betroffenen Spielers.» Man stehe dem Verein wo es gehe zur Seite.

Der Berliner Fussball-Verband notierte in der Spielzeit 2021/22 insgesamt 1936 Ereignisse, die die Sportgerichtsbarkeit beschäftigten oder in Spielberichten notiert wurden. Physische und verbale Vergehen halten sich dabei ungefähr die Waage. Besonders bedenklich aber: 43,5 Prozent der Fälle wurden im Jugendfussball registriert.

Nach Angaben des DFB ist die Zahl von gewalttätigen Übergriffen gemessen an der Gesamtzahl von Spielen allerdings gering. 2021/22 seien 911 Partien abgebrochen worden, zudem nicht alle wegen physischer Gewalt. Das entspreche 0,075 Prozent der insgesamt durchgeführten Spiele.

Der JFC war 2010 gegründet worden, um ein Lebensgefühl zu vermitteln, das eben jener Gewalt abschwört, deren Opfer nun einer seiner Spieler geworden ist. «Mentale Werte, wie das kameradschaftliche Verhalten innerhalb einer Gemeinschaft sowie der faire Umgang miteinander, stehen bei uns im Vordergrund», heisst es auf der Homepage. «Fair Play» sei das «oberste Gebot».

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