Steinmeier gedenkt in Oradour der Opfer des SS-Massakers

DPA
DPA

Frankreich,

Oradour-sur-Glane war im Zweiten Weltkrieg Schauplatz eines besonders brutalen Kriegsverbrechens. Zum 80. Jahrestag des Massakers wird der Opfer gedacht.

Joachim Gauck
Der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck besichtigte am 04.09.2013 die Mahn- und Gedenkstätte Oradour-sur-Glane in Frankreich. - Wolfgang Kumm/dpa

643 ermordete Kinder, Frauen und Männer – SS-Angehörige haben am 10. Juni 1944 im französischen Oradour-sur-Glane das grösste Kriegsverbrechen Nazi-Deutschlands in Westeuropa verübt. Zum 80. Jahrestag des Massakers werden Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier heute hier gemeinsam der Opfer gedenken und zugleich den Blick nach vorne richten.

Die bayerische Kleinstadt Hersbruck will bei dieser Gelegenheit einen Freundschaftspakt mit Oradour-sur-Glane schliessen. Soldaten der SS-Division «Das Reich» löschten nur wenige Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie den ganzen Ort im Westen Frankreichs aus.

Die Männer wurden in Scheunen getrieben und erschossen, Frauen und Kinder in der Dorfkirche eingeschlossen. Sie starben durch giftigen Phosphorrauch, Kugeln und Handgranaten oder verbrannten. Nur wenige Menschen überlebten das Massaker, das die SS als Vergeltungsaktion für Angriffe des stärker werdenden französischen Widerstands gegen die deutschen Besatzer ausgab.

Vergangenheitsbewältigung der Angehörigen

Für Karin Eideloth war es «in erster Linie ein Schock», als sie erfuhr, dass ihr Grossvater Adolf Heinrich einer der etwa 150 SS-Männer war, die in Oradour-sur-Glane wüteten. Seitdem setzt sie sich damit auseinander, steht seit einiger Zeit in Kontakt mit Agathe Hébras, der Enkelin eines der Überlebenden. Steinmeier lud Eideloth ein, ihn nach Frankreich zu begleiten. Hébras erhielt eine Einladung von Macron. Beide Frauen trafen sich bereits im vergangenen April in Oradour-sur-Glane und werden sich jetzt wiedersehen.

Dass ihr Grossvater einer der Täter war, erfuhr Eideloth durch die Regisseurin Karen Breece, die die Hintergründe des grausamen Geschehens für ihr Theaterprojekt Oradour recherchiert hatte. Demnach legte der Grossvater 1953 nach dem Militärtribunal von Bordeaux, das zu diesem Kriegsverbrechen stattfand, gegenüber amerikanischen Stellen ein Geständnis ab.

Bis dahin sei die Familie davon ausgegangen, dass er gegen Ende des Krieges in Ungarn im Einsatz gewesen sei, erzählt die Enkelin. Heute weiss sie: «Er war sowohl an der Erschiessung der Männer in den Scheunen als auch an der Verbrennung der Frauen und Kinder in der Kirche beteiligt.» Eine «Mischung aus Fassungslosigkeit und Wut» habe dies bei ihr ausgelöst. Bis heute erfasse sie ein Entsetzen, wenn sie daran denke. Seitdem versteht sie, dass die Bandbreite des Menschseins sehr gross ist. «Dazu gehören eben auch Abgründe.»

Gauck als erster Bundespräsident 2013 in Oradour-sur-Glane

Fast fünf Jahre brauchte Eideloth, bis sie das erste Mal nach Oradour-sur-Glane fuhr. «Es war ganz furchtbar, die Bilder werden dadurch so lebendig», erinnert sie sich an ihre Reise im Jahr 2022. «Man hat sich vorher so viel angelesen – und dann plötzlich steht man da.» Geholfen hat ihr, der Nachfahrin eines Täters, wie freundlich, offen und wohlwollend sie von den Nachfahren der Opfer empfangen wurde. «Ich habe da eine ganz grosse Herzlichkeit erfahren.» Dafür sei sie den Menschen dort «unendlich dankbar».

Ähnlich ging es Joachim Gauck, der 2013 während eines Staatsbesuchs in Frankreich als erster Bundespräsident nach Oradour-sur-Glane kam. «Ihre Einladung an den deutschen Präsidenten ist eine Geste des Willkommens, des guten Willens, eine Geste der Versöhnung, eine Geste, die man nicht erbitten kann, die man nur geschenkt bekommen kann. Und ich bin dankbar für dieses Geschenk», sagte Gauck damals.

Der Prozess des Verarbeitens dieses dunklen Teils ihrer Familiengeschichte ist für Karin Eideloth noch nicht abgeschlossen. Für sie steht aber fest: «Es ist wichtig, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen. Es ist die beste Prophylaxe, dass es nicht wieder passiert.»

Weiterlesen

Paris
bexio
bexio Lab

MEHR IN NEWS

Birchgletscher
Richtung Tal
Degersheim SG
1 Interaktionen
Degersheim SG
harvard trump
1 Interaktionen
«Tyrannei»
Wil SG
1 Interaktionen
Wil SG

MEHR AUS FRANKREICH

mats hummels
Nicola Cavanis
Liegt Triple drin?
Jafar Panahi
Iranischer Regisseur
alain berset
Asylbereich