Ausgerechnet am wichtigsten russischen Feiertag gelingt zwei Journalisten eines kremltreuen Mediums ein Anti-Putin-Coup und Kritik am Ukraine-Krieg.
«Er (...) führt Russland in den Abgrund»: Zwei Redakteure haben scharfe Kritik an Präsident Putin geübt - und müssen nun wohl nicht nur um ihre Jobs bangen.
«Er (...) führt Russland in den Abgrund»: Zwei Redakteure haben scharfe Kritik an Präsident Putin geübt - und müssen nun wohl nicht nur um ihre Jobs bangen. - Mikhail Metzel/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Am wichtigsten russischen Feiertag schleusten Redakteure Putin-Kritik in Artikel.
  • Nur kurze Zeit darauf wurden diese jedoch wieder gelöscht.
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Zwei russische Journalisten, die für ein beliebtes kremltreues Medium arbeiten, hatten am Montagmorgen mit einer Anti-Putin-Aktion überrascht. In einem seltenen Akt des Widerstandes gegen den Ukraine-Krieg füllten sie die Online-Plattform «Lenta.ru» mit Anti-Putin-Artikeln.

Einer der kurzzeitig veröffentlichten Artikel trug etwa den Titel: «Putin muss gehen. Er hat einen sinnlosen Krieg losgetreten und führt Russland in den Abgrund.» In einem weiteren Artikel wurde Putin als «erbärmlicher paranoider Diktator» bezeichnet, der den «blutigsten Krieg des 21. Jahrhunderts» führe.

Ukraine-Krieg
Die kritischen Artikel zum Ukraine-Krieg wurden mittlerweile gelöscht, sind aber im Web-Archiv zu finden. Hier wurden die Titel auf Deutsch übersetzt. - Twitter

Insgesamt wurden mehr als 40 solcher Texte kurzzeitig auf «Lenta» veröffentlicht, sie sind aber mittlerweile nur noch im Webarchiv einsehbar. Alle Beiträge fingen mit der Vorbemerkung an, dass das Material nicht mit der Führung des Mediums abgestimmt sei. Für ihre Protestaktion hatten Jegor Poljakow und seine Kollegin Alexandra Miroschnikowa offenbar Überschrift und Text schon bestehender Artikel ausgetauscht.

Brisant: Die Artikel erschienen genau zu dem Zeitpunkt, als Russland den wichtigsten Feiertag des Jahres beging. Am «Tag des Sieges» wird der Sieg der Sowjetunion gegen Nazi-Deutschland gefeiert.

«Normale Personen sterben im Ukraine-Krieg»

Vom kritischen Medium «Mediazona» auf die Aktion angesprochen, sagte Poljakow, dass er nun wohl seinen Job los sei. Als wichtigsten Grund für die Aktion, gab der bisherige Leiter der Wirtschaftsredaktion «sein Gewissen» an.

Da unabhängige Medien ohne alternative Internetzugänge in Russland nicht mehr aufzurufen seien, habe er sich mit seiner Mitarbeiterin dazu entschlossen. Er wolle deren Materialien für die Leser seines Mediums zugänglich machen, sagte Poljakow.

Glauben Sie, der Ukraine-Krieg ist bald vorbei?

Gegenüber dem «Guardian» meinte der 30-Jährige: «Wir mussten es heute machen. Wir wollten alle daran erinnern, wofür unsere Grossväter an diesem wunderbaren Tag wirklich gekämpft haben – für Frieden.»

Der Journalist kritisierte auch die Propaganda-Rede von Putin vom Montag und führte aus: «Normale Personen, friedliche Frauen und Kinder sterben im Ukraine-Krieg. Angesichts der Rhetorik, die wir gesehen haben, wird dies nicht aufhören. Das konnten wir nicht länger hinnehmen. Es war das einzige Richtige, was wir tun konnten.»

Russen-Journalist: «Natürlich habe ich jetzt Angst»

Über mögliche juristische Konsequenzen der Aktion war zunächst nichts bekannt. In Russland drohen laut einem recht neuen Gesetz hohe Strafen für angebliche «Falschnachrichten» über Russlands Streitkräfte.

Gegenüber dem «Guardian» gab «Poljakow» zu, dass er sich nun um seine Sicherheit sorge. «Natürlich habe ich Angst. Ich schäme mich nicht, das zuzugeben. Aber ich wusste, was ich mache und was die Konsequenzen sein könnten.»

Putin
Putin an der Parade zum Tag des Sieges mit einer Decke auf dem linken Oberschenkel.
wladimir Putin
Wladimir Putin bedeckte an der Siegesparade seine Beine mit einer Decke. Dies befeuerte Gerüchte über eine mögliche Krankheit des russischen Präsidenten erneut.
Putin
Auch der Gang des Präsidenten zum «Grab des unbekannten Soldaten» regte Spekulationen an: Putin hinke, hiess es vielerorts.
Putin
Bei seiner Rede liess sich Putin aber nichts anmerken.

Der Protest der beiden Lenta-Redakteure erinnert an die bis dahin linientreue Journalistin Marina Owsjannikowa. Diese war kurz nach Beginn vom Ukraine-Krieg mit einem Anti-Kriegs-Plakat in die Hauptnachrichtensendung des russischen Staatsfernsehens gelaufen.

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