Polizei in Lützerath holt Aktivisten von Hallendach

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Deutschland,

Während einige Klimaaktivisten Lützerath schon freiwillig verlassen haben, harren andere noch aus. In der Dunkelheit geht die Räumung weiter. Luisa Neubauer nennt dieses Vorgehen «absolut unverständlich».

RWE-Mitarbeiter entfernen das Ortsschild des Dorfes Lützerath.
RWE-Mitarbeiter entfernen das Ortsschild des Dorfes Lützerath. - Federico Gambarini/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Klimaaktivisten haben auch gestern Abend Aktionen fortgesetzt, mit denen sie die Räumung des Braunkohleorts Lützerath verhindern wollen.

Polizisten mit Hebebühnen holten gut zehn Aktivisten aus etwa zehn Metern Höhe vom Dach einer früheren landwirtschaftlichen Halle, wie ein dpa-Reporter beobachtete. Andere Einsatzkräfte waren dabei, einen in einem Autowrack festgemachten Aktivisten loszumachen. Eine Polizeisprecherin sagte, diese Arbeiten würden noch abgeschlossen. Darüber hinaus sei in der Nacht von Polizeiseite nichts weiter geplant.

Aktivisten zündeten am Abend Feuerwerk auf dem Gelände. Mindestens zwei Raketen flogen dabei waagerecht in Richtung von Polizeiautos. Ansonsten blieb der Protest weiter friedlich. Die Polizei sei selbstverständlich weiter vor Ort, sagte eine Sprecherin. Man plane aber in der Nacht nicht, etwa gegen die Häuser vorzugehen. In diesen Häusern sowie in selbstgebauten Baumhäusern halten sich weiter Aktivisten auf. Mit Strahlern wurden einzelne Gebäude hell erleuchtet, eine Baumaschine räumte am Abend Barrikaden beiseite.

Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer nannte das Vorgehen der Polizei «absolut unverständlich». «Räumungen nachts in der Dunkelheit. Das ist gefährlich, provozierend, eskalierend. Was soll das, wovor hat man solche Angst?», fragte sie auf Twitter.

Unter überwiegend friedlichem Protest hatte die Polizei am gestrigen Mittwoch begonnen, den besetzten Ort im Rheinischen Revier zu räumen. Bis zum Nachmittag zeigte sich ein Sprecher «sehr zufrieden» mit dem Verlauf: «Für die Polizei läuft bislang alles nach Plan.» Im Vorfeld war mit massivem Widerstand gerechnet worden. Beobachter sprachen dagegen von einer zum Teil entspannten Atmosphäre.

Der Energiekonzern RWE will die unter Lützerath liegende Kohle abbaggern – dafür soll der Weiler auf dem Gebiet der Stadt Erkelenz abgerissen werden. In Lützerath leben seit Monaten Klimaaktivisten aus Protest dagegen in leerstehenden Häusern.

Grafik Lützerath

Einige Klimaschützer folgten der Aufforderung der Polizei und gingen freiwillig. Sie wurden vom Gelände eskortiert. Viele wollten aber weiter Widerstand leisten. «Die Menschen sind fest entschlossen dazubleiben, auszuharren, die Bäume und die Gebäude zu schützen», sagte Mara Sauer, eine Sprecherin der Initiative «Lützerath lebt».

Eine weitere Sprecherin warf der Polizei einen überharten Einsatz vor. Helfer seien nicht durchgelassen worden. «Jetzt gerade eben wurde erst wieder eine Aktivistin unter Schmerzgriffen rausgebracht», sagte sie am Nachmittag. Sie habe auch von Verletzten gehört.

Reul: «Von Aktionen gewaltbereiter Aktivisten zu distanzieren»

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) kritisierte gestern Mittag Übergriffe auf Polizisten scharf. «Ich bin eigentlich nur fassungslos und verstehe es nicht, wie Menschen sowas machen können», sagte Reul über die Würfe in Richtung der Beamten. Jetzt seien alle friedlichen Demonstranten in der Pflicht, sich von Aktionen gewaltbereiter Aktivisten zu distanzieren. «Man kann woanders demonstrieren, man muss denen jetzt nicht noch behilflich sein dadurch, dass man da steht und die Polizei bei der Arbeit stört», sagte er.

Reul sprach von 350 Personen, die sich unrechtmässig in Lützerath aufgehalten hätten. Etwa 200 Klimaaktivisten verliessen nach Angaben des Aachener Polizeipräsidenten Dirk Weinspach das Gelände freiwillig. Zwei seiner Beamten seien leicht verletzt worden, seien aber noch dienstfähig.

Gestern Mittag hatte die Polizei damit begonnen, Aktivisten von Bäumen und Podesten zu holen. Dabei setzten die Beamten an verschiedenen Stellen Hebebühnen ein. Am Ortseingang von Lützerath begannen Bagger mit Abrissarbeiten. Auch eines der Ortsschilder von Lützerath wurde am frühen Nachmittag entfernt. Später warfen Beamte selbstgebaute kleine Holzhäuser auf Stelzen um und setzten so die Räumung fort. Nach Angaben eines dpa-Reporters wurden die Beamten dabei in dem Hütten- und Baumhauscamp von Schmährufen der Aktivisten begleitet. Die Polizei entfernte dabei zum Beispiel auch Feuerlöscher, die von den Aktivisten in den Hütten aufbewahrt wurden.

«Wir haben hier ganz überwiegend friedlichen Protest erlebt, in Sitzblockaden, auf Tripods – und das sind Protestformen, mit denen wir super parat kommen», sagte am Nachmittag ein Polizeisprecher. Wenn die Aktivisten sich wegtragen liessen, sei das noch passiver Protest und damit ihm Rahmen dessen, was angemessen sei.

«Gezielte Kommunikation hat zur Deeskalation beigetragen»

Für die Polizeigewerkschaft (DPolG) ist das Einsatzkonzept der Polizei bei der Räumung des Dorfes Lützerath bislang aufgegangen. «Die gezielte Kommunikation hat zur Deeskalation der Lage beigetragen», sagte der DPolG-Vorsitzende Rainer Wendt am Mittag. «Erfahrungen aus vergangenen Einsätzen, wie der im Hambacher Forst 2018 zeigen, dass die Polizei mit erheblichem Widerstand bis hin zu aufgestellten Fallen rechnen muss.»

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg will für Proteste nach Lützerath kommen. Die Schwedin kündigte auf Twitter an, am Samstag an einer Demonstration gegen die Räumung der von Klimaaktivisten besetzten Ortschaft teilnehmen zu wollen. «Die Wissenschaft ist sich einig, die am meisten Betroffenen sind sich einig: keine fossilen Brennstoffe mehr!», schrieb sie. Thunberg war bereits im September 2021 nach Lützerath gereist, um gegen den Kohleabbau und für die Einhaltung des 1,5-Grad-Klimaziels zu demonstrieren – einen Tag vor der damaligen Bundestagswahl.

Der Aachener Bischof Helmut Dieser appellierte im Konflikt um die Räumung des Braunkohledorfs an alle Seiten, keine Spirale der Gewalt in Gang zu setzen. «Friedliche Proteste sind zentraler Bestandteil einer lebendigen Demokratie», sagte er laut Mitteilung des Generalvikariats. «Zu einem glaubwürdigen Rechtsstaat gehört aber auch, dass Regeln und Vereinbarungen eingehalten werden.»

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