Opfer von Messerangriff sagt im Lübcke-Prozess aus
Auf dem Weg zu einer Tankstelle wurde ein Flüchtling aus dem Irak Opfer eines Messerangriffs. Am Donnerstag bekam er im Lübcke-Prozess das Wort.

Das Wichtigste in Kürze
- Der Iraker Ahmed I. hat am Donnerstag als Nebenkläger im Lübcke-Prozess ausgesagt.
- Dem mutmasslichen Täter wird vorgeworfen, ihn im Januar 2016 angegriffen zu haben.
Am 25. Verhandlungstag im Prozess um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke bekam am Donnerstag das wohl erste Opfer des mutmasslichen Täters das Wort.
Der auch als Nebenkläger auftretende Iraker Ahmed I. sagte am Donnerstag als Zeuge zu dem an ihm verübten Messerangriff aus. Die Tat wird dem 47 Jahre alten Deutschen Stephan Ernst vorgeworfen, der den CDU-Politiker Lübcke im Juni 2019 getötet haben soll.

Bereits im Januar 2016 soll es zu dem schweren Angriff auf den damals 22 Jahre alten Ahmed I. gekommen sein. Der heute 27-Jährige, ein schmaler Mann mit modischer Frisur, wirkt zunächst ruhig und gefasst. Die Folgen der Tat spürt er allerdings noch heute.
Es sei schon dunkel gewesen, als er nach 21 Uhr die Flüchtlingsunterkunft im nordhessischen Lohfelden verliess, um Zigaretten kaufen zu gehen – also jene Flüchtlingsunterkunft, für deren Bau sich Lübcke auf einer Bürgerversammlung im Jahr 2015 eingesetzt hatte.
Von Radfahrer angegriffen
Doch I. kam an jenem Januarabend nie an der Tankstelle an, wie er dem Gericht mit Hilfe eines Dolmetschers berichtete. Er habe einen Radfahrer bemerkt, der von hinten kam, und sei zur Seite getreten, um Platz zu machen. Er habe noch einen Stoss in den Rücken gespürt und sei, vermutlich von der Wucht dieses Stosses, zu Boden gefallen.
«Ich dachte, jemand hat mich mit einem Stock geschlagen», schilderte I. Als er wieder aufstehen wollte, habe eines seiner Beine nicht mehr funktioniert, dann entdeckte er Blut. «Da war kein Mensch da, der mir helfen konnte.»
Der Verletzte kroch auf die Strasse, wo zunächst niemand stoppte, bis schliesslich ein Helfer angehalten und ihn auf den Bürgersteig gebracht habe. Zu diesem Zeitpunkt habe er starke Schmerzen gehabt: «Ich dachte, ich sterbe.»
Stich nur unweit wichtiger Arterien
Bereits an einem der vorangegangenen Verhandlungstage hatte ein Rechtsmediziner berichtet, dass der Stich I. nur unweit wichtiger Arterien getroffen habe. Eine Verletzung dort hätte in kurzer Zeit zum Tod führen können.
Doch auch so dauern für I. die Folgen der Verletzung bis heute an, wie er vor Gericht sagte. Drei Wirbel seien geschädigt.
I. nimmt Schmerzmittel und Antidepressiva, kann nicht schlafen, hat Angstzustände und ist auch vier Jahre nach der Tat regelmässig in ärztlicher Behandlung. «Ich habe mein Land verlassen, um Schutz zu finden – aber hier ist mein Leben zerstört worden.»

Als Zeuge zum Tatverlauf blieb I. an vielen Stellen vage. «Daran erinnere ich mich nicht», sagte er immer wieder, wenn er mit den Aussagen konfrontiert wurde, die er im Krankenhaus den Polizisten gemacht hatte. Möglicherweise kamen Übersetzungsprobleme hinzu.
Ernst hatte in seiner Einlassung vor Gericht im Sommer angegeben, er habe nichts mit dem Angriff auf I. zu tun.
Ein in seinem Haus beschlagnahmtes Messer hatte geringe DNA-Spuren aufgewiesen, die ein Sachverständiger in einem kürzlich vorgestellten Gutachten I. nicht eindeutig zuordnen konnte. Sie enthielten allerdings Merkmale, die unter Mitteleuropäern sehr selten, im Irak aber häufiger seien.