Nicht mal Albaniens Regierungspartei hält sich ans Tiktok-Verbot
Seit März ist Tiktok in Albanien offiziell gesperrt, doch Millionen nutzen es weiter – darunter Politiker. Kritiker sprechen von Ablenkung vor der Wahl.

Das Wichtigste in Kürze
- Albanien verhängte im März 2025 Europas erstes Tiktok-Verbot.
- Gewalt unter Jugendlichen nahm dadurch nicht messbar ab.
- Das Verbot dürfte laut Experten spätestens 2026 aufgehoben werden.
Am 13. März 2025 trat in Albanien das erste flächendeckende Tiktok-Verbot Europas in Kraft. Rund 1,5 Millionen Nutzerinnen und Nutzer, etwa ein Drittel der Bevölkerung, können die Plattform seither offiziell nicht mehr nutzen.
Der Grund: Ein tödlicher Streit zwischen Jugendlichen, der zuvor in sozialen Netzwerken eskaliert war.
Premierminister Edi Rama begründete die Massnahme als Reaktion auf Gewalt unter Jugendlichen und Hassrede. Dies, obwohl laut Tiktok keiner der Beteiligten ein Profil auf der Plattform hatte.
Umgehung über VPNs macht Verbot wirkungslos
Ein halbes Jahr später zeigt sich, dass das Verbot wirkungslos geblieben ist.
Daniel Prroni, Forscher am Institute for Democracy and Mediation in Tirana, hält gegenüber der «NZZ» fest: «Wir haben keine Daten darüber, ob sich Gewalt unter Jugendlichen oder Hassrede im Internet seit dem Verbot verändert haben.»
Zudem umgehen viele Nutzer die Sperre mit VPN-Diensten. Der Schweizer Anbieter Proton verzeichnete am Tag vor Inkrafttreten einen Anstieg von Anmeldungen in Albanien um 1200 Prozent.
Zwar sank die Zahl neu erstellter Videos leicht, doch die Zahl der angesehenen Videos stieg um 14 Prozent.
Zensurvorwurf und politische Ablenkung
Kritiker warfen Rama vor, die Massnahme diene der politischen Zensur vor den Wahlen im Mai 2025.
Journalistenverbände wandten sich an das Verfassungsgericht. Prroni widerspricht:
«Das Tiktok-Verbot diente in erster Linie dazu, der wütenden Öffentlichkeit eine schnelle Lösung anzubieten und von anderen Problemen wie etwa Korruption abzulenken.» Nach dem Mord war es zu Protesten gekommen.
Auch Ramas andere politische Vorhaben gelten als provokativ: von Abschiebezentren für Italien bis zur Idee eines KI-gesteuerten Ministeriums.
Experten sehen darin den Versuch, Albanien als politisches Testlabor zu profilieren und einen EU-Beitritt zu fördern.
Inzwischen halten sich selbst Parteifreunde Ramas nicht mehr an das Verbot, wie die «NZZ» weiter schreibt.
Tiranas Bürgermeister Erion Veliaj, derzeit in Untersuchungshaft wegen Korruptionsvorwürfen, veröffentlicht weiterhin Inhalte über seinen Tiktok-Kanal – mit hoher Reichweite.
Prroni geht davon aus, dass das Verbot vor März 2026 aufgehoben wird.