Das Gift soll in der Unterhose gewesen sein: Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny telefoniert unter falschem Namen mit einem Geheimdienstler. In dem Gespräch gesteht der Mann den Mordanschlag - so Nawalny - und erklärt, warum das Opfer überlebte.
Kremlgegner Alexej Nawalny hat nach eigenen Angaben mit dem mutmasslichen Täter telefoniert. Foto: Navalny Instagram Account/AP/dpa
Kremlgegner Alexej Nawalny hat nach eigenen Angaben mit dem mutmasslichen Täter telefoniert. Foto: Navalny Instagram Account/AP/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Vier Monate nach seiner Vergiftung hat Kremlgegner Alexej Nawalny nach eigenen Angaben mit dem mutmasslichen Täter telefoniert.

Der Oppositionelle veröffentlichte auf Youtube den Mitschnitt eines Telefonats mit einem mutmasslichen Agenten des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB, der darin den Anschlag einräumte. Nawalny gab sich in dem Gespräch am 14. Dezember als Assistent des Chefs des russischen Sicherheitsrats aus, um das Vertrauen des FSB-Mitarbeiters zu gewinnen. Der Anruf erfolgte im Zuge einer Recherche mehrerer Medien, darunter des Nachrichtenmagazins «Spiegel». Demnach war ein «Killerkommando» des FSB jahrelang auf Nawalny angesetzt gewesen.

Nawalny war im August auf einem Inlandsflug in Sibirien zusammengebrochen. Die Befunde mehrerer westlicher Labore wiesen später in seinem Organismus den Kampfstoff Nowitschok nach. Der mutmassliche FSB-Mann sagte in dem nun veröffentlichten Telefonat, das Gift sei an der Innenseite von Nawalnys Unterhose angebracht gewesen.

Der 44-jährige Oppositionelle habe wohl nur deshalb überlebt, weil der Flug nicht lange genug gedauert habe und Sanitäter ihn so schnell versorgt hätten, erzählte der Mann. Als Nawalny zusammenbrach, brachte der Pilot das Flugzeug in Omsk auf den Boden, wo der Kremlgegner ins Krankenhaus gebracht wurde. Eine solche «Verkettung von Ereignissen» sei «der schlimmste Faktor, der bei unserer Arbeit passieren kann», meinte der Mann am Telefon.

Nawalny hatte seinem Gesprächspartner erklärt, dass er für Sicherheitsratschef Nikolai Patruschew das missglückte Attentat aufarbeiten müsse. Er führte das Telefonat von Deutschland aus, weil er sich dort nach einer wochenlangen Behandlung in die Berliner Charité dort noch zur Reha aufhält, um wieder zu Kräften zu kommen.

Der FSB reagierte am Abend auf die Veröffentlichung: Es handele sich um eine Fälschung, teilte der Geheimdienst nach Angaben der Staatsagentur Ria Nowosti mit. Die «sogenannten Untersuchungen» Nawalnys seien eine «geplante Provokation zur Diskreditierung des russischen FSB». Es würden Ermittlungen eingeleitet.

Nawalny hatte Kremlchef Wladimir Putin immer wieder als Drahtzieher des Auftragsmordes bezeichnet. An der Wohnadresse des blossgestellten Tatverdächtigen in Moskau gab es ein grosses Polizeiaufgebot, wie Nawalnys Mitarbeiterin Ljubow Sobol bei Twitter zeigte. Später am Abend wurde Sobol festgenommen, auch das filmte sie. Auf dem Video ist ausserdem zu sehen, dass mehrere Journalisten vor Ort waren.

In der vergangenen Woche hatten mehrere Medien Rechercheergebnisse veröffentlicht, denen zufolge mindestens acht russische Geheimdienstagenten den Anschlag auf Nawalny verübt haben sollen. Auf seiner grossen Jahrespressekonferenz sprach Präsident Wladimir Putin anschliessend zwar von einer Beobachtung Nawalnys durch russische Geheimdienstler - eine Vergiftung wies er aber klar zurück. «Wenn das jemand gewollt hätte, dann hätte er das auch zu Ende geführt», sagte Putin mit Blick auf die Mordvorwürfe.

Nawalny selbst, sein Stab, aber auch viele Experten werteten bereits diese Worte Putins als Teilgeständnis. Russland hatte eine Vergiftung des Putin-Gegners bestritten und erklärt, alle Nowitschok-Vorräte vernichtet zu haben. Teile der russischen Führung warfen sogar westlichen Geheimdiensten vor, den Fall konstruiert zu haben, um Moskau international an den Pranger zu stellen und zu bestrafen. Die EU hat wegen der Vergiftung Sanktionen gegen Russland erlassen.

Deutschland hatte Russland wiederholt aufgerufen, das Verbrechen aufzuklären. Russland hingegen forderte Beweise dafür, dass es eine Vergiftung mit Nowitschok gegeben habe. Nawalny verlangte auch die Rückgabe seiner Kleidung, die er an dem Tag seiner Vergiftung getragen hatte und die in Russland zurückgeblieben sei. «Die haben wir auch ausgewaschen», sagte der mutmassliche FSBler am Telefon auf Nawalnys Frage nach der Hose. «Sie ist auch sauber, alles ist okay damit.»

Das Video mit dem Telefonat selbst war drei Stunden nach der Veröffentlichung bereits mehr als eine halbe Million Mal aufgerufen worden. Immer wieder gerät der Mann in dem rund eine Dreiviertelstunde dauernden Gespräch ins Stocken, doch Nawalny - Deckname Maxim - bleibt beharrlich: Er brauche nur «zwei Absätze» für einen ersten, vorläufigen Bericht. Ob er auch andere Männer anrufe? - «Aber natürlich.» Und ob es nichts ausmache, über solche Dinge am Telefon zu sprechen? - «Aber wir haben doch nichts Besonderes besprochen.»

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