In Wien ereignete sich am Montagabend ein Terroranschlag. Noch ist vieles dazu unklar. Die Wienerin Alexandra (25) schildert ihre eindrücklichen Gedanken.
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Alexandra (25) ist gebürtige Wienerin. In eindrücklichen Worten schildert sie für Nau.ch die letzten Stunden in «ihrem wunderschönen Wien». - zvg/apa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Am Montagabend erschütterte ein Terroranschlag die österreichische Hauptstadt Wien.
  • Fünf Menschen kamen ums Leben, darunter ein Attentäter, der erschossen wurde.
  • Die Wiener sind angehalten, möglichst zuhause zu bleiben.
  • Die Wienerin Alexandra (25) schildert ihre eindrücklichen Gedanken nach dem Anschlag.

Noch immer fühlt sich der gestrige Abend unwirklich an. Eine Freundin war zu Besuch, wir haben den letzten Abend vor dem Corona-Lockdown für Quatschen und Pizza-Essen zu zweit genutzt. Mein Handy hat zwar die ganze Zeit vibriert, ich habe es aber aus Höflichkeit meiner Freundin gegenüber nicht beachtet.

Bis mein Freund ins Wohnzimmer gekommen ist und mir von einer Nachricht seiner Chefin erzählt hat, in der sie ihn gefragt hat, ob er sich in der Innenstadt aufhält. Eine komische Frage – unsere Vermutung war, dass die Leute sich nicht an die Corona-Beschränkungen halten und sich Tausende Leute in den Bars tummeln, was das Ansteckungsrisiko natürlich massiv erhöht. Ihre Antwort: «Dreh den Fernseher auf, es ist die Hölle los.»

Schüsse in Wiener Innenstadt
Einsatzkräfte der Polizei stehen am Montagabend am Wiener Schwedenplatz. - dpa

Ich habe den Einschaltknopf gedrückt und Bilder von vollen Bars erwartet, vielleicht auch Demonstrationen oder kleinere Ausschreitungen. Ein Terror-Anschlag war das letzte, an das ich gedacht habe. Als wir im ORF von den Schüssen vor der Synagoge gehört haben, haben wir natürlich alle zum Handy gegriffen.

Die Freundin, die bei uns war und noch immer ist, wohnt maximal 5 Gehminuten von der Synagoge entfernt, ist um 19:30 bei der U-Bahn-Station Schwedenplatz in die U-Bahn gestiegen, um zu mir zu fahren. Ihr Freund war Gott sei Dank in Sicherheit zu Hause.

Schwester hat umgedreht

Meine Schwester war auf dem Weg in die Stadt, hat aber wegen der Durchsagen in der U-Bahn wieder umgedreht und ist zu einer Bekannten gefahren, die in einem Randbezirk wohnt. Nach und nach trudelten zum Glück die Nachrichten ein, dass es allen unseren Liebsten gut geht und auch wir haben allen versichert, dass wir in unserem Zuhause jenseits der Donau in Sicherheit sind.

Nach einem TV-Marathon, begleitet vom Durchforsten von Twitter und Co. nach neuen Infos, haben wir versucht, ein paar Stunden zu schlafen. Meine Freundin ist natürlich bei uns geblieben.

Doch auch nach dem Aufstehen fehlt die herbeigesehnte Entwarnung. Noch immer ist potentiell ein Täter auf der Flucht. Alle sollen drinnen bleiben, nur im Notfall vor die Türe gehen. Zumindest der «Hausarrest» trifft uns nicht allzu überraschend, weil seit Mitternacht ohnehin der zweite Lockdown gilt.

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Polizisten sprechen sich in der Wiener Innenstadt untereinander ab. - ap

Darum sind die meisten Leute, mich eingeschlossen, ohnehin auf Home Office vorbereitet gewesen und es ist wenig verwunderlich, dass die Stadt wie leergefegt ist. Den Eindruck hätte das Zentrum wahrscheinlich auch ohne den Anschlag gemacht.

Dennoch: Mein Arbeitsplatz, maximal 10 Gehminuten vom Schwedenplatz entfernt, bleibt heute gänzlich geschlossen. Das ist trotzdem ein sehr ungewohntes Gefühl.

Als hätte ich ein gebrochenes Herz

Der Schock sitzt tief, so ein unvorstellbar schreckliches Ereignis ist einfach markerschütternd. Jedes Mal tut es weh zu hören, wie viele Menschen verletzt sind. Der Gedanke daran, wie viele Menschen Angst um ihr eigenes Leben oder das ihrer Angehörigen haben mussten, schmerzt.

Der Anschlag hat das Herzen Wiens getroffen, einen Platz, an dem täglich Tausende Menschen - mich eingeschlossen - die U-Bahn nutzen oder sich auf ein Feierabend-Bier treffen.

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Verwaiste Drinks in einem sogenannten Schanigarten im ersten Wiener Bezirk. - epa

So fühlt es sich auch an: Als hätte ich ein gebrochenes Herz. Und: Ich bin wütend.

Was fällt diesen Menschen ein?

Unser wunderschönes Wien ist ein Ort voller Wärme, Geborgenheit, Freiheit und Leben. Diese Eigenschaften machen Wien zur lebenswertesten Stadt der Welt. Und dieser will uns jemand mit so einer widerwertigen Tat berauben?

Sicher nicht. Nicht mit uns.

Oder wie wir Wienerinnen sagen würden: «Schleich di, du Orschloch!»

Freiheit nicht nehmen lassen

Ich bin nicht überrascht, dass Wien Zielscheibe eines Anschlags geworden ist. Auch wenn ich mich hier sicher fühle, weiss ich, dass eine Millionenstadt, in der Vielfalt gelebt wird, einer potentiellen Gefahr ausgesetzt ist. Auch wenn mich der Zeitpunkt überrascht, da durch die Corona-Pandemie vor allem aufgrund der niedrigen Touristenzahlen viel weniger Leute in der Stadt unterwegs waren.

Wien Anschlag Trauerflor
Eine Mitarbeiterin des Bundeskanzleramts bringt vor der Ansprache von Bundeskanzler Sebastian Kurz Trauerflor an der österreichischen und der EU-Fahne an. - apa

Aber Wien musste als Stadt, die mitten im Zentrum Europas liegt, schon in der Vergangenheit einige Anschläge verkraften, vor allem in den 80ern.

Auch wenn ich da noch nicht auf der Welt war und dies der erste Angriff ist, den ich «live» miterlebe, war ich mir der Historie und der Gefahr durchaus bewusst.

Aber schon damals haben sich die Wienerinnen und Wiener die Freiheit, die ein Leben in Wien bedeutet, nicht nehmen lassen. Und das wird auch diesmal so sein.

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