In der Corona-Pandemie haben Kinder und Jugendliche mehr Zeit am Smartphone und am PC verbracht. Gestiegen ist dabei auch der Anteil derjenigen, die krankhaft spielen oder chatten.
Das Logo der Social-Media-App Tiktok. (Archivbild). Foto: Kiichiro Sato/AP/dpa
Das Logo der Social-Media-App Tiktok. (Archivbild). Foto: Kiichiro Sato/AP/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Krankhaftes Computerspielverhalten und Social-Media-Sucht haben bei Kindern und Jugendlichen in der Corona-Pandemie einer Studie zufolge zugenommen.

Das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) kommt in einer Untersuchung im Auftrag der Krankenkasse DAK zu dem Schluss, dass bei mehr als 4 Prozent der 10- bis 17-Jährigen in Deutschland ein sogenanntes pathologisches Nutzungsverhalten vorliegt.

Im Bereich Computerspiele hat sich demnach die Zahl der Betroffenen mit Suchtverhalten von rund 144.000 im Jahr 2019 auf 219.000 in diesem Jahr erhöht, bei der Nutzung von Social-Media-Plattformen wie Tiktok, Snapchat, WhatsApp oder Instagram von 171.000 auf 246.000.

DAK fordert Präventionsoffensive

Die DAK präsentierte die Studienergebnisse. Der Vorstandsvorsitzende Andreas Storm forderte von der Politik eine «breite Präventionsoffensive, um die Medienkompetenz von Kindern und Eltern weiter zu stärken». Die geschäftsführende Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig (CSU) warb für mehr Prävention zuhause, in der Kita und in Schulen. «Ob altersgerechte Games und Serien, Social Media, Smartphone oder Internet - all das funktioniert nicht ohne Kompetenz, ohne das Wissen, wie viel und was gut für mich ist», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Das Thema werde zukünftig nicht kleiner, sondern grösser. Prävention sei das «A und O.»

«Der Anstieg der Mediensucht ist vor allem auf die wachsende Zahl pathologischer Nutzer unter den Jungen zurückzuführen», sagte Studienleiter Rainer Thomasius vom DZSKJ des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Er warnte vor den Folgen durch die Vernachlässigung von Aktivitäten, Familie, Freunden und einen verschobenen Tag-Nacht-Rhythmus. «Da persönliche, familiäre und schulische Ziele in den Hintergrund treten, werden alterstypische Entwicklungsaufgaben nicht angemessen gelöst. Ein Stillstand in der psychosozialen Reifung ist die Folge.»

Eine krankhafte oder pathologische Nutzung sehen die Experten, wenn bei Betroffenen ein Kontrollverlust, eine «Priorisierung gegenüber anderen Aktivitäten» und eine Fortsetzung der Nutzung trotz negativer Konsequenzen zu beobachten ist. «Hieraus resultieren signifikante Beeinträchtigungen in persönlichen, sozialen und schulisch-beruflichen Lebensbereichen.» Pathologische Spieler und Social-Media-Nutzer zocken oder chatten der Studie zufolge vier oder mehr Stunden am Tag.

Grundlage der Studie ist eine wiederholte Befragung von Eltern und Kindern durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa. Die erste fand 2019 vor der Pandemie statt, die zweite zur Zeit der ersten Schulschliessungen im Frühjahr 2020, eine weitere im November 2020, bevor die Schulen erneut geschlossen wurden und die vierte schliesslich im Mai und Juni dieses Jahres, als Schulen nach monatelangen Schliessungen und Wechselunterricht langsam wieder zu einem gewissen Normalbetrieb zurückkehrten.

Die Kinder und Jugendlichen wurden zu Dauer und Motiven für die Nutzung von Spielen und Social-Media-Plattformen befragt und auch zu möglichen negativen Auswirkungen, die sie bei sich selbst feststellten, etwa bei Schulnoten oder im Verhältnis zu Freunden oder Familienmitgliedern.

Vor Corona nutzten die Befragten an Wochentagen knapp zwei Stunden Instagram, Snapchat, TikTok oder anderen Plattformen. Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 erhöhte sich das auf mehr als drei Stunden täglich. Im November, als Schulen dann zwar grösstenteils offen waren, das Freizeitangebot aber weiterhin stark eingeschränkt war, sank die Nutzung wieder leicht, lag aber immer noch deutlich über dem Niveau von 2019. Das blieb auch in diesem Mai und Juni so.

Eine ähnliche Entwicklung zeigte sich bei Spielen: Vor Corona waren die befragten Kinder und Jugendlichen an Wochentagen durchschnittlich eine Stunde und 23 Minuten lang mit Computer- oder Online-Spielen beschäftigt, im April 2020 erhöhte sich die Nutzung stark auf zwei Stunden und zwölf Minuten am Tag. Danach gab es wieder einen leichten Rückgang.

Nutzungszeiten «deutlich über Vorkrisenniveau»

Die Nutzungszeiten bei Spielen und Social Media unter der Woche und auch am Wochenende lägen immer noch «deutlich über dem Vorkrisenniveau», sagte Thomasius. Es werde eine weitere Befragung im kommenden Jahr angestrebt. Diese könnte zeigen, ob Corona dauerhafte Spuren im Nutzungsverhalten hinterlassen hat.

Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, zeigte sich pessimistisch. «Gerade für Kinder und Jugendliche mit bereits davor riskanter Mediennutzung waren die Lockdowns ein erheblicher gesundheitlicher Gefährdungsfaktor, der den Übergang in eine pathologische Mediennutzung quasi katalysiert hat.» Es sei zu befürchten, dass sich diese Fehlentwicklung auch nach Ende der Pandemie nicht einfach vollständig rückabwickeln lasse.

Thomasius verwies auch auf Empfehlungen der Gemeinsamen Suchtkommission kinder- und jugendpsychiatrischer Fachverbände. Demnach sollten Kinder bis zum Schulbeginn nur analog lernen und spielen und nicht mit Hilfe digitaler Medien. Ein eigenes Smartphone sollte vor der fünften Klasse tabu sein und die Nutzung danach sollten Eltern steuern und beaufsichtigen.

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