War die tödliche Messerattacke gegen Fritz von Weizsäcker die Tat eines Wahnkranken? Der gewaltsame Tod eines Sohnes des früheren Bundespräsidenten löste Entsetzen aus. Nun sitzt ein 57-Jähriger auf der Anklagebank. Der Prozessauftakt verlief anders als erwartet.
Polizisten führen den Tatverdächtigen aus der Schlosspark-Klinik ab. Der Prozess gegen den mutmasslichen Mörder von Fritz von Weizsäcker hat begonnen. Foto: Paul Zinken/dpa
Polizisten führen den Tatverdächtigen aus der Schlosspark-Klinik ab. Der Prozess gegen den mutmasslichen Mörder von Fritz von Weizsäcker hat begonnen. Foto: Paul Zinken/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Kaum begonnen, schon vorbei.

Ganze sieben Minuten dauert der Auftakt des Prozesses um die tödliche Messerattacke gegen Fritz von Weizsäcker, jüngster Sohn des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, in Berlin.

Auf den Tag genau sechs Monate zuvor soll ein 57-Jähriger den Chefarzt aus Hass erstochen und einen Polizisten, der dazwischen ging, schwer verletzt haben.

Der Angeklagte will sich zu den Vorwürfen äussern. Doch das geht am Dienstag nicht, weil der psychiatrische Sachverständige verhindert ist. In dem Prozess geht es auch um die Schuldfähigkeit des Mannes aus Andernach in Rheinland-Pfalz.

Mord an dem Mediziner sowie versuchter Mord an dem Polizisten sind angeklagt. Der Angreifer habe den Mediziner heimtückisch und aus niederen Beweggründen getötet, heisst es in der Anklage. Die Staatsanwaltschaft geht bislang davon aus, dass der Mann bei den Taten psychisch krank gewesen sei, sie hält den ledigen Deutschen für vermindert schuldfähig.

Der frühere Packer in einem Logistikzentrum lässt sich vor Beginn fotografieren, deckt sein Gesicht nicht ab, er will offensichtlich erkannt werden. In seiner Box aus Panzerglas im Landgericht Berlin wirkt er grau und hager. Ihm gegenüber haben Beatrice von Weizsäcker - die Schwester des toten Arztes - sowie der damals verletzte Polizist Platz genommen. Sie sind zwei der vier Nebenkläger.

Zwei Kinder im Teenageralter werden von Anwalt Roland Weber vertreten. Sie seien schwer getroffen, sagt Weber am Rande. «Sie haben ihren Vater von einer Sekunde auf die andere verloren.»

Fritz von Weizsäcker, Chefarzt für Innere Medizin an der Schlossparkpark-Klinik in Berlin-Charlottenburg, wurde am Abend des 19. November 2019 bei einem Vortrag in der Klinik getötet. Der Angreifer sei aus den Zuhörerreihen zum Podium gegangen und habe dem Professor völlig überraschend ein Klappmesser in den Hals gestochen. Der Mediziner starb noch am Tatort.

Der Tod des 59-Jährigen hatte bundesweit Erschütterung ausgelöst. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem «entsetzlichen Schlag für die Familie».

Langjähriger Hass auf die Weizsäcker-Familie sei das Motiv gewesen, so Staatsanwältin Silke van Sweringen. Dieser habe sich darauf bezogen, dass Richard von Weizsäcker (1920-2015) vermeintlich durch seine frühere Tätigkeit für das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim mitverantwortlich für die Produktion von «Agent Orange» gewesen sein soll. Durch das Entlaubungsmittel starben im Vietnamkrieg zahlreiche Menschen. Als «Kollektivschuld» habe der Angeklagte diese Todesfälle an dem Sohn rächen wollen. Anwalt Weber sagt später, die Vorwürfe des Angeklagten seien «an den Haaren herbeigezogen».

Der heute 33-jährige Polizist, der privat bei dem Vortrag war und den Angreifer überwältigen konnte, erlitt Stichverletzungen an Hals, Oberkörper und Händen, wobei Sehnen durchtrennt wurden. Die Gewerkschaft der Polizei teilte mit, er habe noch immer mit den Folgen zu kämpfen. Der Polizist verliess wortlos das Gericht.

Nach früheren Angaben der Staatsanwaltschaft soll der mutmassliche Mörder die Tat seit längerem geplant haben und eigens angereist sein. In den Ermittlungen soll er die Taten gestanden haben.

Nach einem Bericht des «Tagesspiegel» hält sich der Angeklagte nicht für geisteskrank, er wolle nicht in eine psychiatrische Einrichtung, sondern in ein richtiges Gefängnis.

Anwalt Weber sagt am Rande: «Nach Aktenstudium gehen wir davon aus, dass es sich bei dem Angeklagten um einen schwer kranken Mann handelt, der diese Taten im Wahn begangen hat.»

Bei einer bewegenden Trauerfeier für Fritz von Weizsäcker am 2. Dezember wurde an einen Mann erinnert, der Schach und Primzahlen mochte, seine grosse Familie liebte, Klavier spielte und seinen Patienten zugewandt war. Die Rede war von einem Humanisten mit ständiger Einsatzbereitschaft, Klugheit und Herzensgüte.

Fritz von Weizsäcker hat seine letzte Ruhestätte auf dem Waldfriedhof im Ortsteil Dahlem neben seinem Vater, der im Alter von 94 Jahren starb. Der Prozess wird am 26. Mai fortgesetzt.

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