Deniz Yücel: Merkels Regierung hat progressive Kräfte in Türkei verraten
Der aus türkischer Haft freigekommene Journalist Deniz Yücel hat der Bundesregierung für ihre Unterstützung gedankt, sie aber zugleich für ihre zurückliegende Türkei-Politik kritisiert. «Grundsätzlich denke ich, dass die Regierung von Angela Merkel alle progressiven und demokratischen Kräfte in der Türkei zweimal verraten hat», sagte Yücel in einem Interview, das am Sonntag identisch in den Zeitungen «Die Welt» und «taz» erschien.
Unübliche Wahlkampfhilfe
So habe Merkels Regierung einerseits im Jahr 2005 «den Türken klargemacht: Ihr kommt nicht in die EU, völlig egal, was ihr tut». Damals hätten die Zeichen in der Türkei noch auf Europäisierung gestanden, sagte Yücel.
Als zweiten Verrat wertete er Merkels Besuch beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Zuge der Flüchtlingskrise 2015, kurz vor einer wichtigen Wahl. «Das war eine in der internationalen Diplomatie völlig unübliche Wahlkampfhilfe.» Zudem sei die deutsche Regierung bis zu seiner eigenen Verhaftung die türkeifreundlichste innerhalb der EU gewesen - «auch als die Verhaftungen von Oppositionspolitikern und Journalisten begannen».
Der Korrespondent der Zeitung «Die Welt» hatte sich am 14. Februar 2017 freiwillig der türkischen Justiz gestellt und sass danach ein Jahr ohne Anklage in Untersuchungshaft. Mitte Februar kam er frei. Die Türkei wirft Yücel wegen von ihm geschriebenen Artikeln «Propaganda für eine Terrororganisation» und «Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit» vor. Das Verfahren läuft weiter. Bei einer Verurteilung drohen ihm zwischen 4 und 18 Jahre Haft.

Das Wichtigste in Kürze
- In einem Interview bedankt sich Deniz Yücel bei der Bundesregierung für ihren Einsatz.
- Gleichzeitig kritisierte er die Regierung, die progressiven Kräfte in der Türkei verraten zu haben.