Kann das Corona-Konjunkturprogramm der EU wie geplant im kommenden Jahr starten? Der Verlauf der Verhandlungen in Brüssel lässt derzeit wenig Gutes erwarten. Mittlerweile drohen an mehreren Fronten Blockaden.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, hält in der Champalimaud-Stifung eine Rede über den EU-Plan gegen die Corona-Wirtschaftskrise. Foto: Pedro Rocha/AP/dpa
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, hält in der Champalimaud-Stifung eine Rede über den EU-Plan gegen die Corona-Wirtschaftskrise. Foto: Pedro Rocha/AP/dpa - dpa-infocom GmbH
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Europaabgeordnete wollen im Kampf für ein stärkeres Instrument gegen Verstösse gegen die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU notfalls auch eine Blockade des europäischen Corona-Konjunkturprogramms in Kauf nehmen.

Die Fraktionschefs der vier grossen proeuropäischen Fraktionen hätten zuletzt mehrfach deutlich gemacht, dass Vorschläge, wie sie jetzt auf den Tisch gekommen seien, für das Parlament nicht akzeptabel seien, sagte Parlamentsunterhändler Rasmus Andresen (Grüne) am Dienstag. Wenn es deswegen jetzt zu Verzögerungen bei den Verhandlungen über den langfristigen EU-Haushalt und das Corona-Konjunkturprogramm komme, sei das die Verantwortung der Regierungen der Mitgliedstaaten.

Im Streit um die geplante Bestrafung von Verstössen gegen die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU hatte die derzeitige deutsche EU-Ratspräsidentschaft Anfang dieser Woche einen Kompromissvorschlag vorgelegt, der die Verhängung von Finanzsanktionen gegen Länder wie Ungarn und Polen deutlich unwahrscheinlicher macht als es ursprünglich angedacht war. So ist unter anderem vorgesehen, Kürzungen von EU-Finanzhilfen nur dann zu ermöglichen, wenn Verstösse gegen die Rechtsstaatlichkeit «in hinreichend direkter Weise» Einfluss auf die Haushaltsführung und die finanziellen Interessen der Union haben.

Die EU-Kommission hat eigentlich vorgeschlagen, Strafen schon dann zu ermöglichen, wenn ein Mangel an Rechtsstaatlichkeit die Grundvoraussetzungen für eine wirtschaftliche Haushaltsführung zu beeinträchtigen droht.

Die Staats- und Regierungschefs hätten bereits bei ihrem Juli-Gipfel einen Fehler gemacht, «weil sie sich über vier Tage lang darauf eingelassen haben, über die Höhe von Krediten und Zuschüssen und Rabattzahlungen zu schachern», kommentierte Andresen am Dienstag in Anspielung darauf, dass der Vorschlag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf Grundlage der Gipfelberatungen entstand. «Und am Ende fehlten allen - auch der Bundeskanzlerin - die Kraft - sich bei Rechtsstaatlichkeit gegen (den ungarischen Regierungschef) Viktor Orban und seine Freunde aus Polen (...) durchzusetzen.»

Jetzt überlasse man dem Parlament diese Auseinandersetzung, kritisierte Andresen. Es sei nicht Ziel des Europäischen Parlaments, in eine Blockadesituation zu geraten, aber man werde sich auch nicht über den Tisch ziehen lassen. Wer glaube, dass das Parlament am Ende schon alles mitmachen werde, um das Corona-Programm zu ermöglichen, mache das Problem nur grösser.

Das derzeit zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten und dem Europaparlament verhandelte EU-Finanzpaket soll nach dem Willen der Staaats- und Regierungschefs aus Corona-Hilfen im Umfang von 750 Milliarden Euro und aus Geldern für die EU-Haushalte von 2021 bis 2027 in Höhe von 1074 Milliarden Euro bestehen. Die Abgeordneten wollen aber nur die notwendige Zustimmung geben, wenn es mehr Geld als geplant für EU-Programme wie Erasmus (Jugend & Bildung) und Horizon (Forschung) gibt und wenn ein schlagkräftiger Rechtsstaatsmechanismus geschaffen wird.

Zugleich drohen Länder wie Polen und Ungarn, dass sie für den langfristigen Haushalt notwendigen Beschlüssen nur zustimmen werden, wenn der Rechtsstaatsmechanismus so konstruiert wird, dass er für sie ungefährlich ist. Der neue Vorschlag sei inakzeptabel, kommentierte so die ungarische Justizministerin Judit Varga am Dienstag.

Nach Angaben aus EU-Kreisen könnte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft über den Kompromissvorschlag allerdings dennoch bereits an diesem Mittwoch im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten abstimmen lassen. Wenn er von mindestens 15 EU-Staaten unterstützt wird, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen, könnten dann im Anschluss Verhandlungen mit dem Europaparlament beginnen, das auch zustimmen muss.

Die für die Kompromisssuche zuständige deutsche EU-Ratspräsidentschaft appellierte am Dienstag noch einmal an die Vernunft aller Beteiligten. Vielen sei auf dem EU-Gipfel im Juli der Kompromiss nicht leicht gefallen, auch der Bundesregierung nicht, sagte ein Sprecher zur Kritik aus dem Parlament. Dass die Zahl der unterschiedlichen Blockaden bei den Haushaltsverhandlungen eher zu als abnehme, beobachte man mit Sorge. «Es wird zunehmend wahrscheinlicher, dass sich EU-Haushalt und der Wiederaufbaufonds verzögern werden», warnte der Sprecher.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

ParlamentViktor OrbanEuropaparlamentEuroEU