Berufungsprozess um Schadenersatz für Arzt nach Freispruch
Ein Mediziner wurde 2013 in Göttingen im Organspendeprozess festgenommen. Nach seinem Freispruch fordert er Schmerzensgeld in Höhe von 1,2 Millionen Franken.

Das Wichtigste in Kürze
- Ein Mediziner fordert mehr als 1,2 Millionen Franken Schadensersatz.
- Er musste Vermögensschäden durch eine Untersuchungshaft erleiden.
- Die Richter halten die Forderung für berechtigt.
Vor dem Oberlandesgericht Braunschweig hat am Montag der Berufungsprozess um Schadenersatz von über 1,1 Millionen Euro (1,2 Millionen Franken) für einen ehemaligen Arzt aus Göttingen begonnen.
Er fordert diese nach seinem Freispruch in einem Prozess um vermeintliche Manipulationen bei der Vergabe von Spenderorganen vom Land Niedersachsen. Nach Angaben einer Gerichtssprecherin liessen die Richter erkennen, dass sie die Forderung für berechtigt halten.

Die Berufung des Bundeslands gegen ein erstinstanzliches Urteil des Landgerichts in Braunschweig hat nur wenig Erfolgsaussichten. Zu dieser Einschätzung kam das OLG bei einer vorläufigen rechtlichen Bewertung.
Abschliessende Entscheidung am 28. Oktober
Demnach hält der zuständige Senat die Feststellungen der Vorinstanz für korrekt. Eine abschliessende Entscheidung in dem Fall verkünden die Richter am 28. Oktober.
Der frühere leitende Oberarzt der Göttinger Uniklinik klagt auf Schadenersatz wegen Vermögensschäden durch Untersuchungshaft und andere Strafverfolgungsmassnahmen. Der Mediziner wurde 2013 bei Ermittlungen zum Organspendeskandal an dem Krankenhaus in der niedersächsischen Stadt zunächst für elf Monate verhaftet. Dies, wegen des Verdachts auf Korruptionsdelikte. Er kam erst frei, als er eine Kaution stellte.

Später wurde O. dann wegen versuchten Totschlags angeklagt und in einem Strafverfahren vor Gericht gestellt. Das Landgericht Göttingen sprach ihn 2015 frei. Auch der Bundesgerichtshof sah später kein strafrechtlich relevantes Verhalten.
Das Urteil ist seit 2017 rechtskräftig. In einem Zivilverfahren verklagte er das Land Niedersachsen auf Schadenersatz in einer Höhe von 1,2 Millionen Euro (1,3 Millionen Franken).
80'000 Euro für Zinsschäden
Fast der gesamte geltend gemachte Vermögensschaden resultiert dabei nach Angaben des Mediziners aus Verdienstausfällen. Dies, weil ihm wegen seiner Haft eine bereits fest zugesagte gut dotierte Stelle an einem jordanischen Krankenhaus entging. Dazu kommt ein Posten von rund 80'000 Euro (rund 86'000 Franken) für Zinsschäden. Seine Familie musste für die Kautionszahlung einen Kredit aufnehmen.

In dem ersten Prozess vor dem Landgericht bestritt das Land erfolglos die Berechtigung der finanziellen Forderungen. Die Richter dort sahen es nach der Vernehmung eines Vertreters der jordanischen Klinik als erwiesen an, dass O. die Stellung mit einem Monatsgehalt Gehalt von 50'000 Dollar (aktuell etwa 46'000 Franken) tatsächlich nur aufgrund der Inhaftierung entging.
Organspenderzahlen brachen bundesweit stark ein
Auch die Forderung nach Schadenersatz für den Zinsschaden sahen sie als berechtigt an. Der für die Berufung zuständige Senat des OLG erkannte in einer vorläufigen rechtlichen Auffassung keine Fehler in diesen Annahmen. Demnach würde er lediglich einen vergleichsweise kleinen Betrag als «Vorteilausgleich» von der geforderten Gesamtsumme abziehen. Dies, weil sich der Arzt in Untersuchungshaft nicht selbst verpflegen musste und ihm keine Kosten für seine Unterkunft entstanden.
In dem Organspendeskandal ging es um folgendes: Patienten wurden durch die Meldung falscher Informationen an die Koordinierungsstelle Eurotransplant bei der Vergabe von Spenderorganen bevorzugt. Konkret ging es um Angaben, wie lange von O. behandelte Alkoholiker bereits «trocken» waren. Nach dem Skandal an dem Klinikum brachen die Organspenderzahlen bundesweit stark ein.