Soldaten erhielten Schiessbefehl gegen Hungernde
Israelische Soldaten berichten, sie hätten den Befehl gehabt, auf Wartende bei Verteilzentren zu schiessen. Täglich seien bis fünf Personen getötet worden.

Das Wichtigste in Kürze
- Israelische Soldaten sprechen von Verstössen gegen das Völkerrecht bei den Verteilzentren.
- Sie hätten auf wartende Menschen geschossen, von denen keine Gefahr ausging.
- Netanjahu ist empört über den Bericht, die Militärstaatsanwaltschaft will ermitteln.
Die umstrittene «Gaza Humanitarian Foundation» soll mit Unterstützung der USA und Israel die Lage der Menschen im Gazastreifen verbessern. Dafür wurden Verteilzentren für Lebensmittel und Hygieneartikel eingerichtet, die von israelischen Soldaten bewacht werden.
Doch immer wieder kommt es dort zu Zwischenfällen: Die israelische Zeitung «Haaretz» schreibt von 19 Fällen, in denen Schüsse gefallen sind. Die von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörden sprechen von 549 Toten und über 4000 Verwundeten bei solchen Schiessereien.
Laut der UN sind mindestens 410 Personen getötet worden. In den meisten Fällen sollen Soldaten ohne Anlass auf die unbewaffnete Menge geschossen haben. Gegenüber «Haaretz» spricht ein Soldat von einem «Schlachtfeld» und einer «Todeszone».
In der Regel sind die Verteilzentren bloss eine Stunde lang am Morgen geöffnet. Die Soldaten haben den Auftrag, Menschenansammlungen vor der Öffnung zu verhindern – mit Schüssen. Und auf die gleiche Weise sollen die Personen nach der Schliessung wieder vertrieben werden. Dies berichten Soldaten der Zeitung.
Einer sagt, dort, wo er stationiert gewesen sei, seien jeden Tag bis zu fünf Menschen getötet worden. «Sie werden wie feindliche Soldaten behandelt.» Massnahmen zur Kontrolle der Menschenmenge, beispielsweise Tränengas, würde nicht eingesetzt. «Nur scharfes Feuer, mit allem, was man sich vorstellen kann, schwere Maschinengewehre, Granatwerfer, Mörser.»
«Das Töten unschuldiger Menschen ist zur Normalität geworden»
Dabei wisse man, dass von den hungernden Palästinensern keine Gefahr ausgehe. Nie sei aus der Menge auf die Soldaten geschossen worden.

Ein anderer Soldat sagt: «Das Töten unschuldiger Menschen ist zur Normalität geworden.» Ihnen werden ständig gesagt, dass es in Gaza keine Unbeteiligten gebe. «Und diese Botschaft ist bei den Truppen offenbar angekommen.»
Ein Reservist, der kürzlich im Gazastreifen eingesetzt wurde, beschreibt Gaza als einen Ort mit eigenen Regeln. «Der Verlust von Menschenleben bedeutet nichts mehr. Es ist nicht einmal mehr ein ‹unglücklicher Zwischenfall›.» Niemand interessiere sich mehr für Gaza.
Militärstaatsanwaltschaft will ermitteln, Netanjahu ist empört
Die Zeitung «Haaretz» wirft den Soldaten Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht vor. Die israelische Militärstaatsanwaltschaft hat wegen des Berichts angekündigt, eine Ermittlung einzuleiten.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Israel Katz bezeichneten ihn in einer gemeinsamen Erklärung als «böswillige Lüge». Diese würde nur dazu dienen, «die moralischste Armee der Welt zu diffamieren».
Die GHF-Zentren werden von privaten amerikanischen Sicherheitsfirmen betrieben, das weitere Umfeld soll von israelischen Einheiten gesichert werden. Dabei handelt es sich um klassische Kampftruppen, die für die Kontrolle von Menschenmengen nicht ausgebildet sind. «Unsere Art der Kommunikation (mit palästinensischen Hilfsbedürftigen) ist zu schiessen», zitierte «Haaretz» den beteiligten Soldaten.