Als Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes ist Sergej Naryschkin geübt in der Abwehr von Vorwürfen aus dem Westen.
ARCHIV - Alexander Bortnikow (l-r), Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, Wladimir Putin, Präsident von Russland, und Sergei Naryschkin, Leiter des russichen Auslandsgeheimdienstes SWR. Foto: Alexei Nikolsky/Sputnik/Kremlin/AP/dpa
ARCHIV - Alexander Bortnikow (l-r), Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, Wladimir Putin, Präsident von Russland, und Sergei Naryschkin, Leiter des russichen Auslandsgeheimdienstes SWR. Foto: Alexei Nikolsky/Sputnik/Kremlin/AP/dpa - sda - Keystone/Sputnik/Kremlin/AP/Alexei Nikolsky

Dabei muss der enge Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin stets viel zurückweisen. Hackerattacken auf US-Stellen? Einmischung in US-Wahlen? Cyberangriff auf den Deutschen Bundestag 2015? Morde an Staatsfeinden? Die Antwort aus Moskau ist meist dieselbe: Russland habe mit alldem nichts zu tun. Doch in diesen Tagen kann Naryschkin sein wahres Gesicht zeigen: Stolz feiert er die Erfolge von Moskaus Spionen. Der Auslandsgeheimdienst - kurz SWR - wird 100 Jahre alt.

«Die Aufklärung ist ein schwerer, gefährlicher und ein ziemlich interessanter Beruf, der einen das ganze Leben begleitet», sagt Naryschkin zum Jubiläum.

Der 66-Jährige muss es wissen. Er hat - wie Putin, der lange in Dresden im Einsatz war, - schon beim berüchtigten sowjetischen Geheimdienst KGB gedient. Aber mit Bildern wie bei James Bond habe sein Job nichts zu tun. «Solche Actionfilme sind sehr weit weg von der Arbeit der Geheimdienste», sagt Naryschkin im Gespräch mit der von ihm selbst geführten Russischen Historischen Gesellschaft.

Kernaufgabe des Geheimdienstes sei es bis heute, geheime Informationen zu sammeln, äussere Bedrohungen zu erfassen, Entwicklungen zu analysieren und den russischen Staat zu schützen. Naryschkin, ein knöcherner Mann, sieht den SWR als einen der effektivsten Nachrichtendienste der Welt. Vor allem das grosse Netz von Spionen, das sich nicht jeder Staat leisten könne, sei der «Goldschatz».

Gefeiert wird nun das 100-jährige Bestehen. Der kommunistische Revolutionär Feliks Dzierżyński (oder: Felix Dscherschinski, 1877-1926) gründete einst den mächtigen Geheimdienstapparat - genannt Tscheka. Am 20. Dezember 1920 unterzeichnete er den Befehl zur Gründung der Ausländischen Abteilung in der schon drei Jahre zuvor geschaffenen Gesamtrussischen Notfallkommission für den Kampf gegen Konterrevolution und Sabotage (WTschK).

Zeitweilig trug der Geheimdienst den Namen NKWD. Doch vor allem der dann von 1954 an so genannte KGB brannte sich rund um die Welt tief ins Gedächtnis der Menschen ein. Der 20. Dezember ist bis heute der Feiertag aller russischen Nachrichtendienste, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus dem KGB hervorgingen, darunter der Inlandsgeheimdienst FSB und seit 1992 der Militärgeheimdienst GRU.

Dzierżyński, nach dem in der DDR das Wachregiment der Staatssicherheit benannt war, galt als einer der schlimmsten «Henker» unter Sowjetdiktator Josef Stalin. Bis heute ist er das Idol der russischen Sicherheitsdienste. Ihm zu Ehren stehen in Russland nicht nur Denkmäler; Läden verkaufen seine Büsten und Souvenirs mit seinem Foto. Dabei fielen den «Tschekisten», wie Geheimdienstler bis heute in Russland genannt werden, viele Menschen zum Opfer.

Bei den Feiern wird die blutige Seite der Geheimdienstgeschichte ausgeblendet. Im Mittelpunkt stehen «Heldenspione», die in den USA atomare Geheimnisse abgriffen. Zu den Legenden der Moskauer Auslandsaufklärung gehören auch die «Cambridge Five», darunter der berühmte Doppelagent Kim Philby. Fernsehdokumentationen, Spielfilme und eine Ausstellung zum Jubiläum erinnern an die Verdienste der Spione im Zweiten Weltkrieg, als sie der Sowjetunion zum Sieg über Hitlerdeutschland verhalfen.

Gewürdigt wird etwa auch der Topagent Rudolf Abel alias William Fisher (1903-1971), der in den USA gefasst wurde. Er wurde im ersten Gefangenenaustausch des Kalten Krieges 1962 an der Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam übergeben und entging damit der Todesstrafe. Bis heute gibt es diese international beachteten Aktionen des Austauschs von Agenten zwischen den USA und Russland.

Zum spektakulärsten Fall seit Ende des Kalten Krieges kam es 2010 in Wien, als die russische Agentin Anna Chapman und andere Spione gegen den inhaftierten früheren GRU-Geheimdienstler Sergej Skripal ausgetauscht wurden. Skripal hatte damals eine Strafe wegen Hochverrats abgesessen, weil er an den britischen Geheimdienst MI6 Namen russischer Agenten übergeben hatte.

Putin, der sich damals auch mit Chapman traf, meinte, «Verräter» nähmen ein schlimmes Ende: im Suff oder als Drogenjunkies. Er bezog sich zwar auf den früheren SWR-Agenten Alexander Potejew, der Chapman und andere in den USA hatte auffliegen lassen. Doch auch nach der Vergiftung Skripals mit dem Nervengift Nowitschok 2018 in England betonte Putin, der selbst einst Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB war, immer wieder, Verrat sei das «schlimmste Verbrechen» überhaupt.

Schon 2006 war der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Alexander Litwinenko in London mit dem Strahlengift Polonium 210 getötet worden - britische Behörden sahen damals die Hand Moskaus. Die Liste solcher Verbrechen ist lang.

Der russische Geheimdienstexperte Andrej Soldatow meint mit Blick auf die aktuellen grossen Fälle - von den US-Vorwürfen zu Cyberattacken bis hin zur Vergiftung des Kremlgegners Alexej Nawalny mit dem Nervengift Nowitschok -, dass Moskaus Geheimdienste inzwischen immer unverfrorener vorgingen. Sie hätten jede Angst vor Enttarnung verloren. Soldatows Fazit lautet: «Russlands Geheimdienstorganisationen sind gar nicht mehr sehr geheim.»

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