Aufstände im Irak könnten zweiten Arabischen Frühling andeuten
Die anhaltenden Aufstände im Irak setzen dem krisengeplagten Land weiter zu. Laut Nahost-Experte Erich Gysling ist ein zweiter Arabischer Frühling möglich.

Das Wichtigste in Kürze
- Seit einer Woche halten die Aufstände und Demonstrationen im Irak an.
- Nahost-Experte Erich Gysling beobachtet die Situation mit grosser Besorgnis.
- Für ihn besteht durchaus die Möglichkeit eines zweiten Arabischen Frühlings.
Mit weiteren 13 Toten erreichten die Aufstände im Irak einen nächsten traurigen Tiefpunkt. Seit Anbeginn der Demonstrationen vor einer Woche in Bagdad wurden damit bereits 110 Menschen getötet und 6100 weitere verletzt. Die Lage im krisengeplagten Nahost-Land bleibt damit weiterhin angespannt.
Ähnlichkeit zum Arabischen Frühling
Der renommierte Nahost-Experte und Journalist Erich Gysling verfolgt die Situation mit grosser Sorge. «Die momentane Lage im Irak ist sehr labil und brenzlig», sagt Gysling. Dabei sieht der Experte eindeutige Parallelen zum Arabischen Frühling aus dem Jahr 2011.
Als sich damals ein tunesischer Verkäufer in der Öffentlichkeit selbst anzündete, löste dies eine Protestwelle aus.

«Gleiches passiert nun gewissermassen im Irak», so Gysling. «Nach der Absetzung des beliebten Generals Abdul-Wahab al-Saadi richtet sich der Hass nun gegen die Regierung.» Al-Saadi hatte grossen Anteil an der Befreiung des Iraks vom Islamischen Staat (IS) und wird im Irak als Held gefeiert. «Dieser Hass wirkt nun wie ein Dominostein für die übrigen Probleme, die im Irak seit Jahren bekannt sind», so Gysling.
Korruption und fehlende Perspektive im Irak
Überraschend kommen die Aufstände aber auch für den Experten nicht. «Das Land ist von Korruption geprägt, die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch und viele junge Menschen haben keine Perspektive», sagt Gysling. Die vielen Reparationszahlungen der USA würden immer wieder irgendwo verpuffen. Schätzungen zu Folge seien bis zu 80 Milliarden Dollar nötig, um das Land wieder aufzubauen.

Hinzu kommt, dass trotz der Zerschlagung des Islamischen Staats im Irak 2017 weiterhin Gruppen des Kalifats im Untergrund aktiv sind. Ein wichtiger Aspekt, denn «das schliesst das Erstarken des IS im Irak weiterhin nicht aus», sagt der Nahost-Experte.
Die USA steht in der Pflicht
Die internen Spannungen und die Unfähigkeit der Regierung, Herr der Lage zu werden, wecken beim Experten Erinnerungen an 2011. «Ein zweiter Arabischer Frühling ist durchaus möglich», meint Gysling.
Allerdings müsse man immer bedenken, dass auch der Arabische Frühling 2011 nur bedingte Besserungen in den betroffenen Ländern hervorgebracht hat. «In Syrien grassiert weiter der Bürgerkrieg und Ägypten ist auch nach dem Mubarak-Regime in sich instabil», so Gysling.

Daher würde der Experte auch im Falle eines zweiten Arabischen Frühlings an einer Besserung der Lage zweifeln. «Eine Revolution im Irak hätte zwar eine neue Regierung zur Folge, allerdings würde sich am System wohl wenig ändern.» Die Regierung würde weiterhin mehrheitlich aus Schiiten bestehen, wodurch der Einfluss des Irans weiterhin bestehen bliebe.
Für eine Lösung brauche es «einen grundlegenden Mentalitätswandel auf allen Stufen», ist Gysling überzeugt. Zudem dürfe man die USA auf keinen Fall aus der Verantwortung nehmen. «Sie haben mit der Invasion 2003 das losgetreten, was nun im Irak vorherrscht. Die USA steht ganz klar in der Pflicht.»