Der Prozess um den Tod von George Floyd hat begonnen. Noch immer löst das Video seiner Ermordung grosse Emotionen und Dispute aus.
George Flyod
Wenige Augenblicke nach der Urteilsverkündung im Fall George Floyd wurde ein schwarzes Mädchen von der Polizei erschossen. (Symbolbild) - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • George Floyd wurde bei einer Polizeikontrolle von Beamten getötet.
  • Nun hat der Prozess gegen die beschuldigen Polizisten begonnen.
  • Besonders die Auswahl der Jury stellte sich als schwer heraus.

«Alles tut weh», seufzt George Floyd. «Ich kann nicht atmen», sagt der Afroamerikaner immer wieder, bevor er für immer verstummt. Ein erschütterndes Video seiner letzten Minuten zeigt: Wie Passanten schreien, während der weisse Beamte weiter auf Floyds Hals kniet und ihn zu Boden drückt.

«Lass seinen Hals, verflucht noch mal, er atmet nicht mal mehr», schreit ein Passant. «Haben sie ihn getötet?», ruft eine Passantin, «Ihnen ist es egal, er ist schwarz», sagt sie.

Bis zu 40 Jahre Haft

Mit dem Abspielen des Videos für die Geschworenen begann die Staatsanwaltschaft am Montag im Gericht. Dem Polizisten wird unter anderem Mord zweiten Grades vorgeworfen. Darauf stehen im nördlichen Bundesstaat Minnesota bis zu 40 Jahre Haft.

«Als Herr Floyd in Not war, wollte Herr Chauvin ihm nicht helfen, hat ihm nicht geholfen», sagte Staatsanwalt Jerry Blackwell. Floyd habe 27 mal um Hilfe gefleht. Auch habe Chauvin die Passanten daran gehindert, zu helfen, sagte er.

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Demonstranten mit Bildern von George Flyod in New York: Sein Tod führte im ganzen Land zu Massenprotesten gegen Polizeigewalt und Rassismus. Foto: Miguel Juarez Lugo/ZUMA Wire/dpa - dpa-infocom GmbH

Chauvins «exzessive Gewaltanwendung» habe zum Tod des 46-Jährigen geführt. «Die Beweise werden zeigen, dass es von Anfang an keinen Grund gab, tödliche Gewalt gegen ein Mann einzusetzen. Einen Mann der sich nicht verteidigen konnte, in Handschellen war und keinen Widerstand leistete», sagte Blackwell an die Geschworenen gerichtet.

Monatelange Massenproteste

Das Video von Floyd hat mitten in der Pandemie monatelang zu Massenprotesten gegen Polizeigewalt und Rassismus geführt. Viele Beobachter sprachen von der grössten Protestwelle seit der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre.

Die Erwartungen an den Prozess sind daher immens. Viele Menschen, darunter wohl auch die meisten Schwarzen, hoffen auf ein Urteil, das ein Zeichen setzen wird. Auch US-Präsident Joe Biden werde den Prozess «sicherlich genau verfolgen», sagte seine Sprecherin Jen Psaki. Biden hatte sich im vergangenen Jahr - noch als Kandidat - mit Floyds Angehörigen getroffen, darunter dessen Tochter.

Die Aufgabe der Geschworenen ist es aber nicht, über Rassismus und Polizeigewalt zu urteilen. Sie müssen in diesem konkreten Fall entscheiden, ob Chauvin vorschriftsmässig handelte oder schuldig ist.

Kein schwieriger Mordprozess

«Dieser Mordprozess ist nicht schwierig», sagte ein Anwalt von Floyds Familie, Ben Crump, vor dem Gerichtsgebäude. Wer das «Foltervideo» von Floyds Tod ansehe, verstehe dies.

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Ein Bild von George Floyd im US-Bundesstaat Texas. - AFP/Archiv

«George Floyd war am Leben, er atmete. Er lief und sprach ganz normal, bis die Polizei ihn mit dem Gesicht nach unten gedrückt hat. Ihm Handschellen angelegt hat und 8 Minuten und 46 Sekunden lang ein Knie in seinen Hals gedrückt hat», sagte Crump.

Der Anwalt, der prominente Bürgerrechtler Al Sharpton und Angehörige Floyds knieten daraufhin vor dem Prozessbeginn fast neun Minuten nieder. Dies, um an Floyds Todeskampf zu erinnern.

Erledigung der Arbeit eines Polizisten

Chauvins Anwalt Eric Nelson wies die Argumente der Anklage zurück und betonte: Chauvin habe nur als Polizist seinen Job gemacht, «genau so wie er dafür trainiert wurde». Der Einsatz gegen Floyd sei gerechtfertigt gewesen, weil dieser Widerstand geleistet habe, sagte Nelson.

Zudem argumentierte er, dass Floyds Tod nicht auf Gewalteinwirkung zurückgehe. Sondern auf dessen vorbelastete Gesundheit und Rückstände von Drogen in seinem Blut. Mit Blick auf eine Herzerkrankung Floyds sagte Nelson, dieser sei infolge von «Herzrhythmusstörungen» und «dem Einnehmen von Drogen» gestorben.

Totschlag nach deutschem Recht

Chauvin sei nicht schuldig, betonte Nelson. Chauvin, der nach dem Vorfall entlassen worden war, muss sich wegen Mordes zweiten Grades ohne Vorsatz verantworten. Nach deutschem Recht entspräche dieser Anklagepunkt eher dem Totschlag. Zudem wird Chauvin Mord dritten Grades vorgeworfen, worauf bis zu 25 Jahre Haft stehen.

Derek Chauvin
Derek Chauvin kniete mehrere Minuten lang auf George Floyd. Später verstarb der Festgenommene im Spital. - Hennepin County Jail/AFP/Archiv

Auch muss er sich wegen Totschlags zweiten Grades verantworten, worauf zehn Jahre Haft stehen. Der Ex-Polizist ist derzeit auf Kaution frei und muss während des Prozesses anwesend sein. Am Montag trug er einen grauen Anzug und ein blaues Hemd. Er machte sich fortlaufend Notizen.

Floyd war am 25. Mai 2020 in Minneapolis bei einer brutalen Festnahme ums Leben gekommen. Videos haben dokumentiert, wie Polizisten den unbewaffneten Floyd zu Boden drückten. Chauvin presste dabei sein Knie in Floyds Hals, während dieser immer wieder flehte, ihn atmen zu lassen.

Vorwurf der Bezahlung mit Falschgeld

Floyd verlor der Autopsie zufolge das Bewusstsein und starb infolge des Polizeieinsatzes. Die Beamten hatten Floyd wegen des Verdachts festgenommen, mit einem falschen 20-Dollar-Schein für eine Schachtel Zigaretten bezahlt zu haben.

Richter Peter Cahill vereidigte zum Prozessbeginn die zwölf Geschworenen und zwei Ersatzmitglieder der Jury. Diese entscheiden letztlich über Chauvins Schuld oder Unschuld. Ihre Auswahl hatte sich rund zweieinhalb Wochen hingezogen, weil Dutzende Kandidaten angehört werden mussten. Dies, um trotz des weithin bekannten Vorfalls möglichst faire und unvoreingenommene Geschworene zu finden.

Identität der Geschworenen ist geheim

Die Identität der Juroren wird aus Sicherheitsgründen bis auf Weiteres geheimgehalten. Falls die Geschworenen Chauvin freisprechen oder ihn nur des Totschlags für schuldig befinden sollten, könnte es zu neuen Protesten kommen. Richter Cahill geht davon aus, dass das live übertragene Hauptverfahren bis zu einem Monat dauern könnte.

Minneapolis hatte sich mit Floyds Familie auf eine Vergleichszahlung in Höhe von 27 Millionen US-Dollar (etwa 22,6 Millionen Euro) geeinigt. Das strafrechtliche Verfahren ist davon aber nicht direkt betroffen.

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Floyds Brüder Rodney und Philonise - POOL/AFP

Neben Chauvin sind drei weitere am Einsatz gegen Floyd beteiligte Ex-Polizisten angeklagt, die in einem separaten Verfahren ab dem 23. August vor Gericht stehen werden. Ihnen wird Beihilfe zur Last gelegt. Auch ihnen könnten langjährige Haftstrafen drohen.

150 seit Abschaffung der Sklaverei

Mehr als 150 Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei in den USA: Gibt es beim Thema Rassismus immer noch viel Aufholbedarf.

Die strukturelle Benachteiligung der Minderheit, die rund 13 Prozent der Bevölkerung ausmacht, hat viele Facetten: Schwarze leben im Durchschnitt weniger lang und sind weniger gut gebildet als Weisse. Das Vermögen einer durchschnittlichen weissen Familie ist Studien zufolge bis zu zehn Mal so hoch wie das einer schwarzen Familie. Zudem werden Afroamerikaner viel häufiger Opfer von Polizeigewalt.

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