Ein Plädoyer für die Überwindung innerer Grenzen
Die Bernerin Julia Siegenthaler hat am diesjährigen Speaker Slam das Publikum mit ihrer leidenschaftlichen Rede zu inneren Grenzen und neuen Wegen begeistert.
Das Wichtigste in Kürze
- Der internationale Speaker Slam ist ein regelmässig stattfindender Redewettstreit.
- Die Redner haben vier Minuten Zeit, das Publikum von sich und ihrem Thema zu überzeugen.
- Die Bernerin Julia Siegenthaler gewann dieses Jahr den Excellence Award.
- Für Nau.ch stellt sie exklusiv ihre Rede in schriftlicher Form zur Verfügung.
Am internationalen Speaker Slam messen sich regelmässig die besten Redner. Nach New York, Wien, Frankfurt, Hamburg, Stuttgart und Berlin fand der diesjährige Speaker Slam am 27. Mai in Mastershausen in Deutschland statt.
Bei diesem Rednerwettstreit messen sich die Speaker mit ihren persönlichen Themen gegeneinander. Die besondere Herausforderung: Die Sprecher haben nur vier Minuten Zeit, ihr Publikum mitzureissen und zu begeistern – nach vier Minuten wird das Mikrofon ausgeschaltet.
Die Bernerin Julia Siegenthaler (43) erhielt für ihre Rede den beliebten Excellence Award. Die Expertin für transpersonale Prozessbegleitung und integrale Heilung hat ein leidenschaftliches Plädoyer für die Überwindung innerer Grenzen als Befreiungsakt und Weg in ein erfülltes Leben präsentiert.
Ein Thema, mit dem sie sich nicht nur persönlich, sondern auch bei ihrer Arbeit mit Menschen als Coach, Heilerin und Prozessbegleiterin immer wieder intensiv beschäftigt.
Nau.ch stellt sie exklusiv ihre Rede in schriftlicher Form zur Verfügung.
Rede von Julia Siegenthaler am Speaker Slam
«Guten Abend meine Damen und Herren
Hier auf dieser Bühne zu stehen ist für mich auch jetzt in diesem Moment noch immer irgendwie ganz unfassbar:
Zeit meines Lebens war ich auf dieser Welt und hatte das Gefühl, hier nicht wirklich hinzugehören, nicht hineinzupassen in diese Welt.
Andere Menschen hatten in meiner Wahrnehmung etwas Bedrohliches, und mich vor Menschen zu zeigen, mich unter Menschen zu bewegen, hat mich schlicht überfordert.
Alles war zu laut, zu schnell, zu viel. Und ich selbst war zu still, zu empfindsam, zu nachdenklich.
Und so entwickelte ich eine immer grössere Angst, mich überhaupt unter Menschen zu begeben. Eine Angst letztlich vor dem Leben an sich.
Und diese Angst liess mich immer mehr vermeiden. Vermeidungsstrategien prägten mein Leben. Ganz automatisch versuchte ich, allem aus dem Weg zu gehen, etwas lieber nicht zu tun, als dabei gesehen zu werden.
Unauffälligkeit und Stillhalten definierten meine Art durchs Leben zu gehen. Das ist nicht schön. Das hat nicht mehr viel mit wirklich leben zu tun. Eher mit überleben. Und dann kam mir das Leben zu Hilfe:
Im Jahr 2016 hatte ich einen Schlaganfall – mit 37 Jahren. Was ein schreckliches Ereignis hätte sein können, wurde eine wundersame Erfahrung, weil ich damit sehr unmittelbar mit etwas in Berührung kam, das ich vorher nicht gekannt hatte.
Ich spürte und realisierte: Da ist etwas in mir, das lebt und das viel kraftvoller ist, als ich es je für möglich gehalten hätte. Und gleichzeitig nahm ich etwas noch viel Grösseres wahr. Etwas das uns tatsächlich hält, wenn alles andere wegfällt.
Diese sehr heftige und eindrückliche Erfahrung hat mich neugierig gemacht. Neugierig auf dieses Leben, auf dieses Menschsein. Und ich habe mich überwunden, mich genau dem zu widmen: voll und ganz in dieses Leben hineinzufinden und anzukommen auf dieser Welt.
Wunden heilen, Ängste überwinden
Ich habe mich in den letzten Jahren sehr intensiv damit auseinandergesetzt, meine Wunden zu heilen, mich meinen Verletzungen zuzuwenden, durch meine Ängste hindurchzugehen – immer und immer wieder.
Und das tue ich noch immer. Weil es nicht aufhört. Aber es verändert sich. Und gerade beginne ich, meine Lebendigkeit neu zu entdecken, neu zu spüren.
Vor allem aber habe ich begriffen, wofür ich auf dieser Welt angetreten bin:
Um Menschen, die ähnliche Erfahrungen kennen wie ich, zu zeigen, dass es möglich ist, etwas zu verändern, ins Leben zu kommen, durch seine Ängste hindurchzugehen.
Dass man nur nicht aufgeben darf. Dass es einfach Mut und Durchhaltevermögen braucht, und immer und immer wieder die Tapferkeit, sich dem zu stellen.
Und genau das tue auch ich heute, hier auf dieser Bühne, vor euren Augen. Mit meinem Auftritt möchte ich andere ermutigen, sich dem zu stellen, was ihnen im Weg steht, weil Vermeidung verhindert die Entfaltung des Lebens.
Und Lebendigkeit erlangen wir, indem wir uns unseren Wunden stellen. In unseren tiefsten Verletzungen liegt unser grösstes Potenzial verborgen, und das können wir nur entdecken, indem wir durch sie hindurchgehen.
Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.»
Julia Siegenthaler (43) ist Expertin für transpersonale Prozessbegleitung und integrale Heilung. In Bern betreibt sie eine eigene Praxis.
