Out und vorbei – warum überhaupt noch heiraten?

Verena E. Brunschweiger
Verena E. Brunschweiger

Zürich,

«Zusammenziehen, Hochzeit und dann auch gleich noch ein erstes Kind. Ist das überhaupt noch zeitgemäss?», fragt sich unsere Kolumnistin Verena Brunschweiger.

«Hochzeit auf den ersten Blick 2022»
Heiraten oder nicht? Das ist hier nicht mehr die Frage. - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Dr. Verena E. Brunschweiger schreibt auf Nau.ch regelmässig Kolumnen.
  • Heute schreibt sie über Langeweile und Routine in Ehen.
  • Und darüber, dass sich mehr lesbische Paare scheiden als schwule.

Im letzten Jahr wurden in der Schweiz exakt 36'769 Ehen geschlossen. Das sind noch weniger als im Vorjahr, womit sich der Trend fortsetzt. Heiraten scheint out zu sein. Das gilt für hetero- ebenso wie für homosexuelle Paare.

Einige Leute wollen wenig bis gar keine romantische Anziehung zu anderen Menschen empfinden (aromantisch). Oder sie outen sich als asexuell.

Das geschlechterkritische «4-B-Movement» der Südkoreanerinnen oder das Boysober (bei dem sich Frauen eine sexuelle Auszeit mit Männern nehmen) erklären möglicherweise das Phänomen der zurückgehenden Anziehungskraft der Ehe.

Findest du die Ehe wichtig?

Männer profitieren von der Ehe

Die feministische Kritik an der traditionellen Ehe als patriarchaler Institution («Keine Kirche, kein Staat, kein Patriarchat!») ist jetzt nicht neu, aber relevanter denn je.

Immer wieder liest man in Studien, dass Männer von der Ehe profitieren, Frauen eher nicht. Warum soll man sich als junge Frau mit eigenem Geld an jemanden ketten, dem das Projekt deutlich mehr bringt als einem selber?

Wir erinnern uns an Paul Dolan. Der britische Psychologe stellte nämlich fest, dass die glücklichste gesellschaftliche Gruppe kinderfreie Single-Frauen sind.

Keine romantischen Gründe

Auf der Internetseite hochzeit.ch werden Gründe aufgelistet, warum Männer heiraten sollen. Es ist leider keine sehr romantische Liste. Es geht um Status, Prestige, Finanzen oder Verlustängste. Man vergleiche das mal mit den Gründen etlicher junger Frauen, die sich zu gefühlt hundert Prozent aus Hollywood-Filmen speisen!

Zusammenziehen, Hochzeit und dann ein erstes Kind. Ist diese Art der Normbiographie wirklich noch zeitgemäss?

Für traditionelle Ehefrauen schon. Oder auch nur moderat konservative Menschen. Persönlich finde ich es zwar erschreckend, dass immer noch so viele Mädchen vom grossen Tag im weissen Spitzenkleid träumen, an dem sie einmal Prinzessin sind. Und an dem sie der Vater an den Ehemann übergibt. Auf dass die männliche Fremdbestimmung niemals ende …

Verena Brunschweiger
Verena Brunschweiger. - zvg

Gewalt und Langeweile

Die Realität der zwei von fünf geschiedenen Schweizer Ehen ist die Gewalt (schlimmstenfalls), Langeweile oder bestenfalls Routine. All das kann diese Mädchen einholen und sollte schon vorher bedacht werden.

Man fragt sich darüber hinaus, was homosexuelle Paare dazu bringt, die Heteronormativität zu imitieren. Na klar, es geht um Gleichstellung. Natürlich geht es wie bei Heteropaaren aber auch einfach oft um Steuererleichterungen und gefühlte Sicherheit.

Aber zentral ist, erstmal zu dürfen, was in der Schweiz schliesslich erst seit drei Jahren (!) möglich ist. Eben seit es die Ehe für alle gibt. Kleiner Vergleich: In Massachusetts ist das seit 21 Jahren der Fall.

Und jetzt kommt der Knüller: Gleichgeschlechtliche Paare fühlen sich scheinbar in ihrer Ehe wohler als Heteros!

Schwule und Lesben haben weniger Stress

Soziologen von der University of Texas fanden in ihrer Studie heraus, dass Schwule und Lesben generell weniger Stress als Heterosexuelle in ihren jeweiligen Ehen hätten. Dabei wurden 756 verheiratete Amerikaner mittleren Alters befragt, die entweder in gleichgeschlechtlichen oder einer verschiedengeschlechtlichen Ehe lebten. Die Teilnehmer:innen mussten Tagebuch führen und Auskunft geben über ihre Ehe und Partner.

Die Soziologen entdeckten zudem auch einen Unterschied zwischen den Geschlechtern: Heteros verspüren in einer Ehe den grössten Stress. Männer in verschiedengeschlechtlichen Ehen und Frauen in gleichgeschlechtlichen Ehen liegen in der Mitte.

Bist du verheiratet?

Am glücklichsten mit ihrer Ehe wären schwule Männer. Gleichgeschlechtliche Paare, so die zwei Forschenden, könnten sich leichter auf die Bedürfnisse der angetrauten Person einstellen als verschiedengeschlechtliche. Leuchtet ein!

Ein weiterer Aspekt, der von nicht-Heteros oft angeführt wird, ist die offenere Kommunikation, was (nicht nur sexuelle) Bedürfnisse betrifft.

Bordell und uneheliche Kinder

Da Menschen, die ohnehin schon nicht der heterosexuellen Norm entsprechen, weniger Druck haben, Klischees zu entsprechen, fällt es ihnen oft leichter, den Wunsch nach beispielsweise Öffnung der Beziehung zu artikulieren.

Seit jeher haben Politiker aus Bayern neben der Ehefrau und den gemeinsamen Kindern noch eine Geliebte. Und sie gehen ins Puff oder zeugen nicht-eheliche Kinder. Da gebietet es die pseudo-christliche Heuchelei dann doch, den Schein zu wahren – und nur die offizielle Kernfamilie zu zeigen und zu promoten.

Auch bei Lesben – nicht nur bei schwulen Männern – werden Aufgaben gerechter verteilt. Und die Kommunikation läuft offener. Man sollte also vielleicht nicht generell die Ehe als solche verteufeln und sie als reaktionär anprangern.

Mehr lesbische Paare werden geschieden

Was übrigens ebenfalls zur Zufriedenheit beiträgt: Gleichgeschlechtliche Elternpaare haben in der Regel keine ungeplanten Kinder.

Falls sie Eltern sind, verbringen sie mehr Zeit mit ihnen: Bei Heteropaaren sind es im Durchschnitt 2,15 Stunden pro Tag. Bei Frauenpaaren 2,27 Stunden und bei Männerpaaren sogar 2,47 Stunden, wie man einer amerikanischen Studie entnehmen kann.

Allerdings werden natürlich auch gleichgeschlechtliche Ehen geschieden. Und zwar mehr lesbische.

ehe für alle
Eine (gestellte) gleichgeschlechtliche Trauung zwischen zwei Frauen vor dem Stadthaus in Zürich. - sda -keystone

Frauen wollen eher die Scheidung

Einer der Gründe dafür ist, dass Frauen allgemein höhere Anforderungen an eine Beziehung stellen. Und wie wir ja alle wissen, auch in Hetero-Ehen eher den Scheidungsantrag stellen. In einer lesbischen Ehe verdoppelt sich dann diese Möglichkeit.

Ausserdem finden manche, dass sich viele Frauenpaare möglicherweise zu schnell fest binden. Bekannt ist Ihnen möglicherweise der Witz über den Umzugswagen, den Lesben schon zum zweiten Date mitbringen...

Und womöglich sind Lesben auch weniger tolerant als Schwule, was Untreue oder nicht-monogames Verhalten betrifft. Wobei die Offenheit für Polyamorie weder ans Geschlecht noch an die sexuelle Präferenz gebunden ist.

Zur Person: Dr. Verena E. Brunschweiger, Autorin, Aktivistin und Feministin, studierte Deutsch, Englisch und Philosophie/Ethik an der Universität Regensburg. 2019 schlug ihr Manifest «Kinderfrei statt kinderlos» ein und errang internationale Beachtung.

Kommentare

User #5407 (nicht angemeldet)

Kolumnen Tante Uriella , möchte wieder das Volk bekehren ! Halleluja sagi !

User #4790 (nicht angemeldet)

Für wen bringt die Heirat einen Nutzen ? Für beide Partner keinen. Wer sich liebt, kann auch ohne Trauschein glücklich sein, wenn nicht glücklicher. Menschen sollten sich nicht vertraglich aneinander binden müssen.

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