Wenn gesundes Essen zum Zwang wird

Nau Lifestyle
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Bern,

Die sogenannte «Orthorexie» ist eine neue offiziell noch nicht anerkannte Essstörung, bei der Betroffene besessen vom Zwang einer gesunden Ernährung sind.

Gesundes Essen
Wenn gesundes Essen zum Zwang wird. - Pexels

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Begriff «Orthorexia nervosa» wurde 1997 erstmals geprägt.
  • Bislang ist die Störung noch nicht offiziell als Erkrankung anerkannt.
  • In der Schweiz könnten bis zu 250´000 Personen betroffen sein.

Obst und Gemüse dürfen nur noch aus dem Bioladen kommen und die Zutatenlisten aller im Supermarkt gekauften Produkte werden akribisch auf ihre Inhaltsstoffe geprüft. Viele Lebensmittel werden ganz aus dem Speiseplan gestrichen.

Was mit dem Gedanken an gesunde Ernährung beginnt, kann bei einigen Menschen mit einer Essstörung enden.

Die Forschung steht noch am Anfang

Der amerikanische Arzt Steven Bratman hatte in den 90er-Jahren festgestellt, dass sich immer mehr Menschen fast zwanghaft mit gesunder Ernährung befassten.

Sämtliche Lebensmittel wurden auf ihre Nährwerte geprüft und immer mehr aussortiert, weil sie künstliche Zusätze enthielten.

Bei der Zubereitung wurde peinlichst darauf geachtet, Vitamine und Mineralstoffe zu erhalten, und ungesunde Gerichte wie Fast Food waren tabu.

Mit der Zeit steigerten sich viele so sehr in diese Besessenheit, dass nur noch wenige biologisch einwandfreie Produkte gegessen wurden.

Weil sie Einladungen zum Essen ausschlugen und ihre Freunde zu missionieren begannen, landeten viele unfreiwillig in der sozialen Isolation.

Bratman nannte dieses Verhalten «Orthorexia nervosa» – eine Mischung aus Anorexia nervosa (Magersucht) und der griechischen Vorsilbe Ortho (richtig/korrekt).

Schon bald fand der Begriff weite Verbreitung in den Medien und als «Orthorexie» Eingang in die deutsche Sprache. Bislang wurde die Orthorexie jedoch noch nicht als krankhafte Essstörung wie Magersucht oder Bulimie anerkannt. Ihr Status ist umstritten.

Nur eine Frage der Selbstdarstellung?

Kritiker sind der Ansicht, dass orthorektisches Essverhalten aus einem Bedürfnis nach Selbstdarstellung und Überlegenheit entsteht.

Auslöser sind oft die vielen Lebensmittelskandale der letzten Jahre und die Berichterstattung über schädliche Lebensmittel. Viele Menschen legen daher Wert auf eine besonders gesunde Ernährung mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln.

Sie möchten mehr Kontrolle ausüben und ihr Selbstwertgefühl steigern. Damit verbunden ist oft ein Gefühl der Überlegenheit anderen gegenüber, die sich scheinbar ungesund und falsch ernähren.

Gemüse
Gemüse ist gesund, doch bei Orthorexie kann die Beschäftigung damit krankhaft werden. - Pexels

Es ist jedoch schwierig, eine Grenze zwischen bestimmten restriktiven Ernährungsformen wie dem Veganismus und der Paleo-(Steinzeit)-Diät und Orthorexie zu ziehen.

Manche weisen darauf hin, dass sich beispielsweise Veganer zwar restriktiv ernähren, ihre Mahlzeiten aber mit Genuss verspeisen.

Zudem liegt dem Veganismus meist eine ethische Überzeugung zugrunde, bei der es nicht um sich selbst, sondern um andere – die Tiere oder die Umwelt – geht.

Dem Orthorektiker geht es nur um die eigene Gesundheit und ihm schmeckt nichts mehr, weil er ständig nur über mögliche schädliche Folgen der Ernährung nachdenkt.

Eher Zwangsstörung als Essstörung

Experten sind der Ansicht, dass Orthorexie eher zu den Zwangsstörungen gerechnet werden sollte. So wurde festgestellt, dass Orthorexie häufig zusammen mit Sportsucht – exzessivem Sport – auftritt.

In diesem Fall stellen die Betroffenen komplizierte umfangreiche Trainings- und Ernährungspläne zusammen, die ihre gesamte Zeit in Anspruch nehmen.

Mittlerweile wird Orthorexie auch bei kleinen Kindern festgestellt, deren Eltern sich zwanghaft mit gesunder Ernährung befassen.

Joggerin
Orthorexie geht oft mit Sportsucht einher. - Pexels

Der Arzt Steven Bratman entwickelte einen ersten Selbsttest, mit dem sich jeder selbst überprüfen kann.

Dieser Test umfasst Fragen wie: Denken Sie mehr als drei Stunden am Tag über Ihre Ernährung nach? Verzichten Sie auf frühere Lieblingsspeisen, nur um sich «richtig» zu ernähren? Schauen Sie auf andere herab, die sich scheinbar «falsch» ernähren?

Therapie steckt noch in den Kinderschuhen

Da die Orthorexie noch nicht als Krankheitsbild anerkannt wurde, gibt es kaum spezialisierte Therapieangebote. Der Bedarf ist freilich da.

Der Blick rechnete auf Grundlage einer deutschen Studie aus, dass bis zu 250´000 Schweizer betroffen sein könnten. Die Studie der Universität Düsseldorf hatte festgestellt, dass rund drei Prozent der Deutschen orthorektisches Essverhalten zeigte.

In den Schweizer Spitälern, bei Psychiatern und auf Essstörungen spezialisierten Therapeuten ist die Nachfrage nach Therapien in den letzten Jahren rasant gestiegen.

Verschlimmert wird der Trend noch durch Social-Media-Kanäle wie Instagram. Auf diesen messen sich Menschen permanent mit anderen und versuchen, einander zu überbieten.

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